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»Kann ich hier wirklich in Ruhe leben?«

Menschen mit Migrationsgeschichte fühlen sich in Deutschland zunehmend angefeindet und herabgesetzt. Mit Solidaritätskundgebungen allein ist es aus Sicht der Betroffenen nicht getan.

AfD-Wahlplakat
Ein AfD-Wahlplakat aus dem Jahr 2017 in Dresden. Foto: Arno Burgi/DPA
Ein AfD-Wahlplakat aus dem Jahr 2017 in Dresden.
Foto: Arno Burgi/DPA

Für die Mehrheitsgesellschaft ist es vor allem eine politische Frage, wie man mit der AfD umgeht. Eine Partei, deren Abgeordneter Roger Beckamp Zuwanderer im Bundestag als »kulturfremde Ersetzungsmigranten« diffamiert. Für diejenigen, die in der Schule, am Arbeitsplatz und in der U-Bahn als Menschen mit Einwanderungsgeschichte wahrgenommen werden, geht es noch um viel mehr.

Berichte über ein Treffen von Politikern mit bekannten Akteuren der sogenannten Neuen Rechten verunsichern viele Menschen mit ausländischen Wurzeln. Bei Politikern und Beratungsstellen, die sich um ihre Belange kümmern, häufen sich die Anfragen. Bei dem Treffen war nach Angaben von Teilnehmern darüber gesprochen worden, welche Menschen - auch über den Kreis der vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer hinaus - Deutschland verlassen sollten und wie dies befördert werden könnte.

»Das ist beschämend für unser Land«

»Menschen, die als Kinder von Einwanderern in Deutschland aufgewachsen sind, fragen sich, ob es für sie hier noch eine Zukunft gibt«, berichtet Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, die sich in der Bundesregierung um Fragen zu Integration und Antirassismus kümmert. »Das ist beschämend für unser Land, gerade mit unserer Geschichte.« Und die Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan sagt, dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichte jeden Tag dafür kämpfen müssten, ein gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft zu sein. »Die menschenverachtenden Vertreibungspläne der AfD sind dabei eine zusätzliche psychische Belastung für die Betroffenen.«

Aus Sicht der Betroffenen hat die Negativspirale nicht erst begonnen, als vergangene Woche durch einen Bericht des Medienhauses Correctiv die Vernetzung von rechtsextremistischen Aktivisten mit bestimmten Politikern stärker in die Öffentlichkeit rückte. Zumal der Verfassungsschutz über solche Bestrebungen schon länger berichtet.

Anstieg von Alltagsrassismus

Die Menschen, die sich im Verband binationaler Familien und Partnerschaft zusammengeschlossen haben, fühlen sich nach Angaben seiner Sprecherin, Carmen Colinas, seit vergangenem Jahr zunehmend herabgesetzt, diskriminiert und bedroht. Sie sagt: »Der Alltagsrassismus ist eklatant angestiegen.« Das liege auch daran, dass über Migration vor allem negativ diskutiert werde - und zwar nicht nur seitens der AfD.

Colinas sagt, viele Menschen, die in binationalen Familien lebten, hätten das Gefühl, dass sie dadurch »immer mehr zur Zielscheibe werden«. Ein Beispiel von vielen sei die Diskussion über »importierten Antisemitismus« und die in diesem Zusammenhang erhobene Idee, hier zusätzliche Voraussetzungen für Einbürgerungen zu schaffen. Viele Ausländer fänden so einen Generalverdacht, der schließlich von »Deutschen mit Nazi-Hintergrund« komme, bemerkenswert.

»Wo gehen wir eigentlich hin?«

Es sei schön, dass viele Menschen in den vergangenen Tagen auf die Straße gegangen seien, um gegen Rassismus und rechte Vertreibungspläne zu demonstrieren, findet die Sprecherin des Verbands. Insgesamt habe sich das gesellschaftliche Klima jedoch zuletzt in eine ungute Richtung entwickelt, so dass in binationalen Familien immer häufiger Fragen auftauchten wie »Wo gehen wir eigentlich hin?« und »Kann ich hier wirklich in Ruhe leben?«.

Sie nehme wahr, dass es von politischer Seite Versuche gebe, »Deutschland unattraktiv zu machen«, damit weniger Menschen hier Zuflucht suchten, sagt Zeynep Yanasmayan. Die Sozialwissenschaftlerin lebt seit zehn Jahren in Deutschland und arbeitet als Abteilungsleiterin beim Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin. Gleichzeitig versuchten Akteure der rechten Szene Begriffe aus der Migrationsforschung wie »Remigration« zu kapern, um damit Pläne zur Vertreibung von Zugewanderten zu kaschieren. Dass man für harte Maßnahmen wie Abschiebungen weichere Begriffe wie »Rückführungen« nutze, sei aber ein Phänomen, das durchaus auch in der Mitte des politischen Spektrums zu beobachten sei.

Auch Staatsministerin Alabali-Radovan warnt davor, zu glauben, Probleme mit Rassismus gebe es einzig und allein am rechten Rand. Dadurch, dass bei dem von Correctiv enthüllten Treffen auch Personen zugegen gewesen seien, die bei anstehenden Wahlen »reale Machtoptionen für ihre Vision eines nach völkisch-rassistischen Kriterien «gesäuberten» Deutschlands erhalten könnten«, sei zwar eine neue Dimension der Bedrohung erreicht, findet die SPD-Politikerin. Rassistische Denkmuster, Ideologien und Strukturen gebe es aber auch anderswo.

»Die menschenverachtende Vorstellung, einige Menschen seien mehr wert als andere, sitzt tief«, sagt die Antirassismus-Beauftragte. Und fügt hinzu: »Auch in der Politik haben wir viel zu lange die Augen davor verschlossen, rechten Narrativen nicht konsequent genug Einhalt geboten.«

© dpa-infocom, dpa:240118-99-656588/3