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Keine Experimente - Söders Strategie für die Schicksalswahl

Als Ort für seine nächste Krönung als Spitzenkandidat hat sich Parteichef Söder seine Heimatstadt ausgesucht. Am Ende bekommt er 100 Prozent. Was das wert ist, zeigt sich in 155 Tagen.

Markus Söder
CSU-Parteichef Markus Söder bleibt der Spitzenkandidat seiner Partei. Foto: Peter Kneffel
CSU-Parteichef Markus Söder bleibt der Spitzenkandidat seiner Partei.
Foto: Peter Kneffel

Nicht einmal eine Maß Bier, die ein CSU-Delegierter seinem Nebenmann für eine Nein-Stimme verspricht, kann etwas am Ergebnis ausrichten: Einstimmig wird Markus Söder auf einem Parteitag in Nürnberg zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Oktober gekürt. »Äh, ja«, sagt Söder. »Ich bedanke mich wirklich sehr, sehr, sehr bei euch.« Die Bewährungsprobe aber kommt erst noch. »Nun ist er alleine verantwortlich«, sagt ein CSU-Vorstand. »Er alleine.«

3728 Stunden, rechnet Söder vor, sind es noch, bis am 8. Oktober die Landtagswahllokale schließen. Bis zu Söders bislang wichtigster Bewährungsprobe, seiner Schicksalswahl. Zur Erinnerung: Bisher hat die CSU bei keiner großen Wahl unter seiner Führung zugelegt - im Gegenteil: 2018, ein halbes Jahr nach Söders Amtsantritt als Ministerpräsident, stürzte die CSU auf 37,2 Prozent ab und verlor die absolute Mehrheit im Landtag - was in der Folge nur Söders Vorgänger Horst Seehofer zugeschoben wurde.

Auch bei der Bundestagswahl 2021 rutschte die CSU ab, auf 31,7 Prozent. Diesmal setzte sich in der Partei die Lesart durch, dies sei nur dem Unions-Spitzenkandidaten Armin Laschet zuzuschreiben. Einzig bei der Europawahl 2019 konnte die CSU ihr Ergebnis konstant halten - was gemeinhin aber damit erklärt wurde, dass die CSU mit Manfred Weber den europaweiten EVP-Spitzenkandidaten stellte.

Söder allein verantwortlich

Diesmal ist klar: Nun muss allein Söder liefern. Das erklärt wohl, weshalb der 56-Jährige die Wahl so derart wichtig nimmt, seit vielen Monaten alles danach ausrichtet. Warum er versucht, alle Hindernisse und potenzielle Gefährdungen aus dem Weg zu räumen - bis hin zum Wolf in den bayerischen Alpen, der nach einer im Eiltempo beschlossenen und juristisch wackeligen Verordnung erst einmal leichter geschossen werden darf. Warum er nach der Corona-Krise nimmermüde durch Bayern tourt, das »Mikroklima« verbessern will und Twitter und Co. mit Söder-Fotos aus allen Landesteilen überschwemmt.

Eigentlich, sagen nicht nur seine Parteifreunde, hat es Söder gar nicht nötig, so nervös zu sein. Die CSU-Umfragewerte liegen aktuell konstant zwischen 40 und 42 Prozent, also deutlich besser als vor fünf Jahren. Und weil die Freien Wähler ebenfalls konstant bei um die zehn Prozent rangieren, steht der Fortsetzung der Koalition mit den Freien Wählern nach derzeitigem Stand nichts im Wege.

Doch eigentlich, sagen mehrere Delegierte übereinstimmend, müssten die Umfragen längst besser sein - wenn man einerseits Söders Pensum anschaut, andererseits die zunehmende Kritik an der Ampel im Bund. Ein CSU-Vorstand mutmaßt gar, das bisherige Umfrageplus im Vergleich zu 2018 gehe nur zu einem Viertel auf Söder zurück. Kritische Stimmen sehen bei ihm gar ein Glaubwürdigkeitsproblem, da Söder seit Jahren nur in Superlativen spreche - dies mache seine Meinungsänderungen besonders schwer verständlich und angreifbar.

Kein Platz für Freie Wähler

Auffällig ist, dass Söder den Freien Wählern in Sichtweite der Wahl keinen Millimeter Raum mehr überlässt. Eigentlich sei man ja ein Team mit dem Koalitionspartner der Wahl. Aber als Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger etwa versuchte, mit der neuen Wolfs-Verordnung zu punkten, im Alleingang einen Besuch im Gebirge ankündigte, fuhr Söder kurzerhand mit. Natürlich war er es dann, der die Schlagzeilen beherrschte, nicht Aiwanger. Mission erfüllt.

Auffällig ist auch, dass es keine ganz großen eigenen Akzente Söders mehr gibt. Die milliardenschwere High-Tech-Agenda, auch wenn von Experten hochgelobt, ist schon einige Jahre alt und taugt kaum zum Wahlkampf-Schlager. Und wegen Corona-, Ukraine- und Energie-Krise sind die finanziellen Spielräume enger als früher. Ob laute Klageankündigungen - Erbschaftsteuer, Länderfinanzausgleich und Wahlrechtsreform - die Wahl beeinflussen, erscheint fraglich. Und gravierende Probleme wie der Lehrermangel lassen sich nicht mal so eben lösen. Nebenbei hat die CSU noch vier Untersuchungsausschüsse im Landtag am Hals, meist steht auch Söder ganz persönlich im Fokus.

Wie in alten Zeiten

Der Amtsinhaber versucht, mit einem scharfen Anti-Ampel-Kurs die eigenen Anhänger zu mobilisieren. »Bayern hat etwas Besseres als eine Ampel verdient«, ruft Söder in den Saal. Vor allem auf das Gendern (»Schafscheiß«), auf vermeintliche »Umerziehungsfantasien« und auf die Grünen hat er es abgesehen: »Miesmachpartei« und Verbotspartei, schimpft er. Die CSU präsentiert er dagegen konservativ wie in alten Zeiten. »Wir wollen Bayern erhalten, wie es ist«, sagt Söder.

Wie im Schlussspurt der Wahl 2018 präsentiert sich Söder als Bewahrer, der den besonders konservativen Stammwählern mit dem Wahlkampf getreu dem Motto »Weiter so« und »keine Experimente« aus der Seele spricht. Dies scheint dem früheren CSU-Visionär wichtiger zu sein, als neue Wähler anzusprechen. Vor Jahren hieß es noch, wer nicht mit der Zeit gehe, der gehe mit der Zeit.

Und was, wenn die Landtagswahl für Söder tatsächlich ein Erfolg werden sollte? Je nach Wahlergebnis dürfte dann über kurz oder lang die K-Frage wieder aufs Tableau kommen - auch wenn Söder zuletzt recht deutlich sagte: »Ich stehe da nicht zur Verfügung.« Und wenn am Ende doch noch etwas schiefgehen sollte? Aus Erfahrung weiß man: Wenn sie Erfolge garantieren, steht die CSU zu ihren Vorsitzenden. Wenn nicht, kann es damit aber auch schnell vorbei sein.

© dpa-infocom, dpa:230506-99-586156/3