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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Die Aufrüstung der Ukraine durch den Westen schreitet voran, Berlin und Washington geben neue Zusagen. Die Russen sind zwar auf dem Vormarsch - aber Kiew macht weiter viel richtig.

Himars- Raketensysteme
Diese Himars-Mehrfachraketenwerfer des US-Herstellers Lockheed Martin will die US-Regierung an die Ukraine liefern. Foto: Corporal Madhur Chitnis
Diese Himars-Mehrfachraketenwerfer des US-Herstellers Lockheed Martin will die US-Regierung an die Ukraine liefern.
Foto: Corporal Madhur Chitnis

Die Ukraine kann im Kampf gegen Russland mit immer moderneren Waffen aus dem Westen rechnen. Deutschland liefert der Ukraine ein High-Tech-Flugabwehrsystem.

Außerdem werde den ukrainischen Streitkräften ein modernes Ortungsradar zur Verfügung gestellt, das Artillerie aufklären könne, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch im Bundestag. Auch die USA wollen Raketensysteme schicken. Die Schweiz verweigert dagegen die Weitergabe von Schützenpanzern.

Der Widerstand der ukrainischen Soldaten im Osten des Landes hält an. Laut Militärexperten hat Kiew bisher viel richtig gemacht - daran ändere auch der aktuelle Vormarsch der Russen nichts.

Scholz kündigt weitere Waffenlieferungen an

Der Bundeskanzler kündigte am 98. Tag des Krieges auch an, dass Deutschland die von den USA angekündigte Lieferung von Mehrfachraketenwerfern in die Ukraine »nach unseren technischen Möglichkeiten« unterstützen werde. Bei dem Luftabwehrsystem handelt es sich laut Scholz um Iris-T des Herstellers Diehl. Damit werde das modernste Flugabwehrsystem geliefert, über das Deutschland verfüge. »Damit versetzen wir die Ukraine in die Lage, eine ganze Großstadt vor russischen Luftangriffen zu schützen«, sagte Scholz. Die Ukraine fordert seit langem die Lieferung von Flugabwehrsystemen, um sich gegen Angriffe von russischen Kampfflugzeugen, Hubschraubern, Raketen oder Drohnen schützen zu können. Bisher wurden unter anderem Panzerfäuste, Luftabwehrraketen und viele Millionen Schuss Munition geliefert.

Russische Truppen besetzen Großteil von Sjewjerodonezk

Bei Gefechten in der umkämpften ostukrainischen Großstadt Sjewjerodonezk im Gebiet Luhansk haben die russischen Truppen nach Angaben des Generalstabs in Kiew »teilweise Erfolg«. Der Feind habe die Kontrolle über den östlichen Teil der Stadt, teilt die ukrainische Militärführung am Abend mit. Der Sturm auf die Großstadt dauere an, hieß es. Die prorussischen Separatisten behaupteten, sie hätten bereits mehr als 70 Prozent der Stadt unter ihre Kontrolle gebracht.

Sjewjerodonezk ist das Verwaltungszentrum in dem von der Ukraine kontrollierten Teil des Gebiets Luhansk. Dort wird seit Tagen gekämpft. Sollten die russischen Truppen die Stadt einnehmen, hätten sie die komplette Kontrolle über die Region Luhansk. Die Einnahme der Gebiete Luhansk und Donezk ist eines der von Kremlchef Wladimir Putin ausgegebenen Ziele in dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

In Kürze werde die gesamte Stadt eingenommen sein, teilt der Separatistenvertreter Andrej Marotschko mit. Der größte Teil der ukrainischen Armee habe Sjewjerodonezk bereits verlassen. Es gebe nur noch vereinzelte Gruppen. Wegen der katastrophalen humanitären Lage seien dringend Hilfsgüter für die Menschen nötig, die Russland liefern solle.

Denkfabrik sieht kluge Entscheidungen Kiews

Die ukrainischen Truppen ziehen sich nach Einschätzung der US-Denkfabrik Study of War klugerweise aus Sjewjerodonezk zurück, statt bis zum Ende zu kämpfen. Dies sei vernünftig, wenn auch schmerzhaft. Die Ukraine müsse mit ihren begrenzteren Ressourcen sparsam umgehen und sich darauf konzentrieren, kritisches Terrain zurückzugewinnen, anstatt letztlich nicht wichtigen Boden zu verteidigen. Die ukrainische Priorisierung von Gegenoffensiven und Verteidigungsoperationen habe die Russen unter anderem fast aus der Artillerie-Reichweite der Stadt Charkiw gedrängt. Insgesamt habe die Ukraine immer noch eine gute Chance, den russischen Vormarsch zu stoppen und rückgängig zu machen.

USA liefern moderne Raketensysteme

Die US-Regierung wird der Ukraine nach Angaben von Präsident Joe Biden moderne Raketensysteme liefern. Biden schrieb in einem am Dienstagabend (Ortszeit) veröffentlichten Gastbeitrag für die »New York Times«, damit solle das angegriffene Land in der Lage versetzt werden, »wichtige Ziele auf dem Schlachtfeld in der Ukraine« präziser zu treffen. Biden versicherte zugleich: »Wir wollen keinen Krieg zwischen der Nato und Russland.« Die USA versuchten auch nicht, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu stürzen. Aus dem Weißen Haus hieß es am Dienstagabend (Ortszeit), die Ukraine habe zugesichert, mit dem in den USA hergestellten Artilleriesystem HIMARS keine Ziele auf russischem Territorium anzugreifen.

Schweiz legt Veto gegen Panzerlieferung ein

Dänemark darf seine in der Schweiz hergestellten Schützenpanzer derweil nicht der Ukraine zur Verfügung stellen. Das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) verweigerte ein entsprechendes Ansuchen aus Kopenhagen, wie ein Sprecher der Behörde in Bern am Mittwoch bestätigte. In einem ähnlichen Fall hatte die Behörde im April verboten, dass Deutschland Munition aus Schweizer Produktion an das von Russland angegriffene Land weitergibt. Dänemark wollte Radschützenpanzer des Typs Piranha III an die Ukraine liefern. Das Seco begründete sein Nein mit der Neutralität der Schweiz und mit dem Kriegsmaterialgesetz, das die Ausfuhr von militärischen Gütern in Kriegsgebiete verbietet.

Kiew fordert neue Strafmaßnahmen gegen Moskau

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte neue Strafmaßnahmen des Westens gegen Moskau. »Letzten Endes sollte es gar keine nennenswerten wirtschaftlichen Verbindungen mehr zwischen der freien Welt und dem Terrorstaat geben«, sagte er in seiner am Dienstagabend veröffentlichten Videoansprache. »Wir werden an neuen Einschränkungen gegen Russland für diesen Krieg arbeiten.« Dank des geplanten Öl-Boykotts der EU verliere Russland »Dutzende Milliarden Euro«, die nun nicht mehr für die Finanzierung des Terrors genutzt werden könnten. Zugleich bekräftigte Selenskyj seine Forderungen an den Westen nach Lieferung schwerer Waffen.

Gaslieferstopp an Shell und dänischen Konzern

Der staatliche russische Energieriese Gazprom stellte die Gaslieferungen an den dänischen Versorger Ørsted sowie Shell Energy Europe ein. Gazprom habe die Lieferungen an die beiden Konzerne beendet, weil diese sich weigerten, ihre Gaszahlungen auf Rubel umzustellen, teilte das Unternehmen am Mittwoch mit. Von dem Lieferstopp ist zu einem geringen Teil zwar auch Deutschland betroffen, hat aber laut Bundeswirtschaftsministerium aktuell keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit. »Wir beobachten die Lage sehr genau«, sagte eine Sprecherin auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur dpa am Mittwoch. Derzeit seien die Lastflüsse wie geplant. Zuvor hatte Russland schon die Gaslieferungen an Bulgarien, Polen, Finnland und zuletzt die Niederlande eingestellt.

© dpa-infocom, dpa:220601-99-502249/6