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Italien und Seenotrettung - Nach der Wahl die Blockade?

Eine staatliche Seenotrettung gibt es im Mittelmeer lange nicht mehr, stattdessen sind Freiwillige im Einsatz. Der Wahl in Italien blicken viele mit Sorge entgegen: Was macht eine mögliche rechte Regierung?

Migranten in Italien
Migranten sitzen in einem Holzboot südlich der italienischen Insel Lampedusa auf dem Mittelmeer. Foto: Francisco Seco
Migranten sitzen in einem Holzboot südlich der italienischen Insel Lampedusa auf dem Mittelmeer.
Foto: Francisco Seco

Nach fast zwei Wochen Warten brandet unter den Geretteten an Bord der »Sea-Eye 4« Jubel auf, Helfer fallen sich in die Arme. Die deutschen Seenotretter und 87 Migranten dürfen einen Hafen auf Sizilien ansteuern. Während für sie ein Happy End näher rückt, wagen im zentralen Mittelmeer schon wieder neue Migranten die Überfahrt von Nordafrika gen Süditalien. Die Zahlen steigen.

Zeitgleich zur Kursänderung der »Sea-Eye 4« in Richtung Pozzallo veröffentlichen drei Parteien der italienischen Mitte-Rechts-Allianz am Donnerstagabend ihr Programm für den Wahlkampf. Darin ist die Lage im Mittelmeer ein wichtiger Punkt. Der Willen der Wahlfavoritin Giorgia Meloni von den postfaschistischen Fratelli d'Italia: eine Seeblockade schon vor den Küsten Nordafrikas, Camps für die Geflüchteten, frühzeitiges Aussortieren der Nicht-Asylberechtigten.

Die freiwilligen Helfer sind entsetzt. »Lager für Geflüchtete?«, fragt Gorden Isler. Derartige Versuche seien schon auf griechischen Inseln gescheitert, sagt der Vorsitzende des Regensburger Vereins Sea-Eye und erinnert an teils chaotische Zustände dort in den vergangenen Jahren. Wegen der griechischen Seeblockaden wagen viele Migranten riesige Umwege, um etwa von der Türkei oder dem Libanon direkt nach Italien zu gelangen. »Die Menschen werden Wege finden. Diese Wege könnten dann noch gefährlicher und noch tödlicher sein.«

Rom: 2022 bislang rund 45.000 Menschen angekommen

Tausende wollen von Nordafrika aus jedes Jahr auf teils klapprigen Booten Malta oder Süditalien erreichen. Laut Innenministerium in Rom kamen 2022 bislang rund 45.000 Menschen an den italienischen Küsten an - im Vergleichszeitraum 2021 waren es gut 32.000. Die Vereinten Nationen zählten in diesem Jahr bereits mehr als 900 Tote oder Vermisste im zentralen Mittelmeer.

Am Donnerstag konnten rund 40 Menschen vor der Insel Lampedusa gerde noch gerettet werden, nachdem ihr Holzboot gekentert war. Papst Franziskus spricht immer wieder vom »größten Friedhof Europas« und fordert die Politik zu mehr Humanität gegenüber Flüchtenden auf.

Meloni und ihre zwei Verbündeten Matteo Salvini (Lega) und Silvio Berlusconi (Forza Italia) haben etwas ganz anderes vor. Bei einem Wahlsieg am 25. September - und der ist laut Umfragen sehr wahrscheinlich - wollen sie Italien abriegeln für Migranten. Und die libyschen Sicherheitskräfte dürften laut Meloni gerne mithelfen.

Für Menschen, die ihre Heimat verlassen und in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa die Flucht wagen, ist das ein Alptraumszenario. Das weiß auch der Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke von den Grünen. Er war seit Ende Juli an Bord der »Sea-Eye 4« und redete mit den Geretteten über deren Erlebtes. Manche dieser Berichte ließen ihn abends im Bett noch lange wach bleiben.

»Ein Gast auf dem Schiff erzählte mir von seiner Zeit in Libyen, den Camps dort, dass durch den aufflammenden Bürgerkrieg in Tripolis in den Straßen Kämpfe stattfinden und überall geschossen wurde«, berichtet Pahlke der Deutschen Presse-Agentur. »Er sagte mir, als schwarzer Mensch hat man in Libyen keine Rechte.« Just dort sollen Migranten nach dem Wunsch Melonis festgehalten und überprüft werden.

Wie sieht die Koordination auf EU-Ebene aus?

Der Haltung widerspricht in Deutschland der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Die Pflicht zur Seenotrettung steht dort ebenso wie das Bestreben der Bundesregierung für »eine staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung im Mittelmeer«.

Allein: Bislang ist man auf EU-Ebene nicht weit gekommen mit so einer Seenotrettung. Zwar gilt in Brüssel als Erfolg, dass die meisten EU-Staaten sich im Juni auf einen Solidaritätsmechanismus geeinigt haben, der südliche Länder wie Italien entlasten soll. Doch in Kraft ist dieser auch knapp zwei Monate später noch nicht.

Es sind 21 Staaten, die den freiwilligen Solidaritätsmechanismus am 22. Juni unterschrieben hatten. Sie können Italien, Spanien, Malta, Griechenland und Zypern entweder Flüchtlinge abnehmen oder mit Geld und Sachleistungen helfen. 13 Staaten wollen sich an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen, sie haben Zusagen für insgesamt gut 8000 Menschen gemacht. Deutschland nimmt fast die Hälfte (3500), im August sollen die ersten Menschen aus Italien umgesiedelt werden.

Im Gegenzug für diese Hilfe bekommen die südlichen Staaten neue Aufgaben bei der Identifikation Schutzsuchender. Wer gar keine Aussicht auf Asyl hat, soll nach dem Willen der EU-Staaten künftig sofort abgewiesen werden können - wenn es nach Meloni geht, dann schon bevor die Menschen italienisches Staatsgebiet erreichen.

Hat Russland seine Finger im Spiel?

So eine Politik werde »dafür sorgen, dass noch mehr Menschen sterben«, sagt Grünen-Politiker Pahlke. Der neue Mechanismus zur Verteilung in Europa könnte aber »erst der Anfang« sein, hofft er.

Dabei geht die Tendenz der europäischen Asylpolitik seit Jahren grundsätzlich Richtung Abschottung. Eine staatlich getragene und EU-koordinierte Seenotrettung scheint undenkbar - zu groß waren auch die Verwerfungen infolge der großen Fluchtbewegung 2015/16.

Diese Risse könnten wieder aufreißen, wenn Meloni Regierungschefin wird. Eine zerstrittene EU - diese Idee dürfte dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gefallen. Die italienische Zeitung »La Repubblica« berichtete zuletzt sogar, dass nach Einschätzung der Geheimdienste die Söldner der russischen Wagner-Gruppe und die verbündeten Milizen von General Haftar in Libyen bewusst viele Migranten zu den Überfahrten drängen. Damit soll Italien unter Druck gesetzt werden.

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson widerspricht dieser Analyse jedoch. »Nein, wir haben keine wirklichen Anzeichen dafür, dass er (Putin) eine hybride Drohung gegen die EU einsetzen wird«, sagte die Schwedin kürzlich auf dpa-Frage. Zugleich traue sie Putin jedoch keine Sekunde. Er wolle nicht nur die Ukraine zerstören, sondern auch die EU destabilisieren. »Wir müssen also äußerst wachsam bleiben.«

© dpa-infocom, dpa:220812-99-361924/2