Ein halbes Jahr nach dem Einmarsch in die Ukraine hat Kremlchef Wladimir Putin eine Vergrößerung der russischen Armee angeordnet.
2023 soll die Zahl der Soldaten um 137.000 auf rund 1,15 Millionen wachsen, wie aus einem Dekret hervorgeht. In der Ukraine wurden bei einem russischen Raketenangriff auf einen Bahnhof Dutzende Menschen getötet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sicherte dem attackierten Land erneut Hilfe zu.
Die Ukraine hatte am Mittwoch den 31. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit von der Sowjetunion begangen - genau ein halbes Jahr nach dem russischen Überfall vom 24. Februar. Vorab hatte Kiew vor zusätzlichen russischen Angriffen am Jahrestag gewarnt. Tatsächlich wurde dann unter anderem abends der Raketeneinschlag auf die Bahnanlagen im Ort Tschaplyne des zentralukrainischen Gebietes Dnipropetrowsk gemeldet.
Moskau bestätigt Raketenbeschuss
»Tschaplyne ist heute unser Schmerz«, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner üblichen Videoansprache. Bis Donnerstag stieg die Zahl der Todesopfer nach ukrainischen Angaben auf mindestens 25, darunter zwei Kinder. Zudem seien 31 Menschen verletzt worden, erklärte der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, auf Telegram. Die Informationen ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Das russische Verteidigungsministerium lieferte eine andere Version: Getötet worden seien bei dem Schlag mit einer Iskander-Rakete mehr als 200 ukrainische Soldaten, die für Kämpfe im Donbass bestimmt gewesen seien, sagte Sprecher Igor Konaschenkow. Die Rakete sei in den militärischen Teil der Bahnstation eingeschlagen. Dabei sei auch Militärtechnik zerstört worden. Belege gab es auch dafür nicht. Kiew hatte von Beschuss von bewohntem Gebiet gesprochen.
In Hunderten Fällen Streubomben eingesetzt
Die Ukraine und internationale Experten werfen Russland immer wieder Angriffe auf Zivilisten und Kriegsverbrechen vor. Auch international geächtete Streumunition hat Russland seit Beginn des Krieges in Hunderten Fällen eingesetzt, wie die internationale Streumunition-Koalition in Genf berichtete. Bis Ende Juni seien mindestens 215 Menschen getötet und weitere 474 durch Streumunition verletzt worden, hieß es. Auch auf ukrainischer Seite wurde der Einsatz dieser Munition in drei Fällen registriert. Es handelt sich um Behälter, die aus Flugzeugen oder Raketenwerfern abgeschossen werden und viele kleine Sprengsätze großflächig verteilen. Ein Übereinkommen von 2008 verbietet den Einsatz von Streumunition, doch weder Russland noch die Ukraine gehören ihm an.
Biden sichert Selenskyj weitere Unterstützung zu
US-Präsident Joe Biden hat seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj weitere Unterstützung zugesichert. Biden schrieb auf Twitter, er habe mit Selenskyj telefoniert und klar gemacht, »dass die Vereinigten Staaten die Ukraine und ihr Volk im Kampf um die Verteidigung ihrer Souveränität weiterhin unterstützen werden«.
Selenskyj sprach auf Twitter von einem großartigen Gespräch und dankte den USA für ihre »unerschütterliche Unterstützung«. Die beiden hätten über die weiteren Schritte im Kampf gegen Russland gesprochen und darüber, wie wichtig es sei, Russland für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, schrieb der ukrainische Präsident weiter.
Kanzler bei ukrainischen Soldaten
Bundeskanzler Scholz besuchte erstmals ukrainische Soldaten im Ausbildungsprogramm am Flugabwehrpanzer Gepard in Schleswig-Holstein. »Die Männer, die hier sind, werden ihr Land verteidigen«, sagte der SPD-Politiker. »Sie werden es verteidigen gegen die furchtbare Bedrohung, die durch den brutalen Angriffskrieg Russlands entstanden ist für die Ukraine.« Deutschland werde »weiter unterstützen mit unseren finanziellen Möglichkeiten, aber auch mit den Waffen, die wir aus Deutschland zur Verfügung stellen können«.
Die Ausbildung ist nach Angaben der Bundesregierung Teil der von Deutschland finanzierten Lieferung von 30 Gepard-Panzern an die Ukraine. Scholz sieht sich immer wieder - und auch aus den Reihen der Ampel-Koalitionäre - mit dem Vorwurf konfrontiert, er agiere zu zögerlich und die Bundesregierung müsse mehr schwere Waffen an die Ukraine liefern. Scholz betonte erneut, Deutschland habe bereits viele wirksame und schwere Waffen geliefert.
AKW Saporischschja von Stromnetz getrennt
Das von Russland besetzte ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja ist Angaben aus Kiew zufolge zumindest zwischenzeitlich vom ukrainischen Stromnetz getrennt worden. Das sei erstmalig vorgekommen, teilte der staatliche Atomkraftwerksbetreiber Enerhoatom mit. Die Stromversorgung des AKWs selbst werde derzeit aber weiter über eine Leitung zum benachbarten Wärmekraftwerk aus dem ukrainischen Energiesystem sichergestellt.
Die russischen Besatzer hingegen teilten mit, einer von zwei derzeit betriebenen Kraftwerksblöcken sei bereits wieder am Netz. Die beiden Blöcke hätten nur vorübergehend heruntergefahren werden müssen, nachdem aufgrund von ukrainischem Beschuss ein Feuer ausgebrochen sei, schrieb der Besatzungschef der Region, Jewgeni Balizki, auf Telegram. Die Angaben beider Seiten waren zunächst nicht unabhängig überprüfbar.
Balizki erklärte weiterhin, die Versorgung der Menschen in den umliegenden Regionen, die zwischenzeitlich von einem massiven Stromausfall betroffen waren, werde in Kürze wieder gewährleistet. Zuvor hatte auch der geflohene ukrainische Bürgermeister von Enerhodar, Dmytro Orlow, berichtet, die Stromversorgung der Kleinstadt, in der das AKW liegt, werde schrittweise wieder hergestellt.
Die USA warnen Moskau vor einer Umleitung des Stroms. »Um es ganz klar zu sagen: das Atomkraftwerk und der Strom, den es produziert, gehören der Ukraine«, sagte der stellvertretende Sprecher des US-Außenministeriums, Vedant Patel. Jeder Versuch, das Werk von der ukrainischen Stromversorgung zu trennen und in russisch besetzte Gebiete umzuleiten sei »inakzeptabel«.
Gaspreis klettert auf mehr als 300 Euro
Deutschland und andere EU-Länder leiden vor allem unter den wirtschaftlichen Folgen des Kriegs und der deswegen gegen Russland verhängten EU-Sanktionen. Der Gaspreis sprang am Donnerstag über die Marke von 300 Euro je Megawattstunde. Am Markt wurde dies mit einer angekündigten Unterbrechung der russischen Gaslieferungen nach Europa durch die Pipeline Nord Stream 1 erklärt. Russland hat dies für drei Tage in der Zeit ab dem 31. August angekündigt.
Doch trotz der Energiekrise läuft die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland etwas besser als erwartet. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal um 0,1 Prozent, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. In einer ersten Schätzung war die Wiesbadener Behörde noch von einer Stagnation der Wirtschaftsleistung ausgegangen. Im ersten Quartal 2022 war die deutsche Wirtschaft um 0,8 Prozent gewachsen. Nach Einschätzung von Ökonomen stehen aber wegen der Gaskrise harte Monate bevor.
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