Unter dem Eindruck massiver russischer Luftangriffe auf Wohngebiete und Infrastruktur in der Ukraine haben Deutschland und 14 weitere Staaten ein Projekt zur Verbesserung der europäischen Luftverteidigung auf den Weg gebracht. Zudem wollen die Nato-Staaten die eigenen Munitions- und Ausrüstungsbestände aufstocken sowie den Schutz kritischer Infrastrukturen verstärken. Kremlchef Wladimir Putin erlitt unterdessen in der Vollversammlung der Vereinten Nationen eine schwere diplomatische Niederlage. Die Ukraine, wo am Donnerstag wieder im ganzen Land die Sirenen heulten, kann mit weiterer Militärhilfe des Westens rechnen.
Raketenschutzschirm für Europa und Moskaus Atomdrohung
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht unterzeichnete am Donnerstag am Rande eines Nato-Treffens in Brüssel mit Kolleginnen und Kollegen eine Erklärung zu der sogenannten European Sky Shield Initiative. Diese soll über die Beschaffung neuer Waffensysteme helfen, bestehende Lücken im derzeitigen Nato-Schutzschirm für Europa zu schließen. Defizite gibt dort beispielsweise im Bereich ballistischer Raketen, die auf ihrer Flugbahn große Höhen erreichen, aber auch bei der Abwehr von Drohnen und Marschflugkörpern.
Nur noch autoritäre Regime an Russlands Seite
Bei einer nicht bindenden Abstimmung in der Vollversammlung der UN in New York verurteilten 143 von 193 UN-Mitgliedsstaaten die völkerrechtswidrige Annexion ukrainischer Gebiete durch Moskau. Nur vier international ebenfalls stark isolierte Staaten mit autoritären Regimen - Belarus, Nordkorea, Nicaragua und Syrien - hielten noch zu Russland. 35 Staaten enthielten sich. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte, die Weltgemeinschaft habe klargemacht: »Mit diesem Völkerrechtsbruch wird Putin niemals durchkommen.«
Russland bombardiert weiter zivile Ziele in der Ukraine
Ungeachtet der internationalen Verurteilung setzte Russland seine Luftangriffe auf zivile Ziele auch am Donnerstag fort, wie die Ukraine mitteilte. Die Region um die ukrainische Hauptstadt Kiew sei erneut mit Drohnen angegriffen worden, sagte der regionale Polizeichef Andrij Nebitow. Über mögliche Opfer war zunächst nichts bekannt. Schwere Angriffe erschütterten in der Nacht auch Mykolajiw im Süden. Laut Gouverneur Witalij Kim wurde ein fünfstöckiges Wohnhaus getroffen. Vorläufigen Angaben zufolge wurden mindestens zwei Menschen verletzt. Sieben Menschen galten zunächst als vermisst.
Deutschland derzeit unzureichend gegen Luftangriffe geschützt
Derzeit hat Deutschland für den näheren Bereich und die Bekämpfung von Flugzeugen und Hubschraubern die Luftabwehrrakete Stinger im Einsatz. Auf die mittlere Distanz wirkt das größere Patriot-System. Deutschland verfügt noch über zwölf Abschussanlagen - was aber bei weitem nicht für den Schutz des gesamten Landes reicht. Bei der Abwehr ballistischer Raketen, die auf ihrer Flugbahn große Höhen erreichen, wird der Bundeswehr sogar eine »Fähigkeitslücke« bescheinigt. Als nun wahrscheinliche Option gilt bei der Bundeswehr die Anschaffung des israelischen Systems Arrow 3. Dieses kann angreifende Waffensysteme bis über 100 Kilometer Höhe außerhalb der Atmosphäre im beginnenden Weltraum zerstören.
Zudem sollen nach Angaben von Lambrecht zusätzliche Patriot-Flugkörper und Luftverteidigungssysteme vom Typ Iris-T angeschafft werden. Darüber hinaus ist die Realisierung eines Flugabwehrsystems für den »Nächstbereich« - also zum Beispiel für die Drohnenabwehr - im Gespräch.
Macron betont Redebereitschaft mit Putin
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat Kremlchef Wladimir Putin in beschwichtigenden Worten zum Einlenken im Ukraine-Krieg aufgefordert. »Wir wollen keinen Weltkrieg«, schrieb er auf Twitter. »Wir helfen der Ukraine dabei, ihren Boden zu verteidigen, niemals dabei, Russland anzugreifen. Wladimir Putin muss diesen Krieg beenden und die territoriale Integrität der Ukraine respektieren.« Am Mittwochabend hatte er die Lieferung weiterer Waffen an die Ukraine angekündigt: Caesar-Haubitzen für die Gegenoffensive, Radare, Systeme und Raketen zum Schutz vor Luftangriffen und gepanzerte Fahrzeuge.
Selenskyj bittet um weitere 55 Milliarden Dollar Finanzhilfe
Selenskyj bezifferte den Finanzbedarf seines Landes auf 55 Milliarden Dollar. Bei einem Runden Tisch des IWF und der Weltbank zu Ukraine-Hilfen forderte er ein regelmäßiges Forum zur finanziellen Unterstützung seines Landes. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa stellte dies in Aussicht. Zusätzlich zur militärischen und humanitären Unterstützung seien für dieses Jahr 33,3 Milliarden Dollar zugesagt. Mit Abstand größter Geldgeber sind die USA, Deutschland ist laut Finanzministerium mit einem Anteil von 1,4 Milliarden Euro größter Geber innerhalb der EU.
Putin sucht nach neuen Wegen für sein Gas gen Westen
Bei einem Treffen in der kasachischen Hauptstadt Astana schlug Putin dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, die Türkei mithilfe russischen Gases zu einem Umschlagpunkt und einer Börse für Erdgas auszubauen. Der Vorschlag kam, nachdem beide von Russland nach Deutschland führenden Stränge der Pipeline Nord Stream 1 und einer der beiden Stränge von Nord Stream 2 in der Ostsee durch Explosionen beschädigt worden waren.
Druschba-Betreiber schließt Sabotage an Öl-Pipeline vorerst aus
Der Betreiber der Ölpipeline Druschba in Polen hat Sabotage als Grund eines Lecks vorerst ausgeschlossen und mit Reparaturarbeiten begonnen. Die Ursache der Leckage werde derzeit noch untersucht, teilte das Unternehmen Pern mit. »Nach den ersten Erkenntnissen und der Art und Weise, wie die Rohrleitung verformt ist, gibt es zu diesem Zeitpunkt keine Hinweise auf eine Fremdeinwirkung«, hieß es.
Ukraine: 186 mutmaßliche russische Kriegsverbrecher identifiziert
Die Ukraine hat nach Angaben ihres Generalstaatsanwaltes bislang 186 mutmaßliche russische Kriegsverbrecher identifiziert. Nur wenige von ihnen befänden sich in Haft, teilte Generalstaatsanwalt Andriy Kostin in Den Haag mit. Das Ausmaß der Verbrechen sei immens. Es gebe Hinweise etwa auf Folter, Mord, Vergewaltigung oder Vertreibung. In 45 Fällen seien die Ermittlungen abgeschlossen, 10 Personen seien verurteilt. Zusätzlich wurden in anderen Staaten nach Angaben der europäischen Justizbehörde Eurojust 20 Ermittlungsverfahren eröffnet.
Informationen der Nato zum Treffen
Informationen der Nato zum Treffen
Mitteilung des Pipeline-Betreibers (polnisch)
© dpa-infocom, dpa:221013-99-108431/6