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Kindergrundsicherung kostet laut Diakonie weit mehr Geld

Kinder aus der Armut holen: Wenn es nach Familienministerin Lisa Paus geht, soll das mit der Kindergrundsicherung gelingen. Das wird nicht billig. Doch eine Studie zeigt nun, dass Kinderarmut auch ihren Preis hat.

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie
Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, rückt in der Diskussion um die Kindergrundsicherung die mittel- und langfristigen Belastungen in den Fokus. Foto: Bernd von Jutrczenka/DPA
Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, rückt in der Diskussion um die Kindergrundsicherung die mittel- und langfristigen Belastungen in den Fokus.
Foto: Bernd von Jutrczenka/DPA

Kinderarmut zu bekämpfen ist eine Mammutaufgabe - und braucht eine Menge Geld. Wohl mehr Geld, als die zwei Milliarden Euro, die Finanzminister Christian Lindner (FDP) für die Einführung der Kindergrundsicherung ausgeben will.

Dabei hat Kinderarmut einer Studie zufolge einen hohen Preis für Staat und Gesellschaft. Demnach haben armutsbetroffene Kinder ein höheres Risiko, gesundheitliche Probleme zu bekommen und arbeitsunfähig zu werden als Kinder aus ökonomisch starken Familien. Alleine die direkten und indirekten Kosten im Zusammenhang mit Adipositas, deren Risiko mit Kinderarmut steigt, liegen bei jährlich mehr als 60 Milliarden Euro, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Diakonie untersucht. Damit sorge Kinderarmut langfristig für höhere öffentliche Ausgaben für Gesundheitsversorgung sowie höhere Auszahlungen in den Sozialversicherungssystemen.

Diakonie stellt Gutachten vor

»In der Diskussion über die Kindergrundsicherung dürfen nicht nur die kurzfristigen Sparzwänge im Bundeshaushalt eine Rolle spielen«, sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie bei der Präsentation des Gutachtens. »Wir müssen auch über die mittel- und langfristigen Belastungen für Staat und Steuerzahler sprechen, die sich zwangsläufig ergeben, wenn wir nicht frühzeitig in alle Kinder investieren.« Denn gesunde und gut ausgebildete Kinder hätten deutlich bessere Chancen, sich ein selbstständiges Leben mit höheren Einkommen und einer geringen Abhängigkeit von staatlichen Hilfen aufzubauen.

Mit der Kindergrundsicherung will Familienministerin Lisa Paus (Grüne) Leistungen für Familien zusammenfassen und diese zugleich erhöhen. Die FDP sieht Leistungsverbesserungen kritisch. Finanzminister Christian Lindner sagte der »F.A.Z.«: »Eine fünfköpfige Familie, die Bürgergeld bezieht, erhält heute schätzungsweise 36.000 bis 38.000 Euro im Jahr vom Steuerzahler.« Es helfe wenig, ihnen nun hohe zusätzliche Transfers zu zahlen, seien es 1000 oder gar 3000 Euro im Jahr.

Wie viel die Kindergrundsicherung nun kosten wird, bleibt strittig. Für das Jahr 2025, in dem sie starten soll, sind momentan nur zwei Milliarden Euro vorgemerkt. Paus hatte jedoch zu Beginn zwölf Milliarden pro Jahr gefordert und war zuletzt von maximal sieben Milliarden Euro jährlichen Kosten ausgegangen. Nach einem Bericht von »Zeit online« ist im Gesetzentwurf von Paus nun von zunächst 3,5 Milliarden Euro die Rede. »Die Gesamtkosten betragen für den Zeitraum vom 1. Januar 2025 bis 31. Dezember 2025 3,5 Mrd. Euro«, heißt es dem Bericht zufolge in dem Papier.

Notwendig wären mindestens 20 Milliarden Euro

Für die Diakonie ist keine der Summen ausreichend: Notwendig wären nach ihren Angaben mindestens 20 Milliarden Euro. »Das ist ein Bruchteil der Summe, die Staat und Steuerzahler heute schon schultern müssen, wenn Kinderarmut nicht energischer bekämpft, sondern stattdessen lieber die enormen Folgekosten in Kauf genommen werden«, sagte Diakonie-Präsident Lilie.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Marcel Fratzscher, dringt ebenfalls auf eine rasche Einführung der Kindergrundsicherung. »Große Sorge bereitet mir, dass die Kindergrundsicherung aus Kostengründen scheitern könnte«, sagte Fratzscher. »Es wäre ein Fehler, die Ausgaben für die Kindergrundsicherung auf zwei Milliarden Euro zu drücken, wie es derzeit im Bundeshaushalt vorgesehen ist.« Die besten Investitionen, die ein Staat machen könne, sei in seine Menschen.

Knapp jedes vierte Kind von Armut betroffen

Aktuell ist nach den Daten des Statistischen Bundesamtes knapp jedes vierte Kind von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Vor Beginn der Inflation war es noch etwa jedes fünfte Kind. Besonders betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden: 2022 waren 25,5 Prozent der Alleinerziehenden bei Haushalten armutsgefährdet. Bei zwei Erwachsenen mit einem Kind waren es dagegen 8,6 Prozent.

Und das bedeutet der Studie zufolge auch im Bereich Bildung hohe Folgekosten: Der oft schlechtere Zugang zu Bildungsangeboten für armutsbetroffene Kinder führe zu niedrigeren Bildungsabschlüssen und begrenzten beruflichen Perspektiven. Das wiederum erhöhe das Risiko von Arbeitslosigkeit und bedeute langfristig gesellschaftliche Kosten in Form von ausbleibenden Steuer- und Sozialabgaben und zusätzliche Transferleistungen. »Diese Kosten belaufen sich alleine für Personen eines Jahrgangs mit unzureichender Bildung auf 1,5 Milliarden Euro jährlich«, heißt es weiter.

© dpa-infocom, dpa:230818-99-874933/5