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Israel: Knesset berät Justizumbau, Herzog hofft auf Einigung

Der geplante Justizumbau hält Israel im Atem. Kurz vor einer entscheidenden Abstimmung fällt auch noch Ministerpräsident Netanjahu aus - und Präsident Herzog ringt um einen Kompromiss in letzter Minute.

Proteste in Israel - Menschenmassen in Jerusalem
Israelis protestieren vor dem Parlament in Jerusalem gegen den geplanten Umbau der Justiz. Foto: Ohad Zwigenberg/DPA
Israelis protestieren vor dem Parlament in Jerusalem gegen den geplanten Umbau der Justiz.
Foto: Ohad Zwigenberg/DPA

In Israel geht der von der rechts-religiösen Regierung geplante Umbau der Justiz in eine entscheidende Phase. Präsident Izchak Herzog versuchte im letzten Moment noch einen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition in dem umstrittenen Vorhaben zu erreichen.

Am Sonntagabend traf er nach Angaben seines Büros dazu Regierungschef Benjamin Netanjahu und Oppositionsführer Jair Lapid. Anschließend wollte er auch mit Oppositionspolitiker Benny Gantz zusammenkommen. »Eine Einigung muss erzielt werden«, forderte Herzog.

Lapid zeigte sich nach dem Treffen mit einem Vorschlag Herzogs, über den zunächst keine konkreten Details bekannt wurden, einverstanden. »Ich werde mein Möglichstes tun, um einen breiten Konsens für ein demokratisches und starkes Israel zu erreichen«, schrieb er bei Twitter. Netanjahu äußerte sich zunächst nicht.

Das Parlament in Jerusalem hatte am Sonntag eine Marathonsitzung begonnen, um über ein Kernelement der umstrittenen Pläne abschließend zu beraten. Möglicherweise wird schon an diesem Montag darüber abgestimmt.

Gegner und Befürworter demonstrieren

Sowohl Gegner als auch Befürworter der Justizreform demonstrierten am Sonntagabend. Während in der Küstenstadt Tel Aviv Zehntausende Unterstützer des geplanten Justizumbaus zusammenkamen, versammelten sich in der Hauptstadt Jerusalem Zehntausende, die dem Vorhaben ablehnend gegenüberstehen. In Jerusalem hatte zudem am Sonntagmittag eine Demonstration für einen Konsens beider Lager stattgefunden.

Medienberichten zufolge griffen Befürworter der Justizreform einen Journalisten und dessen Kamerateam aus zunächst ungeklärter Ursache an. Den Angaben nach kamen viele der Demonstranten mit Bussen aus anderen Orten des Landes sowie Siedlungen im besetzten Westjordanland in das als liberal geltende Tel Aviv.

Netanjahu im Krankenhaus

Das Treffen von Netanjahu und Herzog fand Medienberichten zufolge im Krankenhaus statt. Der 73-Jährige bekam nur wenige Stunden vor Beginn der Beratungen im Krankenhaus einen Herzschrittmacher eingesetzt. Nach Angaben der Ärzte überstand er den Eingriff gut.

Netanjahu war vor einer Woche ins Krankenhaus eingeliefert worden. Damals hieß es noch, er sei zu lange ohne Wasser und Kopfbedeckung in der Sonne gewesen. Offen war, ob er rechtzeitig zur Abstimmung in der Knesset sein kann. In einem kurzen Video nach der OP versprach er, dabei zu sein. Erwartet wird, dass er am Montag aus der Klinik entlassen wird.

Das Gesetz ist Teil eines größeren Pakets, das von Kritikern als Gefahr für Israels Demokratie eingestuft wird. Alle bisherigen Verhandlungen zwischen der rechten Koalition und der Opposition blieben bislang ohne Erfolg. Netanjahus Likud-Partei hatte zudem erst am Sonntag einen vor einigen Tagen vom Dachverband der Gewerkschaften (Histadrut) eingebrachten Vorschlag über eine Einigung abgelehnt.

Die aktuelle Regierung ist die am weitesten rechts stehende, die Israel je hatte. Die Gesetzesänderungen erfolgen auch auf Druck der strengreligiösen Koalitionspartner Netanjahus. Die Reform könnte ihm aber auch in einem Korruptionsprozess, der schon länger gegen den Regierungschef läuft, in die Hände spielen.

Rechtsanwaltskammer will gegen Gesetz vorgehen

Dem Höchsten Gericht des Landes soll es mit dem Gesetz nicht mehr möglich sein, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als »unangemessen« zu bewerten. Kritiker fürchten, dass dies Korruption und die willkürliche Besetzung wichtiger Posten und Entlassungen begünstigt. Die Netanjahu-Regierung wirft der Justiz dagegen vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen. Der Vorsitzende der Rechtsanwaltskammer, Amit Becher, kündigte an, bei einer Verabschiedung juristisch gegen das Gesetz vorzugehen.

Am Samstag waren Hunderttausende gegen die Justizreform auf die Straßen gegangen. Die Organisatoren gaben die Zahl der Teilnehmer am Samstag mit mehr als einer halben Million an. Israel hat zehn Millionen Einwohner. Seit mehr als einem halben Jahr spaltet der geplante Justizumbau weite Teile der Gesellschaft.

Gegner des Vorhabens fürchten, dass sich Israel fundamental verändern könnte. Manche warnen gar vor der Einführung einer Diktatur. Während der Beratungen in der Knesset brach die Oppositionsabgeordnete Orit Farkasch-Hacohen in Tränen aus. »Unser Land steht in Flammen. Ihr habt das Land zerstört, ihr habt die Gesellschaft zerstört.«

Druck auf Regierung aus Reihen des Militärs

Zuletzt nahm auch der Widerstand im Militär zu. Etwa 10.000 Reservisten kündigten an, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, sollte die Regierung ihre Pläne nicht stoppen. Berichten zufolge könnte dies die Einsatzbereitschaft des Militärs erheblich beeinträchtigen. Am Freitag hatten bereits mehr als 1000 Reservisten der Luftwaffe mit Dienstverweigerung gedroht. Daraufhin gab Verteidigungsminister Joav Galant bekannt, sich um einen »Konsens« zu bemühen.

Israels Institut für Nationale Sicherheitsstudien schrieb am Sonntag: »Der Schaden für die nationale Sicherheit Israels ist Realität geworden«. Sollte das Gesetz nicht gestoppt werden, werde nicht nur dem Militär Schaden zugefügt, sondern auch der Wirtschaft und den Beziehungen zu wichtigen Bündnispartnern wie den USA.

Forderungen nach Generalstreik

Ein Zusammenschluss der 150 größten Unternehmen im Land rief für Montag zu einem Streik auf. Von der Arbeitsniederlegung betroffen sind laut Medien auch einige große Einkaufszentren. Auch mehrere große Hightech-Unternehmen wollen sich Berichten zufolge dem Streik anschließen. Die Start-up-Szene gilt als wichtigstes Zugpferd der israelischen Wirtschaft. Der Steik sei nicht mit dem Dachverband der Gewerkschaften (Histadrut) abgestimmt.

Der Gewerkschaftsbund mit 800.000 Mitgliedern hatte Ende März wegen Galants Entlassung durch Netanjahu schon einmal zum Generalstreik aufgerufen. Der Verteidigungsminister hatte zuvor den Umbau der Justiz kritisiert. Netanjahu setzte die Pläne dann vorübergehend aus, die Entlassung wurde rückgängig gemacht.

© dpa-infocom, dpa:230723-99-499066/16