An Tag 14 des russischen Kriegs gegen die Ukraine haben beide Seiten am Mittwoch erneut versucht, Menschen die Flucht aus umkämpften Städten zu eröffnen.
Russland verkündete dazu am Morgen eine weitere Feuerpause, die Ukraine akzeptierte sechs Fluchtrouten. Allein in der Hafenstadt Mariupol hofften Hunderttausende auf Rettung aus katastrophalen Bedingungen. Vor einem Treffen der Kriegsgegner am Donnerstag lotete die Ukraine zugleich mögliche Kompromisslinien aus.
Russland hatte die Ukraine am 24. Februar angegriffen. Inzwischen beklagen viele ukrainische Städte Bombardements und Zerstörungen. Mehrere Metropolen sind von russischen Truppen umzingelt - Strom, Heizwärme und Nahrungsmittel werden knapp. Nach UN-Angaben sind mehr als zwei Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, mehrere Zehntausend von ihnen nach Deutschland. Hier steigen zudem die Energiepreise dramatisch an - eine Folge des Kriegs und der gegen Russland verhängten Sanktionen.
Geplantes Treffen in Antalya
Die Außenminister der Ukraine und Russlands, Dmytro Kuleba und Sergej Lawrow, wollen sich am Donnerstag im türkischen Antalya treffen - das ranghöchste Gespräch seit Kriegsbeginn. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij und seine Berater deuten inzwischen an, dass die Ukraine nicht mehr auf einer sofortigen Nato-Mitgliedschaft beharrt. Man schließe nicht aus, über eine Neutralität des Landes zu sprechen, sagte Selenskyjs außenpolitischer Berater Ihor Showkwa in der ARD. Das würde russischen Forderungen entgegenkommen.
Das russische Außenministerium betonte laut einer Meldung der Agentur Tass seinerseits, dass Russland keinen Machtwechsel in der Ukraine anstrebe. Ziel sei »weder die Besatzung der Ukraine noch die Zerstörung ihrer Staatlichkeit noch der Sturz der aktuellen Führung«. Das hatte sich in früheren Erklärungen des Kreml anders angehört. Was von dem Außenministertreffen zu erwarten ist, blieb aber unklar. Selenskyj hat deutlich gemacht, dass er selbst mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verhandeln will.
Angriffe und Rückschläge
Die militärischen Fronten schienen am Mittwoch weitgehend statisch. Nach ukrainischen Angaben gab es wieder Angriffe auf mehrere Städte und dabei Tote und viele Verletzte. Ukrainische Kräfte hätten die Angreifer zurückgeschlagen, hieß es im ukrainischen Lagebericht. Die Angaben der Kriegsgegner sind nicht unabhängig zu überprüfen.
Das britische Verteidigungsministerium erklärte auf Twitter, nordwestlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew werde weiter gekämpft, doch hätten die russischen Truppen dort keinen entscheidenden Durchbruch erreicht. Die ukrainische Luftabwehr habe offenbar Erfolge. Die Städte Charkiw, Tschernihiw, Sumy und Mariupol seien weiter eingeschlossen.
Vor allem um die Evakuierung von Mariupol wird seit Tagen gerungen. Mehrere Anläufe seit Sonntag waren gescheitert, vereinbarte Feuerpausen hatten nicht gehalten. Am Mittwochmorgen sprach die ukrainische Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk nun von sechs sogenannten Fluchtkorridoren, also Routen, über die sich Zivilsten unbehelligt in Sicherheit bringen können.
So sollten Menschen aus Mariupol und Enerhodar nach Saporischschja im Südosten der Ukraine gebracht werden, Menschen aus Wolnowacha nach Pokrowsk, Einwohner aus Sumy nach Poltawa. Fluchtkorridore seien auch für die Stadt Isjum im Osten und mehrere Kleinstädte nördlich von Kiew vorgesehen, sagte Wereschtschuk. Dafür sollte bis 20.00 Uhr deutscher Zeit eine Waffenruhe gelten. Aus Sumy waren schon am Dienstag rund 6700 Menschen entkommen.
»Das ist erst der Anfang«
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte die EU-Staaten, die Flüchtlinge aufnehmen - vor allem Polen, Ungarn, Rumänien und die Slowakei. Im ZDF-»Morgenmagazin« warnte sie: »Ich fürchte, das ist erst der Anfang. Wir werden sehr viel höhere Zahlen noch nehmen.« Allein in Polen sind nach offiziellen Angaben schon 1,33 Millionen Menschen eingetroffen. Manche von ihnen reisten weiter.
Von der Leyen verteidigte zugleich die Linie der Europäischen Union, zunächst weiter Energie aus Russland zu importieren, während die USA einen Importstopp für russisches Öl verhängt haben. Die USA könnten leichter auf die Öllieferungen verzichten als die EU, sagte die Kommissionschefin. Sie bekräftigte EU-Pläne, schneller von russischen Energieimporten wegzukommen. Dazu könnten auch die Bürger beitragen, indem sie Energie sparten, sagte von der Leyen.
Streit über MiG-Jets für die Ukraine
Die EU hatte seit Kriegsbeginn drei Sanktionspakete gegen Russland verhängt. Das Ziel ist, den Kreml mit wirtschaftlichem Druck zum Einlenken zu bringen. Militärische Hilfe an die Ukraine ist hingegen heikel, weil die Nato befürchtet, in den Konflikt hineingezogen zu werden. Das zeigte sich auch am Streit über eine mögliche Lieferung von MiG-Kampfjets aus Polen an die Ukraine.
Polen hatte vorgeschlagen, die Flieger den USA zu überlassen - wohl, um sie mit einem Zwischenstopp auf dem Stützpunkt Ramstein in Deutschland irgendwie in die Ukraine zu bringen. Das wiederum hält die US-Regierung für nicht machbar. Der polnische Vorschlag bringe »schwierige logistische Herausforderungen« mit sich, zudem gebe es angesichts der geopolitischen Dimension »ernsthafte Bedenken«, erklärte der Sprecher des Pentagons, John Kirby.
Russische Wirtschaft wankt
Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zeigen aber Wirkung. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, erwartet eine Zahlungsunfähigkeit Russlands. Aufgrund der westlichen Sanktionen bestehe ein hohes Risiko, dass Russland seine Schulden bei internationalen Gläubigern nicht bediene, sagte Fratzscher der Deutschen Presse-Agentur. Unter einem Zahlungsausfall würden auch einige deutsche Investoren leiden.
Die russische Zentralbank verhängte drastische Einschränkungen für den Devisenhandel. So werden russische Banken kein ausländisches Bargeld mehr an Bürger verkaufen können, wie die Zentralbank mitteilte. Die Ratingagentur Fitch stufte Russlands Kreditwürdigkeit erneut herunter - auf Ramschniveau. Die Ratingnote bedeute, dass ein Zahlungsausfall unmittelbar bevorstehen dürfte, teilte Fitch mit.
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