BERLIN. Von seinem 80. Geburtstag wollte Klaus Kinkel nicht viel Aufhebens machen. Dann ließ er sich aber vom jungen FDP-Bundesgeschäftsführer Marco Buschmann, so erzählte der am Dienstag, doch noch umstimmen: »Ach ich brauch nix. Aber wenn es gut ist für die Partei, dann mache ich alles mit.«
Und als zu seinem 75. Geburtstag Christian Lindner, der damals gerade als Generalsekretär zurückgetreten war, nicht am Tisch seines Nachfolgers sitzen sollte, wischte Kinkel die ganzen Partei-Querelen beiseite und sagte in seinem breiten Schwäbisch: »Egal, den hanne eig'laade, als Mensch. Der kommt oder i net.« (Egal, den habe ich eingeladen, als Mensch. Der kommt oder ich nicht.)
Der heutige FDP-Partei- und -Fraktionschef Lindner betont denn auch: »Ich habe ihm viel zu verdanken.« Und: »Er war ein aufrechter und bescheidener Mann mit Charakter, dessen freundschaftlichen Rat ich sehr geschätzt habe.« Lindner nannte Kinkel mal einen »preußischen Schwaben«. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte den »treuen Weggefährten« aus der Zeit nach der Wiedervereinigung als »großen Liberalen und einen kompromisslosen Streiter für Freiheit und Demokratie«.
Der frühere Bundesaußenminister Kinkel ist am Montag im Alter von 82 Jahren gestorben. Er wurde am 17. Dezember 1936 in Metzingen geboren und wuchs in Hechingen (Hohenzollern) auf. Kinkel gehörte zu den Leuten, die deutlich werden können, wenn sie etwas zu sagen haben. Von allen Außenministern, die die Bundesrepublik bislang hatte, war er vielleicht der am wenigsten diplomatische.
Eigentlich wollte Kinkel Arzt werden, wie der Vater, wechselte aber nach zwei Semestern zur Juristerei. 1964 machte er seinen Doktor, ging zum Staat, ins »Bundesamt für zivilen Bevölkerungsschutz«, wie das damals hieß, einer Unterbehörde des Innenministeriums. Bevor er Minister wurde, gehörte Kinkel lange Zeit zu den Spitzenbeamten der Republik. Den Regierungsapparat kannte er wie kaum jemand sonst.
Klaus Kinkel wurde politischer Ziehsohn des 2016 gestorbenen FDP-Ehrenvorsitzenden und Ex-Außenministers Hans-Dietrich Genscher. Lindner sprach einmal von einer symbiotischen Beziehung zu Genscher. Trotzdem blieben Kinkel und Genscher bis zum Schluss beim Sie. Als Genscher in der sozialliberalen Koalition 1969 zunächst Innenminister wurde, war Kinkel bereits sein persönlicher Referent und Büroleiter. In dieser Funktion ging er dann mit Genscher im Mai 1974 ins Auswärtige Amt.
Vor diesem Amtswechsel war es Kinkel aber noch überlassen, Willy Brandt ein Dossier des Bundeskriminalamtes mit pikanten Einzelheiten aus dem Privatleben des damaligen Bundeskanzlers zu übergeben. Der Inhalt trug in der Affäre um den Spionagefall Günter Guillaume - einem der engsten Kanzler-Mitarbeiter - zu Brandts Rücktritt bei.
1979 sorgte Genscher dafür, dass Kinkel als erster Zivilist Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) wurde. Fast vier Jahre lang leitete er den Geheimdienst ohne größere Skandale. Als BND-Chef erwarb sich der selbstbewusste Jurist sogar Anerkennung, indem er den mit großem Beharrungsvermögen ausgestatteten deutschen Auslandsgeheimdienst umorganisierte.
Übrigens: Sein damaliger Gegenspieler in der DDR, Markus Wolf, wuchs wie er in Hechingen auf. Allerdings begegneten sich die beiden dort nie. Wolf war ein wesentlich älterer Jahrgang. Kinkels Welt waren die Schlapphüte wohl eher nicht. Ein langjährige politische Wegbegleiter, der heutige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, meinte zum 80. Geburtstag: »BND passt nicht so richtig.«
Es zog Kinkel zurück in den Politbetrieb, ins FDP-geführte Justizministerium. Kinkel wurde 1982 Justizstaatssekretär und nach der Einheitswahl 1990 im Januar 1991 Justizminister im Kabinett Helmut Kohl. In die Anfangszeit im Justizministerium fiel eine private Tragödie: Seine älteste Tochter - eines von vier Kindern - starb mit 20 Jahren bei einem Verkehrsunfall.
Nach dem überraschenden Rücktritt Genschers stieg Kinkel 1992 zum Außenminister auf und 1993 auch noch zum Vizekanzler, nachdem Jürgen Möllemann wegen einer Affäre von diesem Amt zurücktrat. 1998 schied er nach der Wahlniederlage von Schwarz-Gelb aus der Regierung und 2002 aus dem Bundestag aus.
In der FDP schien ebenfalls eine steile Karriere vorgezeichnet. 1993 wurde Kinkel FDP-Chef, obwohl er erst 1991 als Quereinsteiger in die Partei eingetreten war. Doch nach 14 Wahlen mit erheblichen FDP-Verlusten musste er 1995 den Parteivorsitz schon wieder räumen. Und mit der Westerwelle-FDP wurde Kinkel nie so richtig warm. Kinkel räumte selbst ein: »Meine Amtszeit als Parteivorsitzender war keine absolute Glanznummer - um das vorsichtig auszudrücken.« Er sei da reingedrängt worden. Seine Stärken lägen eher in der Verwaltung.
Das könnte auch ein Grund sein, weshalb Kinkel als Außenminister und Vizekanzler nie ganz aus dem Schatten seines Ziehvaters Genschers heraustreten konnte. Auf seinen Auslandsreisen vertrat Kinkel die gewachsene außenpolitische Verantwortung Deutschlands nach der Einheit. Doch damit hatte er gegen Kohl einen schweren Stand. Anders als Genscher, der das Kanzleramt stets auf klare Distanz zur FDP-Domäne Außenpolitik hielt, konnte sich Kinkel mit dem Thema Wiedervereinigung neben dem Kanzler der Einheit nie richtig profilieren. »Es war nicht immer leicht mit Herrn Kohl«, sagte er.
In seiner letzten Legislaturperiode im Bundestag von 1998 bis 2002 war Kinkel Fraktions-Vize und vor allem Obmann im Sportausschuss und sportpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Das kam sicherlich seinen sportlichen Ambitionen entgegen. Im November 2016, kurz vor seinem 80. Geburtstag übernahm er noch den Vorsitz der DFB-Ethikkommission. Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag arbeitete Kinkel als Anwalt. Ein paar Jahre lang war Kinkel auch Vorsitzender der Stiftung der Deutschen Telekom. Bis ins hohe Alter spielte er Tennis, ging Laufen oder fuhr Ski.
Früher - zu Bonner Zeiten, als er noch nicht an den Rollstuhl gebunden war - habe er mit Kinkel immer Tennis gespielt, erzählte Schäuble zu Kinkels 80. und fügte hinzu: »Ich war der Überzeugung, dass ich besser bin. Aber ich habe immer verloren.« Kinkel entgegnete mit schwäbischem Akzent: »Ich hab's damals nicht gewinnen wollen. 'S isch halt so komma.« (dpa)