Nach dem symbolträchtigen Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymr Selenskyj vor dem US-Kongress hat Russland seine Rhetorik gegenüber dem Westen noch einmal verschärft.
Selenskyj hatte sich vor den Parlamentariern beider Kammern in Washington und bei einem Ttreffen mit US-Präsident Biden trotz des seit beinahe einem Jahr andauernden Angriffskriegs gegen sein Land ungebrochen gezeigt.
Selenskyjs Forderung nach weiterer Unterstützung verhallte nicht ungehört. Die USA wollen als Teil eines neuen Militärhilfe-Pakets in Höhe von 1,85 Milliarden US-Dollar (1,74 Milliarden Euro) ein Patriot-Luftabwehrsystem in die Ukraine schicken, auch neue Munition wurde den Ukrainern versprochen.
Aus Berlin kam die Bestätigung für weitere Budget-Unterstützung aus dem Kreis der G7-Staaten. Im Kreml riefen die Zusagen an den Kriegsgegner ärgerliche Reaktionen hervor.
Putin: Patriot-Lieferungen verlängern nur den Konflikt
Kremlchef Wladimir Putin hat die Lieferungen von Patriot-Flugabwehrraketen der USA an die Ukraine kritisiert. »Das bedeutet nur eine Verlängerung des Konflikts«, sagte der 70-Jährige in Jekaterinburg der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Zugleich bezeichnete er die Waffen als alt und gab sich optimistisch, dass Russland die Flugabwehr überwinden könne. »Es findet sich immer ein Gegengift«, sagte er.
Die Patriot-Flugabwehr funktioniere nicht so gut wie die russische S-300, meinte Putin. »Aber nichtsdestotrotz meinen diejenigen, die uns bekämpfen, dass dies eine Verteidigungswaffe sei. Also gut, wir nehmen das zur Kenntnis«, sagte er. Russland werde die Patriots »knacken«, kündigte er an.
Putins Angaben nach ist die ukrainische Rüstungswirtschaft am Ende ihrer Leistungsfähigkeit angekommen, die russische hingegen könne ihre Waffenproduktion noch steigern.
Bundesregierung prüft weitere Waffenlieferungen
Nach der US-Zusage von Patriot-Flugabwehrsystemen für die Ukraine prüft auch die Bundesregierung, ob sie die ukrainischen Streitkräfte bei der Verteidigung gegen russische Luftangriffe noch stärker unterstützen kann. Man werde »im Zuge der Patriot-Lieferung auch bei uns noch mal schauen, was wir weiteres liefern können, weil wir wissen, dass diese Luftverteidigungssysteme Leben retten«, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Berlin.
Treffen mit Duda - Einladung nach Brüssel
Auch Polen begrüßte die Entscheidung der USA, die Lieferung der Flugabwehrsysteme an die Ukraine freizugeben. Damit werde sich die Ukraine wirksam »gegen russische Terroranschläge auf die kritische Infrastruktur« verteidigen können, sagte Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak. Auf seiner Rückreise aus den USA traf Selenskyj am Donnerstag auch den polnischen Staatschef Andrzej Duda. Besprochen worden seien »strategische Pläne für die Zukunft, bilaterale Beziehungen und Zusammenarbeit auf internationaler Ebene im Jahr 2023«, teilte Selenskyj über seinen Telegram-Kanal mit.
Ein Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel sagte am Donnerstag, man habe Selenskyj für Februar nach Brüssel eingeladen. Außerdem bestätigte er, dass für den 3. Februar ein EU-Ukraine-Gipfel geplant sei. Daran werden ihm zufolge aber nicht die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten teilnehmen. Die Europäische Union werde von Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Michel vertreten.
G7 wollen Budgethilfen von 32 Milliarden Dollar zahlen
Die führenden demokratischen Industriestaaten wollen der Ukraine im kommenden Jahr erneut Budgethilfen von mindestens 32 Milliarden US-Dollar zahlen. Diese Summe sei bereits im Kreis der G7 mobilisiert worden, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in Berlin. Weitere Zusagen seien zu erwarten. »32 Milliarden Dollar sind ein starkes Signal, aber es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass wir damit nicht auskommen werden«, sagte er.
Schon in diesem Jahr haben die G7-Staaten der Ukraine laut Finanzministerium 32,7 Milliarden US-Dollar an Budgethilfen gewährt - etwa um grundlegende staatlichen Leistungen des kriegsgebeutelten Landes aufrechtzuerhalten sowie Renten und Gehälter von Staatsbediensteten zu zahlen. Mit Abstand größter Geldgeber sind die USA.
AKW Saporischschja: Kommt die Sicherheitszone?
Kleine Fortschritte deuten sich bei der Frage nach der Sicherheit des Atomkraftwerks Saporischschja in der Ukraine an. Russland stimmte nach eigenen Angaben der Initiative der Internationalen Atombehörde (IAEA) weitgehend zu, eine Sicherheitszone um das Kraftwerk zu errichten.
Moskau und IAEA-Chef Rafael Grossi seien sich in ihren Positionen zur Sicherheitszone sehr nahegekommen, teilte die föderale russische Agentur für Atomenergie Rosatom nach einem Treffen diverser Vertreter russischer Behörden mit Grossi in Moskau mit. Grossi versucht bei seinem Besuch in Moskau, die Lage rund um das von russischen Truppen besetzte und im Krieg immer wieder beschossene Atomkraftwerk im Süden der Ukraine zu entspannen.
Die Initiative des IAEA-Chefs sieht vor, dass Russland und die Ukraine sich verpflichten, die Nuklearanlage nicht mehr zu beschießen. Russland soll zugleich schwere Waffen aus dem AKW abziehen, um die Lage zu deeskalieren.
Weiter Streit über schwedischen Nato-Beitritt
Im Streit um den gerade in Kriegszeiten strategisch bedeutsamen Nato-Beitritt Schwedens geht es weiterhin nur langsam voran. Die türkische Regierung machte deutlich, dass die Verhandlungen über eine Zustimmung Ankaras zum Nato-Beitritt des skandinavischen Landes erst am Anfang stünden und noch eine Vereinbarung umzusetzen sei. »Wir sind noch nicht bei der Hälfte angelangt, wir stehen erst am Anfang«, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Ankara bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem schwedischen Kollegen Tobias Billström.
Schweden und auch das benachbarte Finnland hatten im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Mai die Nato-Mitgliedschaft beantragt. Die Türkei als Bündnisstaat blockiert den Beitritt der beiden Länder jedoch - wegen deren angeblicher Unterstützung von Gruppen, die die Türkei als terroristisch einstuft. Um den Streit beizulegen, sagte Schweden im Juni in einer Vereinbarung unter anderem einen verstärkten Kampf gegen Terrorismus zu. Billström sagte: »Schweden hält seine Versprechen. Wir nehmen die Vereinbarung ernst.« Er verwies zudem auf bereits erfolgte und noch anstehende Gesetzesänderungen in Bezug auf Terrorismus.
Ukraine: Mehr als 100.000 russische »Verluste«
Russland hat nach Angaben des ukrainischen Generalstabs bereits 100.400 Soldaten seit Kriegsbeginn verloren, die »eliminiert« worden seien. Diese Formulierung kann bedeuten, dass sie getötet oder so schwer verletzt wurden, dass sie aus dem Kriegsdienst ausscheiden mussten.
Russland hatte zuletzt von rund 6000 getöteten Soldaten in den eigenen Reihen gesprochen. Unabhängige russische Medien haben allerdings schon mehr als 10.000 russische Gefallene namentlich identifiziert. Die ukrainische Seite beziffert ihre eigenen Verluste in den täglichen Militärberichten nicht. Das Präsidentenamt in Kiew sprach zuletzt von mehr als 10.000 getöteten ukrainischen Soldaten.
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