Logo
Aktuell Ausland

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Die russische Armee gerät auf den Schlachtfeldern der Ukraine offenbar zunehmend unter Druck. Bis zu 50 Kilometer wollen die Ukrainer auch dank westlicher Waffen vorgedrungen sein. Die aktuellen Entwicklungen.

Butscha
Soldaten der ukrainischen Armee sitzen auf einem gepanzerten Militärfahrzeug. Foto: Emilio Morenatti
Soldaten der ukrainischen Armee sitzen auf einem gepanzerten Militärfahrzeug.
Foto: Emilio Morenatti

Die russischen Invasionstruppen sind von den Ukrainern offenbar stellenweise in die Defensive gedrängt worden. Die ukrainische Armee habe seit Anfang der Woche im Gebiet Charkiw im Osten des Landes über 20 Orte befreit, sagte Generalstabsvertreter Olexij Hromow am Donnerstag in Kiew. Im UN-Sicherheitsrat wehrte sich Russland gegen den Vorwurf, Hunderttausende Ukrainer deportiert zu haben. Und die Baltenstaaten und Polen beschränken die Einreise für Russen.

Zum Kampfgeschehen im Gebiet Charkiw berichtete der ukrainische Generalstabsvertreter von erheblichen Geländegewinnen. »Zum jetzigen Zeitpunkt sind unsere Soldaten bis zu 50 Kilometer tief in die Verteidigungslinien des Gegners vorgedrungen«, sagte Hromow. Aktuell würden in den befreiten Orten »Säuberungen vom Gegner« andauern. Auch in der Nähe von Kramatorsk im Gebiet Donezk hätten ukrainische Einheiten ihre Positionen um bis zu zwei Kilometer verbessern können. Bei Slowjansk seien die Russen um bis zu drei Kilometer zurückgedrängt und das Dorf Oserne befreit worden.

Im südukrainischen Gebiet Cherson seien die russischen Truppen an mehreren Abschnitten um zwei und bis zu mehreren Dutzend Kilometer zurückgedrängt worden. Insgesamt seien Gebietsgewinne von mehr als 700 Quadratkilometer erzielt worden. An den anderen Frontabschnitten bestehe weiter eine »schwierige, jedoch nicht kritische Situation«.

Die russischen Besatzer sahen sich wegen der vorrückenden ukrainischen Truppen nach eigenen Angaben gezwungen, Frauen und Kinder aus der Stadt Kupjansk, einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt des Gebiets Charkiw, in Sicherheit zu bringen. »Die Lage in der Stadt Kupjansk ist heute so, dass wir einfach gezwungen sind, die Evakuierung der Bevölkerung - zumindest der Frauen und Kinder - zu gewährleisten, weil die Stadt Raketenangriffen der ukrainischen Militärverbände ausgesetzt ist«, sagte der Chef der von Russland eingesetzten Militärverwaltung, Witali Gantschew, der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge. Die Angaben der Kriegsparteien lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

London: Russen durch ukrainische Attacken auf Brücken unter Druck

Nach Einschätzung britischer Militärexperten machen den Russen vor allem Angriffe der Ukrainer auf Flussübergänge Probleme. Wie aus dem täglichen Geheimdienst-Update des Verteidigungsministeriums in London hervorgeht, zerstörten die ukrainischen Verteidiger eine Pontonbrücke entlang einer wichtigen Nachschubroute in der Region Cherson. »Die systematischen Präzisionsschläge gegen anfällige Flussübergänge dürften weiter Druck auf die russischen Kräfte ausüben (...)«, betonten die britischen Experten.

Kiew bekennt sich zu Raketenbeschuss auf die Krim

Nach einem Monat Versteckspiel lüftete Kiew das Geheimnis der Explosionen auf dem Gelände russischer Militäranlagen auf der annektierten Halbinsel Krim. »Es geht um eine Serie von erfolgreichen Raketenschlägen auf die Luftwaffenbasen auf der Krim, vor allem um den Flugplatz Saki«, schrieb Oberbefehlshaber Waleryj Saluschnyj in einem Artikel für die staatliche Nachrichtenagentur Ukrinform.

UN-Sicherheitsrat streitet über Deportationen

Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gab es einen heftigen Schlagabtausch über den Vorwurf russischer Deportationslager im ukrainischen Kriegsgebiet. Die US-Regierung beschuldigte das russische Militär, festgenommene Menschen in Lager zu zwingen, um sie dann gegen ihren Willen nach Russland oder in russisch besetzte Gebiete der Ukraine zu bringen. Schätzungen zufolge seien so zwischen 900 000 und 1,6 Millionen Menschen aus ihren Heimatorten deportiert worden, sagte US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield. Russland wies die Vorwürfe zurück.

Atomkraftwerksbetreiber: Mitarbeiter getötet und gefoltert

Der ukrainische Atomkonzern Enerhoatom warf den russischen Truppen im besetzten AKW Saporischschja die Verschleppung und Misshandlung von Kraftwerksmitarbeitern vor. »Etwa 200 Leute sind bereits inhaftiert worden. Von einigen wissen wir nicht, was mit ihnen passiert ist. Es gibt keinen Hinweis, wo sie sind«, sagte der Präsident von Enerhoatom, Petro Kotin, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er sprach davon, dass Mitarbeiter getötet oder gefoltert worden seien. Nach seinen Angaben halten noch etwa tausend ukrainische Mitarbeiter die Anlage in Betrieb - in Friedenszeiten waren es 11.000 Menschen.

Baltenstaaten und Polen beschränken Einreise für Russen

Die baltischen Staaten und Polen werden zum 19. September die Einreise von Russen weiter beschränken. Russische Staatsbürger mit einem Schengen-Visum für touristische Aufenthalte, Geschäftsreisen, Sport- und Kulturveranstaltungen dürfen dann nicht mehr in die vier EU- und Nato-Länder einreisen. Dies teilten die Regierungschefs der an Russland grenzenden Staaten am Donnerstag gemeinsam mit.

»Wir haben beschlossen, gemeinsame Beschränkungen für den Tourismus für russische Staatsangehörige einzuführen, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu schützen«, erklärte die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas. »Russland hat Krieg nach Europa gebracht und setzt alle Mittel ein, um unsere Gesellschaften zu untergraben. Als Grenzstaaten der EU müssen wir Europa sicher halten.«

Demnach soll nun allen russischen Staatsbürgern mit Schengen-Visa die Einreise verweigert werden - unabhängig davon, von welchem Mitgliedsland es ausgestellt wurde.

Separatistenführer widerspricht russischer Kriegsthese

Der bekannte Kommandeur der prorussischen Separatisten in Donezk, Alexander Chodakowski, hat einem der russischen Rechtfertigungsversuche für den Angriffskrieg gegen die Ukraine offen widersprochen. Er habe bisher keine Belege dafür gefunden, dass die Ukraine einen Angriff auf Russland geplant habe - Moskau behauptet das immer wieder. »Die Ukraine hat sich auf einen Abwehrkrieg vorbereitet«, schrieb Chodakowski am Donnerstag auf seinem Telegram-Kanal. Bei den Dokumenten, die seine Truppen nach der Eroberung ukrainischer Stellungen erbeutet haben, sei ihm kein einziges taktisches Dokument untergekommen, das Angriffshandlungen vorsehe.

© dpa-infocom, dpa:220908-99-673924/7