Logo
Aktuell Ausland

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Schon wieder Raketen auf das Atomkraftwerk Saproschschja. Die Sorgen vor einer neuen Atomkatastrophe in der Ukraine nehmen zu. Die Atomenergiebehörde sieht vorläufig keine Bedrohung - dringt aber auf einen Expertenbesuch. News im Überblick.

Saporischschja
Ein russischer Soldat steht auf dem Gelände des Kernkraftwerks Saporischschja (Archiv). Die Sorge vor einer neuen Atomkatastrophe wächst. Foto: Uncredited
Ein russischer Soldat steht auf dem Gelände des Kernkraftwerks Saporischschja (Archiv). Die Sorge vor einer neuen Atomkatastrophe wächst.
Foto: Uncredited

Europas größtes Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine ist erneut unter Beschuss geraten. Das Kraftwerk sei mit schwerer Artillerie und Raketenwerfern angegriffen worden, teilte ein Vertreter der russischen Besatzungsbehörden, Wladimir Rogow, am Donnerstag im Nachrichtenkanal Telegram mit. Geschossen werde aus Ortschaften, die unter ukrainischer Kontrolle stünden.

Der ukrainische Konzern Enerhoatom berichtete von insgesamt zehn Einschlägen in der Nähe. Überprüfbar waren die Angaben nicht. Zuvor hatte die Ukraine Russland beschuldigt, das AKW ins Visier zu nehmen. Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ist das AKW aber momentan kein Sicherheitsrisiko.

Atomenergiebehörde: AKW keine unmittelbare Bedrohung - vorläufig

IAEA-Chef Rafael Grossi erklärte bei einer von Russland beantragten Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates zu dem AKW: »IAEA-Experten haben vorläufig festgestellt, dass keine unmittelbare Bedrohung der Sicherheit infolge des Beschusses oder anderer militärischer Aktionen besteht. Dies kann sich jedoch jederzeit ändern.« Er forderte Moskau und Kiew auf, einen Besuch internationaler Experten schnell zu ermöglichen. »Ich persönlich bin bereit, eine solche Mission zu leiten.« Russland verwehrt internationalen Experten bislang den Zugang.

Betreiber: Keine erhöhte Radioaktivität

Nach Angaben des Betreibers Enerhoatom ist die Situation im Kraftwerk trotz der neuen Angriffe »unter Kontrolle«. Die Radioaktivität sei nicht höher als sonst. Das AKW war schon am Wochenende mit Raketen beschossen und beschädigt worden. Russland und die Ukraine gaben sich gegenseitig die Schuld. Am Mittwoch griffen russische Einheiten mit Raketenwerfern Ortschaften in der Nähe an. Dabei starben nach ukrainischen Angaben mindestens elf Menschen. Unabhängig zu überprüfen war auch dies nicht.

Die Ukraine wirft den russischen Truppen vor, das AKW als Festung für Angriffe zu nutzen. Die prorussischen Separatisten wiederum beschuldigen die Ukraine, mit Beschuss des Kraftwerks den Westen zum Eingreifen bewegen zu wollen. Das russische Staatsfernsehen zeigte Bilder, die Raketeneinschläge am Kraftwerk zeigen sollen. Rogow lehnte Forderungen der Gruppe sieben führender Industrienationen (G7) - darunter Deutschland - ab, das Kraftwerk wieder unter ukrainische Kontrolle zu stellen. »Das wäre, als wenn man einem Affen eine Handgranate in die Hand gibt«, schrieb er.

UN-Generalsekretär fordert Ende aller Kämpfe

Im ukrainischen AKW Tschernobyl hatte sich 1986 der schlimmste atomare Unfall auf europäischem Boden ereignet. UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor der Sitzung des Sicherheitsrats vor einer neuen Katastrophe. »Bedauerlicherweise gab es in den letzten Tagen keine Deeskalation, sondern Berichte über weitere zutiefst besorgniserregende Vorfälle. Wenn sich diese fortsetzen, könnte dies zu einer Katastrophe führen.« An beide Kriegsparteien appellierte er, die militärischen Aktivitäten sofort einzustellen. Der russische Krieg gegen das Nachbarland dauert inzwischen schon mehr als fünfeinhalb Monate.

Selenskyj will vom Westen mehr Waffen

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte vor einer Atomkatastrophe ähnlich wie in Tschernobyl. »Wir müssen Europa vor dieser Bedrohung schützen«, sagte er per Videoschalte bei einer Konferenz in Kopenhagen. Russland sei unter Präsident Wladimir Putin ein terroristischer Staat, der das Kraftwerk als »Geisel« halte und zur Erpressung nutze. Selenskyj nutzte die Gelegenheit, um vom Westen abermals Waffen und Munition zu fordern.

Scholz verspricht weitere Hilfe

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sicherte weitere massive Unterstützung zu. Deutschland liefere bereits »sehr, sehr viele, sehr weitreichende, sehr effiziente« Waffen, sagte Scholz bei seiner Sommerpressekonferenz in Berlin. »Und das werden wir auch die nächste Zeit weiter tun.« Konkret wurde der Kanzler allerdings nicht. Ein Einreiseverbot für russische Touristen nach Europa, wie dies von Estland und Finnland gefordert wird, lehnte er ab. »Das ist Putins Krieg, und deshalb tue ich mich mit diesem Gedanken sehr schwer.«

Geberkonferenz sammelt Milliarden

Auf einer internationalen Geberkonferenz in Kopenhagen kamen mehr als 1,5 Milliarden Euro an Unterstützung für die Ukraine zusammen. Die Summe könne noch steigen, sagte der dänische Verteidigungsminister Morten Bødskov. Das Geld sei für dieses und nächstes Jahr vorgesehen. Es kann beispielsweise in Waffen und die Ausbildung ukrainischer Soldaten fließen. Polen, die Slowakei und Tschechien erklärten sich den Angaben zufolge zudem bereit, die Produktion von Artilleriesystemen, Munition und weiterer Ausrüstung auszuweiten.

Satellitenbilder sollen zerstörte Kampfjets zeigen

Nach den schweren Explosionen auf der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim veröffentlichte ein US-Unternehmen Satellitenbilder, die den beschädigten russischen Militärstützpunkt zeigen sollen. Entgegen Moskauer Darstellung belegen diese Aufnahmen US-Berichten zufolge die Zerstörung mehrerer russischer Kampfjets. Die Zeitung »The New York Times« berichtete von mindestens acht abgebrannten Flugzeugen. Russland hatte von einem Brand auf der Basis und explodierter Munition wegen Fahrlässigkeit berichtet, allerdings nicht von zerstörter Militärtechnik.

Unterschiedliche Einschätzungen in Kiew zu Kriegsdauer

Aus Kiew kamen unterschiedliche Einschätzungen, wie lange der Krieg noch dauern wird. Der Chef des Präsidialamtes, Andrij Jermak, sagte, die Kämpfe müssten dringend noch vor der Heizperiode beendet werden. Ansonsten bestehe das Risiko, dass Russland die Infrastruktur für Wärme und Energie zerstöre. »Das ist einer der Gründe, warum wir maximale Maßnahmen ergreifen wollen, um den aktiven Teil des Kriegs bis Ende Herbst zu beenden.« Selenskyj sagte hingegen, die Kriegsdauer hänge von den russischen Verlusten ab. »Je höher die Verluste der Okkupanten sind, desto schneller können wir unser Land befreien.«

© dpa-infocom, dpa:220811-99-345985/11