BERLIN. Im erbitterten Streit mit der CSU um die Flüchtlingspolitik schließt die CDU die Reihen hinter Kanzlerin Angela Merkel, deutet gleichzeitig aber Kompromissbereitschaft an.
»Wir wünschen uns eine Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen«, heißt es in einer an diesem Montag von der CDU nach einer etwa eineinhalbstündigen Vorstandssitzung in Berlin verbreiteten Erklärung.
CDU-Parteivize Armin Laschet sagte vor der Sitzung, es wäre falsch, »den europäischen Partnern zu signalisieren, wir machen jetzt nationale Alleingänge«. Die Position der CDU sei dabei unabhängig von Personen: »unabhängig von Horst Seehofer oder Angela Merkel, weil wir die europäische Lösung wollen«, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident weiter.
CSU-Innenminister Seehofer will im Alleingang Asylbewerber an der deutschen Grenze zurückweisen, wenn sie bereits in einem anderen EU-Land registriert sind. Das lehnt Kanzlerin Angela Merkel aber ab.
Der CDU-Politiker Carsten Linnemann rief beide Protagonisten auf, ein Stück weit einzulenken. »Das ist Demokratie, und da müssen sich beide bewegen«, sagte der Unionsfraktionsvize im ZDF-»Morgenmagazin«. »Und wenn die Politiker immer sagen, erst das Land, dann die Partei, dann kann man jetzt mal zeigen, dass das wirklich so ist.«
Auch CDU-Vize und Agrarministerin Julia Klöckner stimmte versöhnlichere Töne an. CDU und CSU hätten die Asylpolitik gemeinsam vorangebracht. Vieles sei auch durch die CSU erreicht worden.
Der frühere CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich kann sich »selbstverständlich einen Kompromiss vorstellen«, wie er am Montag sagte. Im Deutschlandfunk verwies er auf einen Vorschlag Seehofers an Merkel, wonach Asylbewerber aus den Ländern nicht abgewiesen werden könnten, mit denen bilaterale Verhandlungen geführt werden. Bisher gebe es dies aber nur mit Griechenland. Merkel hat nach eigenen Angaben Zusagen von 14 EU-Ländern, Verwaltungsabkommen über die Rücknahme bei ihnen registrierter Flüchtlinge abzuschließen. Zu diesen Ländern gehören aber nicht Italien und Österreich, die an einer der wichtigsten Flüchtlingsrouten nach Deutschland liegen.
An Nachmittag - nach dpa-Informationen um 17 Uhr - soll es in Berlin erneut ein Spitzengespräch von CDU und CSU geben, das auch über das politische Schicksal von Innenminister Seehofer entscheiden soll. Dieser hatte am Sonntag überraschend seinen Rücktritt von beiden Ämtern angekündigt, nach Beratungen der engsten Parteiführung aber später erklärt, seine Entscheidung von einem Einlenken der CDU abhängig zu machen.
Seehofer sagte am frühen Montagmorgen in München: »Ich habe ja gesagt, dass ich beide Ämter zur Verfügung stelle, dass ich das in den nächsten drei Tagen vollziehe.« Als »Zwischenschritt« werde man an diesem Montag ein Gespräch mit der CDU führen, »in der Hoffnung, dass wir uns verständigen«. »Alles Weitere wird dann entschieden.« Das Gesprächsangebot sei ein Entgegenkommen von ihm an die Kanzlerin und die CDU. »Sonst wäre das heute endgültig gewesen.«
Die CDU zeigte sich in der Nacht offen für das Gespräch. Man werde sich dem Ansinnen nicht verweigern, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus der CDU-Spitze. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sieht die CDU in dem Streit aber nicht in der Bringschuld. »Wir haben alles getan, um Brücken zu bauen, und wir werden alles tun, damit die Union zusammenbleibt«, sagte er nach einer fast achtstündigen Sitzung der CDU-Gremien noch vor dem CSU-Vorstoß für eine weitere Verhandlungsrunde.
Die Spitzen von CSU und CDU hatten am Sonntag bis tief in die Nacht getrennt in München und Berlin über den seit Wochen eskalierenden Streit beraten. Der CDU-Vorstand stellte sich dabei klar hinter den Kurs der Kanzlerin, die einen nationalen Alleingang in der Asylpolitik ablehnt und stattdessen eine europäische Regelung erreichen will. Dagegen pochen Seehofer und die CSU darauf, dass Deutschland einseitig jene Asylbewerber an der Grenze zurückweisen soll, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden.
Seehofer sprach nach den Beratungen im CSU-Vorstand von drei Optionen. Entweder die CSU beuge sich Merkels Kurs in der Asylpolitik. Oder er ordne als Innenminister Zurückweisungen an der deutschen Grenzen an - mit allen Gefahren für den Fortbestand der Koalition. Die dritte Option sei, dass er als Parteichef und Minister zurücktrete - und das habe er auch vor zu tun. Er werde am kommenden Mittwoch 69, und habe viel erreicht. Seehofer ist seit rund 100 Tagen Minister in der neuen großen Koalition, seit 2008 ist er CSU-Chef.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt widersprach dem Rücktrittsangebot in der Sitzung umgehend. »Das ist eine Entscheidung, die ich so nicht akzeptieren kann«, sagte er und erhielt dafür nach Teilnehmerangaben langen Applaus.
Die AfD hält Seehofers Rücktrittsangebot für ein rein taktisches Manöver. Das Hin und Her und der Rücktritt vom Rücktritt seien nur inszeniert worden, weil die CSU Angst vor der eigenen Courage habe, sagte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel der dpa. Anstatt endlich zu liefern suche die CSU nach Hintertüren, um die »uneinsichtige Kanzlerin« nicht zu verärgern. Vor der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober sei trotzdem klar, dass die AfD die einzige Kraft sei, »die das Ruder im Asyl-Chaos herumreißen kann«.
Einer Umfrage zufolge hat Seehofer nicht einmal in seiner eigenen Partei eine Mehrheit für seine Position in der Asylpolitik. Im Montag veröffentlichten RTL/n-tv-Trendbarometer unterstützen 48 Prozent der CSU-Anhänger den Innenminister, 49 Prozent die Position Merkels. Die Daten des Meinungsforschungsinstituts Forsa wurden am Donnerstag und Freitag letzter Woche erhoben.
Insgesamt wollen demnach mehr als zwei Drittel der Bundesbürger (69 Prozent) wie Merkel eine europäische Lösung. Bei den CDU-Anhängern sind es 83 Prozent.
Sollte die CSU die große Koalition mit CDU und SPD verlassen, könnte das bereits in dieser Woche erhebliche Konsequenzen haben. Wegen der langen Regierungsbildung und dem Start der Koalition Mitte März gibt es jetzt Einigkeit über den rund 343 Milliarden Euro umfassenden Bundeshaushalt. Er soll am Donnerstag vom Bundestag verabschiedet werde.
Die letzte Notbremse des Alphatiers Seehofer