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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Ein russischer Abzug von der Schlangeninsel soll den Getreideexport aus der Ukraine erleichtern - als »Zeichen des guten Willens«, sagt Moskau. Doch die schweren Kämpfe dauern an. Und einen neuen Offenen Brief gibt es auch. Die Entwicklungen im Überblick.

Bombenkrater
Eine ukraininische Sicherheitskraft inspiziert das Gelände einer Schule in Charkiw nach russischem Beschuss. Foto: Ukrinform
Eine ukraininische Sicherheitskraft inspiziert das Gelände einer Schule in Charkiw nach russischem Beschuss.
Foto: Ukrinform

Russland will nach eigenen Angaben seine Truppen von der eroberten Schlangeninsel im Schwarzen Meer zurückziehen. Damit solle gezeigt werden, dass Russland den Export von Getreide und landwirtschaftlichen Produkten aus der Ukraine nicht behindere, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, in Moskau.

»Am 30. Juni haben die russischen Streitkräfte als Zeichen des guten Willens die ihnen zugewiesenen Aufgaben auf der Schlangeninsel abgeschlossen.« Zuvor hatte die Ukraine einen Angriff auf die Insel gemeldet. Die Angaben waren von unabhängiger Seite nicht zu überprüfen.

Die Insel war kurz nach dem russischen Einmarsch im Nachbarland Ende Februar von der russischen Marine erobert worden. Die ukrainischen Streitkräfte flogen seitdem mehrfach Attacken mit Kampfdrohnen und Flugzeugen. Der Kreuzer »Moskwa« (Moskau) wurde nach ukrainischer Darstellung mit Raketen versenkt. Russland wird vorgeworfen, mit der Blockade von Häfen den Export von Getreide zu behindern. In einigen Weltregionen droht deshalb eine weitere Zuspitzung der Hungerkrise. Die Ukraine und Russland sind für etliche arme Länder vor allem in Afrika wichtigste Lieferanten von Getreide und Düngemittel.

Gerade erst sollen bei einem Angriff im Osten der Ukraine nach Behördenangaben 40 Tonnen Getreide vernichtet worden sein. In dem betroffenen Lagerhaus in der Stadt Selenodolsk sei ein Feuer ausgebrochen, schrieb der Gouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, Walentyn Resnitschenko, im Nachrichtendienst Telegram. Er machte Russland dafür verantwortlich. Angaben aus dem Kriegsgebiet lassen sich nur schwer oder meist gar nicht unabhängig überprüfen.

Putin beklagt Behinderung russischer Dünge- und Lebensmittelexporte

Der Kreml verortete die Schuld für die weltweit steigenden Lebensmittelpreise unterdessen einmal mehr bei westlichen Staaten und verwies auf Exportprobleme. Formal habe der Westen zwar keine Handelsbeschränkungen für russischen Dünger und Nahrungsmittel verhängt, »aber die Besitzer der Unternehmen, die Düngemittel herstellen, und sogar ihre Familienmitglieder sind unter die Sanktionen geraten«, klagte Russlands Präsident Wladimir Putin laut der Agentur Interfax bei einem Treffen mit seinem indonesischen Amtskollegen Joko Widodo in Moskau.

Zudem hätten die USA und die EU Sanktionen gegen russische Häfen verhängt und Schwierigkeiten für die Versicherung von Frachtschiffen geschaffen. Dies alles »erzeugt gewisse Probleme auf den Märkten für Lebensmittel und Dünger«, betonte Putin. Den USA warf er zudem vor, verstärkt Lebensmittel zu importieren und zu horten und so die Krise anzuheizen. »Die Entwicklungsländer sind in diesem Sinne in die schlechteste Lage geraten«, sagte er. Er hoffe, dass Widodo das Thema beim G20-Gipfel im November in Indonesien ansprechen werde.

Gleichzeitig relativierte Putin erneut die Bedeutung der ukrainischen Getreidelieferungen für den Weltmarkt. Diese machten nur einen Bruchteil der weltweiten Exporte aus.

Widodo übermittelt Botschaft von Selenskyj

Indonesiens Präsident, der vor seinem Kreml-Besuch in Kiew Selenskyj getroffen hatte, brachte eine Botschaft des ukrainischen Staatschefs an Putin mit. Es sei sehr wichtig, den Dialog zwischen Russland und der Ukraine wieder in Gang zu bringen, um eine friedliche Lösung zu erzielen, sagte Widodo - und er sei bereit, dabei zu vermitteln. Eine Reaktion Putins auf das Vermittlungsangebot wurde zunächst nicht bekannt. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte lediglich, er kenne den Inhalt der von Widodo übermittelten Selenskyj-Botschaft noch nicht.

Kämpfe um Raffinerie westlich von Lyssytschansk

Im ostukrainischen Gebiet Luhansk sind die regierungstreuen Truppen in Lyssytschansk nach eigenen Angaben akut von einer Einschließung bedroht. Die knapp sieben Kilometer westlich der Stadt gelegene Raffinerie sei umkämpft, teilte der Generalstab in Kiew am Donnerstag mit. Die im Süden stehenden russischen Truppen sind demnach nach Norden vorgerückt. Auch direkt an der westlichen und der südlichen Stadtgrenze werde bereits gekämpft. In russischen Medien wurde die Raffinerie bereits als komplett erobert dargestellt.

Lyssytschansk ist der letzte größere Ort im Luhansker Gebiet unter ukrainischer Kontrolle. Zuletzt konnte er nur noch über wenige Versorgungsrouten aus dem Westen mit Nachschub versorgt werden.

Im benachbarten Donezker Gebiet habe es russische Vorstöße bei Slowjansk und Bachmut gegeben, die zurückgeschlagen werden konnten, teilte der Generalstab mit. Entlang der gesamten Frontlinie würden ukrainische Stellungen kontinuierlich mit Artillerie beschossen und aus der Luft bombardiert. Artillerie sei von der russischen Armee auch in den Gebieten Charkiw, Saporischschja und Cherson eingesetzt worden. Derartige Angaben aus dem Kriegsgebiet lassen sich nur schwer oder meist gar nicht unabhängig überprüfen.

Russland: Mehr als 6000 ukrainische Kriegsgefangene

Russland hat nach Angaben des Verteidigungsministeriums inzwischen mehr als 6000 ukrainische Soldaten in Kriegsgefangenschaft genommen. Unabhängig überprüfen lassen sich auch diese Angaben nicht. Die Ukraine veröffentlicht keine Zahlen mehr zu Kriegsgefangenen. In der von Russlands Truppen besetzten Kleinstadt Enerhodar im Südosten der Ukraine sollen russische Pässe ausgegeben werden, schrieb Bürgermeister Dmytro Orlow im Nachrichtendienst Telegram. Orlow hat die Stadt Ende April verlassen. Russische Besatzungstruppen hatten einen eigenen Bürgermeister eingesetzt. Er wurde am Sonntag bei einem Sprengstoffanschlag schwer verletzt.

Parlamentsabgeordneter in Ukraine überlebt Anschlag

Im Gebiet Cherson überlebte der ukrainische Parlamentsabgeordnete Olexij Kowaljow offenbar einen Anschlag. Der 33-Jährige wird in der Ukraine des Landesverrats und der Kollaboration mit Russland verdächtigt. Vergangene Woche hatte der Chef des ukrainischen Militärgeheimdiensts erklärt, das Auto Kowaljows sei gesprengt worden. »Ich lebe und bin gesund«, sagte der Abgeordnete nun in einem Video, das die russische Staatsagentur Ria Nowosti veröffentlichte. Kowaljow war mit verbundenem Arm in einem Krankenhausbett zu sehen.

Scholz: Orientieren uns bei Waffenlieferungen an den USA

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will sich bei den weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine vor allem an den USA orientieren. »Wir orientieren uns immer bei dem, was wir machen, an den Lieferungen der Verbündeten, insbesondere den USA. Und das werden wir auch weiter tun«, sagte Scholz nach dem Nato-Gipfel in Madrid.

Die USA haben der Ukraine bereits in großem Umfang schwere Waffen geliefert. Mit sieben Panzerhaubitzen sind vor wenigen Tagen auch die ersten schweren Waffen aus Deutschland in der Ukraine angekommen. Bestimmte Waffensysteme liefern Nato-Staaten bisher aber gar nicht, zum Beispiel Kampfflugzeuge und Kampfpanzer. Zwischen Deutschland und Spanien gibt es allerdings Gespräche über eine mögliche Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern aus deutscher Produktion, die jetzt den spanischen Streitkräften gehören.

Macron: Europa muss zu Dialog mit Russland in der Lage sein

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs eine geschlossene Haltung Europas und der USA betont, zugleich aber die Notwendigkeit eines Kontakts zu Kremlchef Putin unterstrichen. Europa und die USA seien sich hinsichtlich der gegenüber Russland notwendigen Haltung einig, sagte Macron in Madrid.

»Darüber hinaus und das ist normal, haben wir nicht immer dieselbe Intensität der Diskussion mit dem russischen Präsidenten gehabt.« Über seine Gespräche mit Putin habe er immer klar mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und den europäischen Partnern kommuniziert. Außerdem sei er zu weiteren Gesprächen mit Putin bereit. »Jedes Mal, wenn es die Situation rechtfertigen wird, schließe ich nicht aus, dass ich es tun werde, weil ich glaube, dass das die Verantwortung Frankreichs ist.« Wenn bei kurzfristigen, drängenden oder humanitären Themen die Diskussion nützlich sein kann, müsse man sie führen. Außerdem müssten die Europäer zum Wiedereinstieg in einen Dialog mit Russland in der Lage sein in dem Moment, in dem die Ukraine dies wünsche.

Zu Berichten, dass die von Frankreich an die Ukraine gelieferten Caesar-Geschütze beim Zurückdrängen russischer Truppen von der Schlangeninsel im Schwarzen Meer geholfen hätten, sagte Macron: »Ich nehme zur Kenntnis, was die ukrainische Armee berichtet.« Über die zwölf bereits gelieferten Geschütze hinaus werde die Ukraine in den kommenden Wochen sechs weitere der Haubitzen von Frankreich erhalten. Außerdem werde Frankreich eine signifikante Anzahl an gepanzerten Fahrzeugen an die Ukraine liefern, schrieb Macron auf Twitter.

Erdogan fordert Friedensvision für Beendigung des Krieges

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert verstärkte diplomatische Anstrengungen für eine Beendigung des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Nötig sei eine Friedensvision für das Land, sagte Erdogan. Ziel müsse eine Waffenruhe sein, um die humanitäre Katastrophe in der Ukraine zu beenden. Er machte deutlich, dass die Unterstützung des Bündnisses für das von Russland angegriffene Land zu 100 Prozent stehe.

Offener Brief: Prominente fordern Waffenstillstand

Deutsche Prominente forderten in einem neuen offenen Brief einen »Waffenstillstand jetzt!«. In dem von der »Zeit« veröffentlichten Appell verlangten etwa der Philosoph Richard David Precht und die Schriftstellerin Juli Zeh einen »konzertierten Vorstoß« für Verhandlungen. Zudem stellten sie in Frage, ob Waffenlieferungen der richtige Weg seien. Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, antwortete, die Autoren sollten sich mit ihren »defätistischen «Ratschlägen» zum Teufel scheren.«

© dpa-infocom, dpa:220630-99-855157/9