Etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung glaubt, dass von sogenannten Reichsbürgern eine ernste Gefahr für die Demokratie und ihre Repräsentanten ausgeht.
Bei einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov vertraten 53 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer diese Ansicht. 31 Prozent der Befragten sehen eine solche Gefahr nicht. 15 Prozent der Teilnehmer der repräsentativen Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur äußerten sich zu dieser Frage unentschieden.
Im Westen wird die Gefahr den Angaben zufolge etwas größer eingeschätzt als im Osten Deutschlands. Während im Westen rund 56 Prozent der Bevölkerung der Ansicht sind, dass diese Extremisten eine ernste Gefahr für die Demokratie und ihre Repräsentanten sind, glauben das in den neuen Bundesländern nur 44 Prozent der Menschen.
Dass »Reichsbürger« auch für sie selbst eine Bedrohung darstellen könnten, denkt nur eine Minderheit. 63 Prozent der Menschen in Deutschland sehen ein solches persönliches Risiko laut Umfrage nicht. Knapp jeder fünfte Befragte (19 Prozent) gab an, er fühle sich durch diese Extremisten etwas bedroht. Lediglich 7 Prozent der erwachsenen Bürgerinnen und Bürger sind der Meinung, dass »Reichsbürger« für sie persönlich sehr bedrohlich seien.
Unter den Inhaftierten ist auch eine bekannte AfD-Politikerin
»Reichsbürger« sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Die Bundesanwaltschaft hatte am Mittwoch vergangener Woche 25 Menschen festnehmen lassen, darunter auch frühere Offiziere und Polizeibeamte. 22 der Festgenommenen wirft sie vor, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System stürzen wollte. Drei Festgenommene gelten als Unterstützer. Die 23 in Deutschland festgenommenen Beschuldigten sind in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft sprach zudem von 27 weiteren Beschuldigten.
Unter den Inhaftierten ist auch eine bekannte AfD-Politikerin. Die Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann gehört dem Bundesschiedsgericht der Partei an und war zwischen 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag.
Jeder Zweite (50 Prozent) vertritt die Auffassung, die AfD sei mitverantwortlich für die Radikalisierung in der »Reichsbürger«-Szene. Knapp jeder Vierte (24 Prozent) glaubt das nicht. Etwa genauso viele Menschen (26 Prozent) hatten dazu entweder keine Meinung oder machten keine Angaben.
Unter den Befragten, die angaben, bei der Bundestagswahl 2021 die AfD gewählt zu haben, war der Anteil derjenigen, die »Reichsbürger« als Gefahr für die Demokratie einschätzen, sehr niedrig. Am häufigsten vertraten Wähler der Grünen diese Ansicht.
Politiker verschiedener Parteien warnten davor, das nun entdeckte Netzwerk als harmlosen Zusammenschluss spinnerter Rentner abzutun. Zuvor war bekannt geworden, dass bei den Verdächtigen rund 90 Waffen gefunden worden waren, darunter Schwerter, Armbrüste und Schusswaffen. Außerdem soll einer der Beschuldigten als Waffenhändler Zugang zu weiteren Waffen gehabt haben.
»Es gibt noch viele offene Fragen«
Aus Sicherheitskreisen hieß es, unter den Beschuldigten seien zahlreiche Menschen, die mit Waffen umgehen könnten - entweder aufgrund früherer beruflicher Erfahrungen oder als Sportschützen, beziehungsweise Jäger. Unter den mutmaßlichen Verschwörern, die in Untersuchungshaft sitzen, ist den Angaben zufolge ein Mann aus Baden-Württemberg, der in der Vergangenheit unter anderem mit Betrug und Körperverletzungsdelikten aufgefallen war.
»Es gibt noch viele offene Fragen, aber es wird immer deutlicher, wie tief und gefährlich dieser Verschwörungssumpf reicht«, sagte Marcel Emmerich, Obmann der Grünen im Innenausschuss. Emmerich betonte: »Es waren keine Küchenmesser, Luftgewehre und eine kleine Gruppe von Verrückten, sondern eine dreistellige Zahl von Personen mit über 200 schussbereiten Waffen, mit Wissen und Zugang zu den Sicherheitsbehörden.« Rechtspopulisten redeten Reichsbürger, ihre Taten und Pläne klein, denn »die ideologischen Schnittmengen zwischen Reichsbürgern und AfD sind offensichtlich«. Die Partei sei »ein Sicherheitsrisiko für den Bundestag und die Menschen, die dort arbeiten«
»Das ist hier kein Kabarett, das ist hier kein Spaß«
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, sagte: »Die Dimension dieses rechtsextremen Netzwerks ist enorm, was die Anzahl der dazugehörigen Menschen betrifft und auch mit Blick auf die Gewaltbereitschaft. Da tut sich ein Abgrund auf.« Umso schlimmer sei es, »wenn die AfD und andere Akteure aus dem rechten Spektrum Offensichtliches verharmlosen«. Etwa indem sie sagten, die Beschuldigten seien psychisch krank und nicht zurechnungsfähig. Auch rechte Medien verbreiteten das Narrativ, »das seien ein paar harmlose Rentner gewesen« - da werden Nebelkerzen gezündet.
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel kritisierte derweil Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Andere Themen würden außer Acht gelassen würden, wie offene Grenzen und Kriminalität. Faeser solle sich damit beschäftigen "und nicht mit so einem, sag ich jetzt mal, angestrebten "Rollator-Putsch". Weidel sagte zugleich, sie wolle das nicht bagatellisieren.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz sagte, er begrüße, dass Faeser und ihre Länderkollegen "mit aller Härte" gegen die "Reichsbürger"-Szene vorgingen. »Das ist hier kein Kabarett, das ist hier kein Spaß«, betonte der CDU-Vorsitzende, dessen Name auf einer Liste stand, die bei einem der in dem Verfahren Beschuldigten gefunden wurde. "Das ist eine ernsthafte Bedrohung unserer Sicherheit - nicht unserer Demokratie, so weit reichen die Eingriffe in den Rechtsstaat dieser Damen und Herren sicher nicht."
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