Bei der Beerdigung des früheren sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow wird kein führender Politiker Europas erwartet. Weder London noch Paris und Berlin werden - ungeachtet ihrer Wertschätzung für den »Vater von Glasnost und Perestroika« - Regierungspolitiker zu der Veranstaltung an diesem Samstag in Moskau entsenden.
Hintergrund ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die daraufhin folgenden Sanktionen gegen Moskau. Der Flugverkehr von Europa nach Russland ist deshalb eingestellt. Beide Seiten haben ihren Luftraum für einander gesperrt.
Russland hat zudem mit Restriktionen für westliche Politiker reagiert und diese auf eine Schwarze Liste gesetzt. Aus Großbritannien beispielsweise sind sowohl der amtierende Premier Boris Johnson als auch seine beiden möglichen Nachfolger Liz Truss und Rishi Sunak vom russischen Außenministerium mit einem Einreiseverbot belegt.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte seinen Verzicht auf eine Teilnahme damit begründet, dass es keine Einladung gebe. Insofern stelle sich die Frage nicht. Vorgängerin Angela Merkel wiederum sagte unter Verweis auf eine Knieverletzung ab.
So werden vor allem ausländische Botschafter und Diplomaten Gorbatschow die letzte Ehre erweisen. Der Élysée-Palast teilte mit, dass Präsident Emmanuel Macron durch den französischen Botschafter in Russland, Pierre Levy, repräsentiert werde.
Deutschland wird bei der Beerdigung des früheren sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow durch den Geschäftsträger der Botschaft in Moskau vertreten sein. Der deutsche Botschafter Géza Andreas von Geyr könne wegen eines positiven Corona-Tests nicht selbst an der Trauerfeier an diesem Samstag teilnehmen, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Freitag in Berlin mit. An seiner Stelle komme daher sein protokollarischer Vertreter.
Auch aus Österreich kommt nur der Geschäftsträger der Botschaft. Der Botschafter selbst weilt gerade bei einer Diplomaten-Konferenz in Wien.
Beerdigung auf dem Moskauer Prominentenfriedhof
Gorbatschows Tochter Irina erklärte, die Trauerfeier für ihren Vater werde in bescheidenem Rahmen stattfinden. Der Leichnam wird zunächst für mehrere Stunden im Haus der Gewerkschaften in Sichtweite des Kremls aufgebahrt. Traditionell wurden dort die Sowjetführer nach ihrem Tod ausgestellt, so dass sich alle Trauernden von ihnen verabschieden können. Anschließend soll Gorbatschow auf dem Moskauer Prominentenfriedhof am Neujungfrauenkloster bestattet werden.
Auch wenn Kremlsprecher Dmitri Peskow »Elemente eines Staatsbegräbnisses« für die Beerdigung zusagte - unter anderem soll es eine Ehrenwache im Gewerkschaftshaus geben - wird die Veranstaltung bei weitem nicht den Umfang haben, den beispielsweise die Beerdigung des russischen Präsidenten Boris Jelzin (1931-2007) einnahm. Jelzins Trauerfeier fand in der zentralen Christ-Erlöser-Kathedrale statt, Präsident Wladimir Putin hielt eine Trauerrede.
Der Kremlchef wird der Trauerfeier diesmal ganz fernbleiben. Sein Sprecher Peskow begründete dies mit Terminproblemen - Putin bereitet demnach seine Reise in den Fernen Osten Russlands vor, wo er unter anderem ein großes Militärmanöver inspizieren will. Putin hatte daher bereits am Donnerstag Gorbatschow die letzte Ehre erwiesen.
In Russland hat Gorbatschow bei weitem nicht den Stellenwert, den er im Ausland genießt. Viele Politiker und Bürger sehen ihn als »Totengräber der Sowjetunion«, die unter seiner Führung zusammenbrach. Da dies einherging mit einer massiven Verarmung der Bevölkerung in den 1990er Jahren und dem Aufbrechen zahlreicher nationaler Konflikte, ist der Friedensnobelpreisträger im eigenen Land nach wie vor umstritten.
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