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Karlsruhe prüft Gefangenenvergütung unter Mindestlohn-Niveau

Arbeitende Häftlinge verdienen keine 20 Euro am Tag, viele sogar deutlich weniger. Kann man so lernen, dass sich ein rechtschaffenes Leben lohnt? Das hinterfragt jetzt das Bundesverfassungsgericht.

Bezahlung für die Arbeit Strafgefangener
Gefangene der Justizvollzugsanstalt Plötzensee legen in der Wäscherei Wäsche zusammen. Foto: picture alliance
Gefangene der Justizvollzugsanstalt Plötzensee legen in der Wäscherei Wäsche zusammen.
Foto: picture alliance

Mehr als zwei Jahrzehnte nach seinem letzten grundsätzlichen Urteil zur Gefangenenvergütung prüft das Bundesverfassungsgericht, ob Arbeit in Haft heute noch angemessen bezahlt wird.

Zum Verhandlungsauftakt am Mittwoch sagte der Anwalt eines klagenden Häftlings, der gesetzliche Mindestlohn solle noch in diesem Jahr auf zwölf Euro die Stunde steigen - ein Strafgefangener müsse dafür einen ganzen Tag arbeiten. Vertreter der für den Strafvollzug zuständigen Länder verteidigten in Karlsruhe die schlechte Bezahlung. Gefangenenarbeit sei nicht wirtschaftlich.

»Das ist ungerecht«

Geklagt haben zwei Betroffene aus Bayern und Nordrhein-Westfalen, die beide nicht an der Verhandlung teilnahmen. Einer der Männer, der eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt, erhielt nach Angaben seiner Prozessbevollmächtigten von der Justizvollzugsanstalt Straubing keine Genehmigung. In einer Stellungnahme, die sie für ihn verlasen, teilte er mit, ihm seien wegen des Strafverfahrens zu Recht rund 34.000 Euro Gerichtskosten auferlegt worden. Mit dem, was er verdiene, könne er seine Schulden aber nie abbezahlen. »Das ist ungerecht.«

Ein Vertreter des bayerischen Justizministeriums sagte, es gebe keinen Spielraum für Erhöhungen und verwies auf die geringe Produktivität der Gefangenenarbeit. Viele Häftlinge hätten keinen Schulabschluss oder keine Ausbildung. Bei einem Ausländeranteil von rund 45 Prozent seien die Sprachbarrieren groß. Dazu gebe es unter den Gefangenen oft Suchtprobleme oder psychische Erkrankungen. Eine Kollegin aus dem NRW-Justizministerium ergänzte, die Kosten für einen einzigen Hafttag würden derzeit knapp 170 Euro betragen.

Das Verfassungsgericht hat 1998 schon einmal die Vergütung beanstandet. Damals wurden fünf Prozent des durchschnittlichen Arbeitsentgelts gezahlt - Maßstab sind dabei immer alle gesetzlich Rentenversicherten. Eine bundesweite Erhöhung auf neun Prozent beurteilten die Richter dann 2002 als gerade noch verfassungskonform.

Stundenlohn unter 2,30 Euro

Inzwischen sind die Länder zuständig. An der Vergütung hat sich aber nichts geändert - obwohl Karlsruhe seinerzeit eine »stete Prüfung« angemahnt hatte. Vizegerichtspräsidentin Doris König sagte, aktuell bewege sich der Stundenlohn je nach Leistung und Art der Arbeit zwischen 1,37 Euro und 2,30 Euro. Das laufe auf knapp 11 bis 18,40 Euro am Tag hinaus, wobei nur wenige die höchste Stufe erreichten.

In den zwölf Bundesländern, in denen eine Arbeitspflicht gilt, können sich die Gefangenen außerdem noch Freistellungstage erarbeiten. Diese können auch für eine frühere Entlassung angespart werden. Zusätzlich ist eine Art Urlaub vorgesehen. Nach Ansicht der Gefangenen-Anwälte ist der Wert dieser Tage für die Betroffenen aber begrenzt.

Manuel Matzke von der Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation (GG/BO), der früher selbst in Haft saß, forderte eine Vergütung nach Mindestlohn. Die Häftlinge wollten angemessen bezahlt und nicht ausgebeutet werden, sagte er. Externen Unternehmen warf er vor, die Gefängnisse »als Wirtschaftszone für sich entdeckt« zu haben, die Firmen und die Justiz arbeiteten hier Hand in Hand. »Es ist einfach so, dass beide Seiten davon profitieren.«

Für Donnerstag ist ein zweiter Verhandlungstag angesetzt. Das Urteil wird erst in einigen Monaten verkündet. (Az. 2 BvR 166/16 u.a.)

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