Bei einer denkwürdigen Rede im UN-Sicherheitsrat hat sich Israels UN-Botschafter Gilad Erdan einen gelben Stern an sein Sakko gesteckt. Auch seine Mitarbeiter trugen vor dem mächtigsten UN-Gremium gelbe Davidsterne mit der Aufschrift »Never Again« (»Nie Wieder«).
Diese erinnerten an jene gelben Sterne, die jüdischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen während der Nazi-Diktatur als Zeichen der Entrechtung und Ausgrenzung aufgezwungen worden waren. Sechs Millionen Juden wurden im Holocaust ermordet.
Er werde den Stern tragen, so wie seine Großeltern und die Großeltern von Millionen Juden, sagte Erdan an den Sicherheitsrat gewandt. »Wir werden den Stern tragen, bis Sie die Gräueltaten der Hamas verurteilen und Sie die sofortige Freilassung unserer Geiseln fordern«.
Terroristen der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas und anderer Gruppen hatten am 7. Oktober in Israel überraschend angegriffen und entsetzliche Massaker unter Zivilisten angerichtet. Mehr als 1400 Menschen wurden dabei und bei Kämpfen in den folgenden Tagen getötet. Mehr als 230 weitere Israelis wurden in den Gazastreifen verschleppt, darunter auch mehrere, die neben der israelischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.
Bodentruppen rücken voran
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte die Hamas daraufhin als »neue Nazis« bezeichnet und das Ziel ausgegeben, die islamistische Organisation zu zerschlagen. Nach rund dreiwöchigen Luftangriffen auf Hamasziele in dem Küstenstreifen laufen seit vergangenem Freitag auch Einsätze israelischer Bodentruppen, die Stück für Stück ausgeweitet werden.
Kritik an Stern-Aktion
Erdans Vergleich des aktuellen Gaza-Krieges mit dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg stieß bei manchen Israelis auf Kritik. Der Leiter der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, Dani Dajan, bedauerte die Aktion.
»Dieser Akt entehrt sowohl die Opfer des Holocaust als auch den Staat Israel«, schrieb er auf der früher als Twitter bekannten Plattform X. Der Davidstern symbolisiere die Hilflosigkeit des jüdischen Volkes und seine Ohnmacht gegenüber anderen. »Heute haben wir ein unabhängiges Land und eine starke Armee. Wir sind Meister unseres Schicksals. Heute haben wir eine blau-weiße Fahne am Revers, keinen gelben Aufnäher«, fügte Dajan hinzu.
Ein israelischer IT-Spezialist, der seinen Namen nicht genannt haben möchte, gab zu bedenken, dass er so wie wohl viele Juden weltweit eine gewisse Grundangst davor habe, von anderen angegriffen zu werden. »Diese Angst, die im Unterbewusstsein immer da war, ist durch die Gräuel der Hamas plötzlich wieder ganz aktuell. Und diese Angst-Knöpfe drückt die Regierung gerade«, sagte der junge Israeli. Der Holocaust sei aber einzigartig und ständige Vergleiche würden die Opfer nur entehren.
Der deutsch-israelische Historiker Moshe Zimmermann sagte, es gebe Elemente des Nationalsozialismus, die man mit der Hamas-Ideologie vergleichen könne. Die Hamas sei »auch eine Organisation, die judenfeindlich ist, die Juden vernichten will«. Dennoch ähnele das Massaker am 7. Oktober eher Pogromen gegen Juden in Ost-Europa. Nun sei aber erstmals »ein Pogrom auf israelischem Boden passiert«. Das bedeute, dass das Versprechen des Zionismus, Juden zu schützen, nicht eingehalten wurde.
Die israelische Regierung wolle aber für das Versagen am 7. Oktober keine Verantwortung übernehmen, sagt Zimmermann. »Daher greift man zu einem undifferenzierten Vergleich, um den Kern des Ereignisses zu verlagern. Statt einer Diskussion darüber, weshalb man das, was geschah, nicht verhindert hat, nennt man die anderen Nazis.« Wenn der israelische UN-Botschafter David Erdan in der UN-Vollversammlung einen Davidstern trage, sei dies als Trivialisierung des Holocaust einzustufen, kritisiert er.
Bisher starben im Gazastreifen nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums mehr als 8300 Menschen, mehr als 20.000 wurden verletzt.
Vergleich mit D-Day
UN-Botschafter Erdan verglich das Vorrücken israelischer Bodentruppen in den Gazastreifen in seiner Rede mit der Landung der Alliierten 1944 in der Normandie. Hätte es den Weltsicherheitsrat am 6. Juni 1944, auch als D-Day bekannt, gegeben, hätte es vermutlich auch eine heftige Debatte darüber gegeben, wie viel Strom und Treibstoff die Münchner Bürger noch hätten, sagte er vor dem Rat.
Erdan reagierte mit seiner Rede auf wachsende weltweite Besorgnis und Kritik am Leiden der palästinensischen Zivilisten. Er betonte, dass ein Vergleich der Todesopfer auf beiden Seiten durch die Hamas-Graäuel am 7. Oktober genauso unzulässig sei, wie ein Vergleich deutscher und britischer Opfer im Zweiten Weltkrieg. Die Forderung einer Feuerpause in Nahost verglich er mit der Forderung einer Feuerpause, bevor die Russen 1943 Stalingrad zurückerobert hätten.
Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer hatte schon vor Erdans Auftritt in New York betont, sie wolle für den Terrorismus der Hamas nicht die gleichen Worte verwenden wie für die Taten der Nationalsozialisten. »Wir brauchen andere Begriffe. Es ist nicht dasselbe«, sagte sie der »Zeit Online«.
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