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Koalition in Schockstarre: Haushalt bringt Ampel an Grenzen

Die Ampel-Koalition hat verfassungswidrige Finanzpolitik gemacht. Die Folgen nagen an den Markenkernen aller drei Parteien. Das bringt eine ohnehin angeschlagene Koalition immer näher an die Zerreißprobe.

Debatte um Haushaltskrise - Finanzministerium
Das Bundesverfassungsgericht hatte in der vergangenen Woche die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärt. Foto: Hannes P. Albert/DPA
Das Bundesverfassungsgericht hatte in der vergangenen Woche die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärt.
Foto: Hannes P. Albert/DPA

Am Kanzleramt wird in den nächsten Tagen die Weihnachtstanne mit fast 5000 Lichtern geschmückt. Doch abgesehen davon gibt es nicht viel Business as usual im vorweihnachtlichen Berliner Politikbetrieb des Jahres 2023. Die Regierung von Kanzler Olaf Scholz steht finanzpolitisch vor einem Scherbenhaufen. Der Aufruhr, der aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entspringt, berührt die Markenkerne aller drei Koalitionspartner. Kann die ohnehin schon schwer angekratzte Partnerschaft der so ungleichen Parteien das überleben?

CDU-Chef Friedrich Merz jedenfalls wäre bereit für Neuwahlen. »Wir sind in der Lage, auch aus dem Stand heraus eine Bundestagswahl zu bestreiten«, sagte er in der ARD-Sendung »Maischberger«. Bei dieser Bundesregierung wisse man ja nie. »Vielleicht springt einer von denen aus lauter Angst vor dem Tod in den Selbstmord.«

So weit ist es noch nicht, doch fest steht: Diese Krise hat ein anderes Kaliber als der Streit um den Austausch alter Öl- und Gasheizungen - und schon der war ja eine Zerreißprobe für die Koalition. Doch diesmal stehen SPD, Grünen und FDP schwere Grundsatzentscheidungen ins Haus. Wie kommt die Regierung raus aus dem Milliardenloch? Wenn alle drei an ihren ideologischen Grundsätzen festhalten, wird das schwer.

Markenkerne aller Ampel-Parteien berührt

Denn entweder man verzichtet auf Milliardenausgaben für den Klimaschutz und die Entwicklung einer CO2-neutralen Wirtschaft. Doch das könnte Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen wohl kaum vertreten. Die zweite Alternative: Heftige Kürzungen bei den Sozialausgaben, beim Bürgergeld, bei der Rente - doch wie sollte Scholz das seiner SPD beibringen? Auch im Gespräch: Steuererhöhungen für Reiche und eine Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz. Doch hier dürften sich bei Finanzminister Christian Lindner und seiner FDP die Nackenhaare aufstellen. Dort ist man ohnehin angefressen, denn Lindner musste es zwar umsetzen, doch die Idee für das verfassungswidrige Schuldenmanöver kam aus dem Ministerium noch unter dem damaligen Finanzminister Scholz.

Wahrscheinlich werden am Ende alle drei Partner Zugeständnisse machen müssen, wenn sie verhindern wollen, dass einer von ihnen sein Gesicht verliert. Die Stimmung in den Parteizentralen ist jedenfalls angespannt. Bei den Freidemokraten ist intern von einem »Wendepunkt« die Rede - wobei führende FDP-Politiker Forderungen zurückweisen, die Koalition notfalls auch platzen zu lassen. Doch es gibt solche Rufe in der Partei. Sie haben sich aus der Fläche des Landes aufgebaut und wurden als wenig bedeutend abgetan.

FDP stimmt (unverbindlich) über Ampel-Aus ab

Doch es kamen 500 unterschriebene Anträge für eine Mitgliederbefragung über die weitere Beteiligung an der Ampel zusammen. Jetzt wird abgestimmt - wobei das Ergebnis dann nicht bindend für die Partei ist. Doch es wird ein Meinungsbild über die ungeliebte Dreierkoalition, in der FDP-Parteichef Lindner zugleich der oberste Kassenwart ist.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki warnt davor, die Ampel kippen zu lassen. Damit lasse sich bei einer Neuwahl nicht punkten - und das müsste die FDP dringend, denn sie ist in Umfragen teils schon unter die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht, mithin politisch mit dem Kopf unter Wasser.

Kubicki fordert vor allem von den Grünen Bewegung - etwa mehr Realismus in der Migrationspolitik. Sie kommen in diesen Tagen ausgerechnet in Karlsruhe zum Parteitag zusammen, wo vor etwas mehr als einer Woche das folgenreiche Haushaltsurteil gesprochen wurde. Seitdem ist klar: Es fehlen mindestens 60 Milliarden Euro, die hauptsächlich für Projekte eingeplant waren, die den Grünen sehr am Herzen liegen.

Grünen geht die Haushaltskrise an die Substanz

Nach 16 Jahren in der Opposition wollen sie mit der Ampel-Regierung endlich den energie- und klimapolitischen Schwenk schaffen - mit einem viel schnellere Bau von Windrädern und Solaranlagen und dem Austausch von Öl- und Gasheizungen, aber auch mit milliardenschwerer staatlicher Förderung für einen klimafreundlichen Umbau der deutschen Industrie. Da hier unter der großen Koalition vieles nur schleppend voranging, wollen die Grünen nun umso mehr auf die Tube drücken.

Zugeständnisse in der Klima- und Energiepolitik sind für die Grünen riskant. Schließlich ist ihr Engagement in diesem Bereich für viele Unterstützer ein wichtiges Wahlmotiv. Doch es gehe nicht allein um Klimaschutz, sondern auch um Arbeitsplätze, gerade in der Industrie, argumentieren Habeck und die Parteichefs Omid Nouripour und Ricarda Lang seit dem Karlsruher Urteil. Wohl verbunden mit der Hoffnung, dass das Unterstützung jenseits der eigenen klimabewegten Klientel schafft. Die Botschaft: Nicht nur wir Grünen haben ein Problem, sondern alle.

Das verlässliche Image der Ampel ist vorerst dahin

Ein Bruch der Koalition scheint auch deshalb unwahrscheinlich, weil er die Wahlchancen jeder der drei Parteien minimieren würde. In Umfragen sind sie abgestürzt; weder SPD, noch Grüne und FDP können darauf bauen, nach der nächsten Bundestagswahl noch Teil einer Regierung zu sein.

Bei der Wahl 2021 warben Scholz und seine SPD mit Verlässlichkeit. Er habe Erfahrung, mit ihm wüssten die Bürger, woran sie seien. Doch diese Verlässlichkeit ist erst einmal dahin. Wie es zur Wahl 2025 damit aussieht, ist offen. Im Moment jedenfalls hinterlässt die Koalition eher einen kopflosen Eindruck. Das Urteil hat sie kalt erwischt, schnelle Antworten hatten weder der Kanzler (SPD), noch Finanzminister (FDP) oder Wirtschaftsminister (Grüne) parat. Stattdessen: Schockstarre.

© dpa-infocom, dpa:231123-99-47075/5