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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage am Morgen

Alarm in Kiew, Großstädte unter Beschuss: Erstmals seit Kriegsbeginn treffen sich heute die Außenminister der Ukraine und Russlands. Ukraines Botschafter drängt Deutschland, auf russische Energie zu verzichten.

Ukraine-Konflikt: Flucht aus Irpin
Flucht über Trümmer - dazu die ständige Angst vor Beschuss: Die Evakuierung von Zivilisten aus ukrainischen Städten wie Irpin gestaltet sich schwierig. Foto: Mykhaylo Palinchak
Flucht über Trümmer - dazu die ständige Angst vor Beschuss: Die Evakuierung von Zivilisten aus ukrainischen Städten wie Irpin gestaltet sich schwierig.
Foto: Mykhaylo Palinchak

Vor dem ersten Treffen der Außenminister aus Russland und der Ukraine seit Beginn des Kriegs vor zwei Wochen haben Truppen beider Seiten auch in der Nacht gegeneinander gekämpft.

Die Ukraine meldet Beschuss auf mehrere Großstädte. In der Hauptstadt Kiew gab es erneut Fliegeralarm. Für den Vormittag ist ein neuer Versuch geplant, bei einer regionalen Feuerpause Menschen aus umkämpften Städten zu retten. Die Hoffnung ruht aber vor allem auf dem ersten hochrangigen Gespräch beider Seiten.

Neue diplomatische Bemühungen

Dazu traf der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba im türkischen Antalya ein, wo er mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow Optionen für ein Ende des Kriegs ausloten will. Vermitteln will der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi, will in Antalya die Sicherheit der ukrainischen Atomanlagen thematisieren. Die IAEA hat nach eigenen Angaben nicht nur den Kontakt zum Kraftwerk Tschernobyl verloren, sondern auch zum größten ukrainischen Meiler Saporischschja.

Als Bedingung für eine Einstellung der Gefechte fordert Russland, dass sich die Ukraine in ihrer Verfassung für neutral erklärt. Zudem müsse Kiew die annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisch sowie die Separatistengebiete als unabhängig anerkennen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine gewisse Kompromissbereitschaft angedeutet. Auch aus Moskau waren nicht mehr alle Maximalforderungen zu hören.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier befürchtet trotzdem, dass die Brutalität der russischen Kriegsführung noch zunehmen wird. »Es gibt leider keine Anzeichen dafür, dass dieser Krieg in kurzer Zeit zuende geht«, sagte er in einem Podcast-Gespräch der Bertelsmann Stiftung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will die Lage am Abend mit den Staats- und Regierungschefs der anderen 26 EU-Staaten bei einem Gipfel in Versailles bei Paris beraten.

Das Kriegsgeschehen

Von acht Uhr an deutscher Zeit ist nach ukrainischen Angaben ein neuer Versuch vorgesehen, über drei Fluchtkorridore Menschen aus Städten der Region Sumy im Nordosten in die weiter westlich liegende Stadt Poltawa zu retten. Dafür sei regional eine Waffenruhe geplant, teilte die Gebietsverwaltung mit. Aus der umzingelten Großstadt Sumy selbst waren am Dienstag und Mittwoch fast 50.000 Menschen entkommen.

Um die Evakuierung der südukrainischen Hafenstadt Mariupol wird seit Tagen gerungen. Dort löste am Mittwoch ein Angriff auf eine Geburtsklinik Entsetzen aus - auch bei UN-Generalsekretär Antonio Guterres, der ein Ende der »sinnlosen Gewalt« forderte.

Das Kriegsgeschehen in der Nacht blieb unübersichtlich, zumal Angaben der Kriegsparteien nicht unabhängig zu überprüfen sind. Ukrainische Behörden und die Armee meldeten russische Angriffe in der Umgebung von Sumy und die Millionenstadt Charkiw sowie versuchte Vorstöße auf die Hauptstadt Kiew und die südukrainische Stadt Mykolajiw. Doch habe man die russische Offensive gebremst. Die prorussischen Separatisten im Gebiet Luhansk sprachen ihrerseits von Beschuss durch die Ukraine, wie die russische Agentur Tass meldete.

Ukraine hofft auf weitere deutsche Waffenlieferungen

Die Ukraine hofft auf weitere Waffenlieferungen aus Deutschland, wie Botschafter Andrij Melnyk der Deutschen Presse-Agentur sagte. Die deutsche Rüstungsindustrie habe dem Verteidigungsministerium Vorschläge gemacht. »Wir erwarten eine positive Entscheidung.«

Trotz einer klaren Absage der US-Regierung gibt Melnyk auch die Hoffnung auf Lieferung von MiG-29-Kampfjets nicht auf. Polen hatte sich bereit erklärt, die Flugzeuge den USA zur Verfügung zu stellen mit dem Ziel, sie letztlich in die Ukraine zu bringen. Die US-Regierung lehnt dies ab, weil sie eine Verwicklung der Nato in den Krieg befürchtet.

Das US-Repräsentantenhaus billigte aber in der Nacht 13,6 Milliarden Dollar (12,3 Milliarden Euro) Hilfen für die Ukraine.

Gauck: »Für die Freiheit frieren«

Botschafter Melnyk erhöhte auch den Druck auf Deutschland, einem Importstopp für russische Energielieferungen zuzustimmen. Angesichts der hohen Zahl der Kriegsopfer unter der Zivilbevölkerung sei das Nein dazu »moralisch nicht tragbar«. Die Bundesregierung lehnt dies ab, weil Deutschland schlicht zu abhängig von der Energie aus Russland sei und wirtschaftliche Verwerfungen drohen könnten.

Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck meinte jedoch in der ARD: »Wir können auch einmal frieren für die Freiheit.«

Schon ohne den Importstopp muss sich Deutschland als Folge des Kriegs auf eine Rezession und noch stärker steigende Preise einstellen - das sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Angesichts der Belastungen solle Deutschland die Schuldenbremse für die nächsten Jahre aufgeben.

Zugleich geht Fratzscher von einer beschleunigten Inflation aus. »Wahrscheinlich wird es im laufenden Jahr Inflationsraten von deutlich über fünf Prozent geben. Im Fall einer Eskalation des Kriegs und immer neuer Sanktionen kann es sogar Richtung zehn Prozent gehen.«

Geflüchtete Lehrer für Flüchtlingskinder

Eine Riesenaufgabe kommt auf Deutschland - wie auch auf andere EU-Länder - unter anderem bei der Versorgung von Flüchtlingen aus der Ukraine zu. Seit Kriegsbeginn am 24. Februar sind nach UN-Angaben mehr als zwei Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, mehr als 80.000 Kriegsflüchtlinge wurden in Deutschland registriert.

Um die Kinder in Schulen und Kitas zu betreuen, will Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer aus der Ukraine einsetzen, wie sie der Funke Mediengruppe sagte. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, sagte Geflüchteten im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland unbürokratische Unterstützung bei der Arbeitssuche zu. Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe verzeichnet zudem eine sehr hohe Spendenbereitschaft der Deutschen - mehr als 76 Millionen Euro seien bisher verbucht worden.

Was heute wichtig wird

Das russisch-ukrainische Außenministertreffen in Antalya soll am Vormittag beginnen, der informelle EU-Gipfel in Versailles am Nachmittag (17.30 Uhr).

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) reist zu Gesprächen über Flüchtlinge nach Polen. Deutsche Bischöfe wollen auf ihrer Frühjahrstagung eine Erklärung zum Ukraine-Krieg verabschieden. Die Flüchtlingskinder werden Thema bei der Kultusministerkonferenz in Lübeck.

© dpa-infocom, dpa:220310-99-457391/6