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Israelischer Blick auf Deutschland positiver als umgekehrt

Vor dem Staatsbesuch von Israels Präsident Izchak Herzog in Deutschland blickt eine Studie auf die eigentlich guten Beziehungen der Länder. Viele Deutsche hängen jedoch antisemitischen Ressentiments an.

Israels Präsident Herzog empfängt Botschafter Seibert
Israels Präsident Izchak Herzog (r) und Steffen Seibert, Botschafter von Deutschland in Israel, bei einem Treffen in Jerusalem. Foto: Haim Zach
Israels Präsident Izchak Herzog (r) und Steffen Seibert, Botschafter von Deutschland in Israel, bei einem Treffen in Jerusalem.
Foto: Haim Zach

Israelis blicken positiver auf Deutschland als Deutsche auf Israel, Deutsche zeigen keine verbreitete »Erinnerungsmüdigkeit«, aber weiter eine bedenklich hohe Zustimmung zu antisemitischen Ressentiments - so lauten zentrale Aussagen einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zu den deutsch-israelischen Beziehungen. Diese seien in der Gesamtschau derzeit gut aufgestellt, konstatieren die Autoren der Erhebung. Sie verweisen aber auch auf Herausforderungen bei der Erinnerung an den Holocaust oder angesichts der unterschiedlich geprägten jungen Generationen in den Ländern.

Für die repräsentative Studie wurden in beiden Ländern jeweils mehr als 1200 Menschen befragt. 63 Prozent der Befragten in Israel antworteten, eine »sehr« oder »ziemlich« gute Meinung vom heutigen Deutschland zu haben - wohingegen nur 46 Prozent der deutschen Befragten so positiv auf Israel blicken. Mehr als ein Drittel hat eine »ziemlich« oder »sehr« schlechte Meinung von dem Land. Auch bei der Bewertung der jeweils anderen Regierung gibt es deutliche Unterschiede: 55 Prozent der Israelis bewerten diese positiv, unter den deutschen Befragten sind es nur 24 Prozent.

Einigkeit über Rolle des Holocaust

In beiden Ländern herrscht weitgehend Einigkeit, dass der Holocaust noch heute die Einstellung der Israelis zu Deutschen belastet. Nur acht beziehungsweise sechs Prozent finden, dass das »gar nicht mehr« der Fall ist. Eine deutsche »Erinnerungsmüdigkeit« sehen die Studienautoren in den Ergebnissen zwar nicht bestätigt. Allerdings stimmen 49 Prozent der befragten Deutschen der Aussage zu, man solle nicht mehr so viel über die Verfolgung der Juden reden, sondern einen »Schlussstrich« unter die Vergangenheit ziehen (Israelis: 14 Prozent). Unter den AfD-Anhängern befürworten dies 76 Prozent.

Dass die Erinnerung an den Holocaust für die deutsche Politik eine große Rolle spielen soll, finden 43 Prozent der Deutschen und 64 Prozent der Israelis. Anhänger der Grünen befürworten hier mit 32 Prozent viel öfter als der Schnitt der anderen Parteianhänger eine »sehr große« Rolle, AfD-Anhänger liegen dagegen mit 42 Prozent Zustimmung zu einer »sehr kleinen« Rolle deutlich über dem Schnitt.

Eine Mehrheit der Israelis findet, dass Deutschland die Sicherheit ihres Landes mehr schützen und im israelisch-palästinensischen Konflikt unterstützen sollte. Die Deutschen sind hier dagegen tendenziell auf Ausgleich zwischen den Parteien bedacht: 41 Prozent befürworten, »beide zu gleichen Teilen«, 30 Prozent »keine von beiden« zu unterstützen. Die Ergebnisse seien auch Resultat unterschiedlicher Sicherheitslagen und politischer Kulturen, sagte Stephan Vopel von der Bertelsmann Stiftung. »Für die allermeisten Deutschen gilt weiter die Maxime «Nie wieder Krieg». Für die Israelis heißt es «Nie wieder Opfer»«.

Antisemitische Ressentiments

Der bereits in anderen Studien ermittelte Anteil der Deutschen, die antisemitischen Aussagen zustimmen, liegt in dieser Erhebung sogar noch etwas höher. Laut Joachim Rother von der Bertelsmann-Stiftung ist eine mögliche Erklärung, dass die Umfrage in Deutschland als Online-Befragung durchgeführt wurde und die Hemmschwelle daher niedriger sein könnte. 24 Prozent der Deutschen finden »voll und ganz« oder »eher«, dass Juden auf der Welt zu viel Einfluss haben. 36 Prozent stimmen der Aussage mindestens »eher« zu, dass der Umgang Israels mit den Palästinensern im Prinzip nichts anderes sei, als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht hätten. Die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen nehme zu, sobald sie über den »Umweg Israel« kommuniziert werde, sagte Rother.

Auffällig sind die unterschiedlichen Haltungen der 18- bis 29-Jährigen in den Ländern. Es bestehe Grund zur Sorge, dass sie sich zunehmend voneinander entfremden, heißt es in der Studie. Jüngere Deutsche zeigen demnach ein »tiefgreifendes historisches Bewusstsein«, sprechen sich etwa stärker als der Gesamtschnitt gegen einen »Schlussstrich« aus und hängen seltener antisemitischen Ressentiments an. Nur 27 Prozent befürworten aber eine historisch begründete Verantwortung für den jüdischen Staat. Der Blick auf die israelische Regierung ist bei jüngeren Deutschen etwas negativer als im Gesamtschnitt. Die jüngere jüdische Generation in Israel ist dagegen stärker als andere Altersgruppen überzeugt, dass Juden in Deutschland unsicher sind, und wünscht sich häufiger eine einseitige Unterstützung Israels durch Deutschland.

»Hier kann vor allem die direkte Begegnung in Form von Dialog und Kooperation hilfreich sein«, sagte Israel-Experte Rother. Gut zwei Drittel der Befragten hatte noch nie Kontakt mit Menschen aus dem anderen Land. 42 Prozent der Israelis waren schon mal in Deutschland - und nur sechs Prozent der befragten Deutschen in Israel.

Es sei daher wichtig, dass das zwischen der deutschen und der israelischen Regierung längst verabredete Deutsch-Israelische Jugendwerk endlich komme, forderte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck. Unverständnis und Hass gegenüber Israel seien »Brandbeschleuniger des Antisemitismus«. Hier sieht Beck auch Medien in der Pflicht: Wichtig sei, die Ereignisse stärker zu kontextualisieren. »Der Konflikt begann nicht mit der Besatzung 1967, sondern die militärische Auseinandersetzung nahm 1948 ihren Ausgang mit dem Angriff arabischer Armeen auf den soeben gegründeten Staat«, betonte er. Man wünsche sich »mehr Sorgfalt bei den Fakten und die Vermeidung der Reproduktion eines antiisraelischen Narratives«.

© dpa-infocom, dpa:220901-99-600074/7