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Lützerath bis auf zwei Aktivisten im Tunnel geräumt

Die Räumung des Dorfes Lützerath für den Braunkohletagebau ist nahezu beendet. Polizei und Klimaaktivisten werfen sich nach der großen Demo am Samstag gegenseitig Gewalt vor.

Abriss von Lützerath
Abrissarbeiten am ehemaligen Haus des leztzen Bauern von Lützerath. Foto: Federico Gambarini
Abrissarbeiten am ehemaligen Haus des leztzen Bauern von Lützerath.
Foto: Federico Gambarini

Die Polizei hat die Räumung des Protestdorfes Lützerath am rheinischen Braunkohletagebau bis auf zwei Aktivisten in einem Tunnel abgeschlossen. »Es befinden sich keine weiteren Aktivisten in der Ortslage Lützerath«, teilte die Polizei mit.

Die meisten Gebäude waren heute schon abgerissen - darunter auch der Bauernhof von Bauer Eckardt Heukamp, des letzten Landwirts von Lützerath. Nach dem vollständigen Abriss will der Energiekonzern RWE die darunter liegende Kohle abbaggern.

Nach Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizisten am Rande einer großen Anti-Kohle-Kundgebung am Samstag flogen am Sonntag Gewalt-Vorwürfe hin und her. Am Rande der Demo hatten laut Polizei rund 1000 großenteils vermummte »Störer« versucht, auf das abgesperrte Gelände von Lützerath vorzudringen. Um sie abzuwehren, setzte die Polizei Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Zwölf Personen wurden fest- oder in Gewahrsam genommen.

Der Energiekonzern RWE äußerte sich »entsetzt über die Aggressionen und die Gewalt«. Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens, sprach ebenfalls von massiven Angriffen eines Teils der Demonstranten auf die Polizei. »Den von der Bühne verbreiteten Aufruf «Jeder kann machen, was er will. Jeder entscheidet selber, wie weit er geht» hätte es nicht geben dürfen«, kritisierte Mertens. »Er ist offenbar von militanten Braunkohlegegnern als Freibrief verstanden worden, mit Gewalt gegen die Polizisten vorzugehen.«

Aktivisten sprechen von schwerverletzten Demonstranten

Die Veranstalter der Demo und Sprecher der Lützerather Aktivisten warfen umgekehrt der Polizei Gewalt-Exzesse vor. Eine Sprecherin des Sanitätsdienstes der Demonstranten sagte, es sei eine »hohe zweistellige bis dreistellige Zahl« von Teilnehmern verletzt worden. Darunter seien viele schwerverletzte und einige lebensgefährlich verletzte Menschen gewesen. Die Polizei habe »systematisch auf den Kopf von Aktivistinnen und Aktivisten geschlagen«.

Nach Polizei-Angaben wurden dagegen lediglich neun Aktivisten mit Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. »Glücklicherweise ist niemand lebensgefährlich verletzt worden«, so die Polizei. Ein Video zeigt, wie auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer und andere auf einem Feld von Polizisten abgedrängt werden. Thunberg kehrte am Sonntag noch einmal an die Tagebaukante zurück und nahm an einer Spontan-Demo teil.

Die 20-Jährige war die Hauptrednerin bei der Demo am Samstag, zu der nach Polizei-Schätzungen 15.000, nach Angaben der Veranstalter sogar mindestens 35.000 Menschen gekommen waren. »Lützerath ist noch da, und solange die Kohle noch in der Erde ist, ist dieser Kampf nicht zu Ende«, sagte Thunberg unter dem Jubel der Zuhörer. Es sei ihr unbegreiflich, dass im Jahr 2023 noch immer Kohle abgebaggert und verfeuert werde, obwohl zur Genüge bekannt sei, dass der dadurch ausgelöste Klimawandel in vielen Teilen der Welt Menschenleben koste. »Deutschland als einer der weltweit größten Verschmutzer hat eine enorme Verantwortung«, mahnte Thunberg.

Thunberg-Kritik an den Grünen

In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur kritisierte die weltbekannte Aktivistin die Grünen wegen ihrer Unterstützung für den Abriss von Lützerath. Konzerne wie RWE müsse man eigentlich dafür zur Rechenschaft ziehen, wie sie mit Menschen umgingen. »Dass die Grünen mit solchen Unternehmen Kompromisse schließen, zeigt, wo ihre Prioritäten liegen«, sagte Thunberg.

Führende grüne Politiker wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seine NRW-Kollegin Mona Neubaur begründen den Abriss von Lützerath und das Abbaggern der darunter liegenden Kohle damit, dass dadurch im Gegenzug der um acht Jahre auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg erreicht worden sei. Fünf Nachbardörfer würden verschont. Die ursprünglichen Bewohner aus Lützerath sind alle weggezogen. Gerichte haben Klagen gegen die Räumung abgewiesen.

Die Polizei teilte am Sonntag mit, dass auch die insgesamt 35 »Baumstrukturen« sowie knapp 30 Holzkonstruktionen in Lützerath geräumt worden seien. Knapp 300 Personen seien aus Lützerath weggebracht worden, wobei es zu vier Widerstandshandlungen gekommen sei. Seit Beginn der Räumung seien 154 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Mehr als 70 Polizistinnen und Polizisten seien seit Beginn des Räumungseinsatzes verletzt worden. Wann die beiden Aktivisten im Tunnel herausgeholt werden können, ist nach Angaben von RWE unklar. Andere Aktivisten berichteten, es gehe ihnen gut.

© dpa-infocom, dpa:230114-99-214594/43