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Justizminister Buschmann nach Luftalarm in Kiew im Keller

Viele Kabinettsmitglieder sind seit Kriegsbeginn bereits in die Ukraine gereist, um Flagge zu zeigen und Hilfe zu versprechen. Justizminister Buschmann macht Angebote, die über den Krieg hinausreichen.

Bundesjustizminister Buschmann besucht Ukraine
Marco Buschmann (FDP, r), Bundesminister der Justiz, spricht mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko vor einem durch einen Drohnenangriff zerstörten Haus in der ukrainischen Hauptstadt. Foto: Anne-Beatrice Clasmann
Marco Buschmann (FDP, r), Bundesminister der Justiz, spricht mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko vor einem durch einen Drohnenangriff zerstörten Haus in der ukrainischen Hauptstadt.
Foto: Anne-Beatrice Clasmann

Bundesjustizminister Marco Buschmann und sein ukrainischer Kollege, Deniys Maljuska, haben ein Arbeitsprogramm zur Zusammenarbeit im Justizbereich für die kommenden zwei Jahre unterzeichnet. Ein Treffen mit Bürgermeister Vitali Klitschko vor einem zerstörten Haus in Kiew musste der FDP-Politiker abkürzen.

Als am Freitag Sirenen in der ukrainischen Hauptstadt vor Luftangriffen warnten, suchte er mit seiner Delegation Schutz im Keller der deutschen Botschaft.

Buschmann war am Freitagmorgen mit dem Nachtzug aus Polen in Kiew eingetroffen. Es war sein erster Besuch in der Ukraine seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar. Zwischen seinen Terminen mit Regierungsvertretern ließ sich Buschmann Kriegsschäden in der Hauptstadt zeigen.

Der russische Präsident Wladimir Putin lasse Zivilisten und die Infrastruktur bombardieren, weil er an der Front keinen Erfolg habe, sagte Kiews Bürgermeister. »Jede dritte Wohnung in Kiew ist ohne Strom.« Durch Angriffe auf Heizkraftwerke und die Wasserversorgung wolle Putin »Panik« erzeugen, fügte Klitschko hinzu. Doch das Gegenteil sei der Fall: »Die Menschen sind wütend.«

»Wir stehen heute an der Seite der Ukraine und wir werden es auch in Zukunft tun«, sagte Buschmann. Es sei ein Fehler gewesen, 2014 nicht konsequenter auf die russische Aggression zu reagieren. Deutschland wolle die Ukraine dabei unterstützen, »auch die rechtsstaatlichen Standards im Rahmen des Aufnahmeverfahrens in die Europäische Union zu erfüllen«. Justizminister Maljuska sagte, er wisse es sehr zu schätzen, dass die deutschen Regierungsmitglieder auch nach den Angriffen der vergangenen Wochen »keine Angst haben, hierherzukommen«. Ein Schwerpunkt des Gesprächs zwischen den beiden Ministern war die internationale Strafverfolgung von Kriegsverbrechen.

Einen großen Eindruck machte auf Buschmann und seine Delegation ein Besuch im abgedunkelten Ministerkabinett am Abend, wo Sandsäcke in den Gängen aufgetürmt lagen. Dort führte er ein Gespräch mit der Vize-Premierministerin Olha Stefanischyna, die ihn über die Schwierigkeiten bei den Ermittlungen zu Fällen sexualisierter Gewalt in den vormals russisch besetzten Gebieten informierte.

Aufklärung nicht nur für die Ukraine wichtig

Aus Sicht von Buschmann sind die Ermittlungen zu russischen Kriegsverbrechen in den vergangenen Monaten seit dem Überfall auf das Nachbarland im Februar nicht nur für die Ukraine von großer Bedeutung. Bei einem Besuch der Vereinten Nationen im Oktober hatte Buschmann bereits betont: »Nur wenn die Staatengemeinschaft Russland in die Schranken weist, haben Freiheit und Sicherheit in der Welt eine Zukunft.« Der Kampf in der Ukraine, »ist auch unser Kampf, deshalb ist es so wichtig, dass die Ukraine obsiegt«, betonte der Gast aus Berlin.

Mit der Verfolgung von Kriegsverbrechen, die im Ausland begangen werden, hat die deutsche Justiz Erfahrung. Im Januar hatte das Oberlandesgericht Koblenz den ehemaligen Vernehmungschef eines syrischen Geheimdienstgefängnisses zu lebenslanger Haft verurteilt. Er soll für die Folter von mindestens 4000 Menschen und den Tod von mindestens 27 Gefangenen mitverantwortlich gewesen sein. Die deutsche Polizei hat bereits einige Hundert Zeugenaussagen von ukrainischen Geflüchteten zu Kriegsverbrechen durch russische Angreifer aufgenommen.

Sondertribunal angeregt

Die ukrainische Regierung und das mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete ukrainische Zentrum für bürgerliche Freiheiten setzen sich für die Schaffung eines Sondertribunals zur Verfolgung von in der Ukraine begangenen russischen Verbrechen ein. Die Regierung in Kiew ist der Auffassung, ein solches Tribunal sollte sich mit der Völkerrechtsstraftat der Aggression befassen. Außerdem wirbt sie international um Unterstützung für zwei weitere Vorhaben: Die Schaffung eines Schadensregisters und die Forderung an Russland nach einer individuellen Kompensation für erlittene Kriegsschäden.

Die Exekutivdirektorin des Zentrums für bürgerliche Freiheiten, Sascha Romantsova, sagte bei einem Treffen mit Buschmann auf dem geschichtsträchtigen Platz der Unabhängigkeit, die Ukrainer glaubten an einen Sieg in diesem Krieg, »weil wir wissen, dass wir einander vertrauen können«. Dem Zentrum war der Friedensnobelpreis zusammen mit der in Russland inzwischen aufgelösten Organisation Memorial und dem inhaftierten belarussischen Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki zuerkannt worden.

Der ukrainische Generalstaatsanwalt, Andrij Kostin, empfing den deutschen Minister mit warmen Worten. Er sagte, Deutschland habe mit seinen Waffenlieferungen dazu beigetragen, »dass unser Luftraum sicherer wird, Schritt für Schritt«. Sein Amtssitz ist von Sandsäcken und handgeknüpften Tarnnetzen umgeben. Deutschland will die Ukraine auch dabei unterstützen, die für den von ihr angestrebten EU-Beitritt notwendigen Reformen umzusetzen. Mit Expertise soll Deutschland beispielsweise bei der Korruptionsbekämpfung helfen.

© dpa-infocom, dpa:221104-99-384032/9