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Heide Simonis - Vorkämpferin in der deutschen Politik

Eine ungewöhnliche Politikerin ist tot. Die Sozialdemokratin Heide Simonis wurde 1993 Deutschlands erste Ministerpräsidentin. Zwölf Jahre später endete ihre politische Karriere abrupt.

Heide Simonis
Heide Simonis - die streitbare Sozialdemokratin trug mit Gegnern und Parteifreunden viele Kämpfe aus. Foto: Ulrich Perrey/DPA
Heide Simonis - die streitbare Sozialdemokratin trug mit Gegnern und Parteifreunden viele Kämpfe aus.
Foto: Ulrich Perrey/DPA

In der Geschichte der Bundesrepublik hat Heide Simonis für immer einen besonderen Platz: Am 19. Mai 1993 wählte der Landtag in Kiel die SPD-Politikerin zur ersten deutschen Ministerpräsidentin.

Fast zwölf Jahre lang regierte die gebürtige Bonnerin Schleswig-Holstein, bevor ein Abweichler sie stürzte. Er oder sie verweigerte ihr bei der Ministerpräsidentenwahl am 17. März 2005 in vier spektakulären Durchgängen die Stimme und beendete so abrupt ihre Karriere. Millionen verfolgten das Drama am Fernseher.

Gut 18 Jahre nach ihrer schwersten Niederlage und nur wenige Tage nach ihrem 80. Geburtstag ist Simonis zu Hause in Kiel gestorben. Die Nachricht vom Tod der Politikerin wurde während einer Landtagssitzung im Norden bekannt.

Simonis litt seit Jahren an Parkinson. Ihren letzten großen öffentlichen Auftritt hatte sie am 30. Juni 2014: Unter Beifall vieler alter Weggefährten verlieh der damalige Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) ihr die Ehrenbürgerwürde Schleswig-Holsteins. Als erste Frau nach fünf Männern wurde sie auf diese Weise ausgezeichnet. »Du musstest immer ganz besonders kompetent sein, ganz besonders klug, besonders überzeugend, besonders durchsetzungsstark«, sagte Albig über die konfliktfreudige und zugleich harmoniebedürftige Frau.

Die politische Karriere und ihre Herausforderungen

Eine Kanzlerin oder eine Verteidigungsministerin war noch ziemlich undenkbar, als Simonis 1993 Regierungschefin in Kiel wurde. Sie löste damals Björn Engholm (SPD) ab, der an Spätfolgen des Barschel-Skandals von 1987 gescheitert war.

Nach der knapp verlorenen Landtagswahl 2005 verweigerte Simonis sich einer großen Koalition. Sie wollte mit einer rot-grünen Minderheitsregierung weitermachen - unterstützt vom Südschleswigschen Wählerverband, der Partei der dänischen und friesischen Minderheit. Das böse Wort von »Pattex-Heide«, die an ihrem Posten klebe, machte die Runde. Dann musste sie doch den Stuhl für ihren CDU-Rivalen Peter Harry Carstensen räumen. Es fiel ihr spürbar schwer, sich an ein Leben ohne politische Macht und große tägliche Aufmerksamkeit zu gewöhnen.

Das Leben nach der politischen Karriere

Als Deutschland-Vorsitzende von Unicef fand Simonis ein neues Betätigungsfeld. Eine Vertrauenskrise beim Kinderhilfswerk zwang sie Anfang 2008 zum Rücktritt. Bereits 2006 erregte sie öffentliches Aufsehen mit Auftritten, die sie später bereute: Für Tanzeinlagen in der RTL-Show »Let's dance« wurde sie als »Hoppel-Heide« verspottet.

Die streitbare Sozialdemokratin trug mit Gegnern und Parteifreunden viele Kämpfe aus und holte sich manche Schramme. Respekt vor ihrer Leistung als erster Regierungschefin versagte ihr kaum jemand. Sie stand für Frauenpower, das Soziale in der Politik und - zunächst widerwillig - für Rot-Grün. Ungern schluckte sie 1996 nach vorheriger SPD-Alleinregierung die »grüne Kröte«.

Die politischen Herausforderungen und Niederlagen

Simonis brachte Schleswig-Holstein auf Modernisierungskurs, doch die Finanzen liefen ihr aus dem Ruder. Der Norden wurde das Flächenland mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung. Im Bund scheiterte Simonis, über die einst als mögliche Bundespräsidentin oder Kanzlerin spekuliert wurde, öfter. Mit Plänen für eine höhere Mehrwert- oder Erbschaftsteuer stieß sie auf Granit, mit einem Alleingang zur »Entbeamtung« bei Lehrern auch. Nachdem Gerhard Schröder 1998 Kanzler wurde, hoffte Simonis auf einen Aufstieg in die Bundespolitik, doch dazu kam es auch nach dem Abgang von Oskar Lafontaine (beide SPD) als Finanzminister im März 1999 nicht.

»Wenn man gelegentlich mit ihr telefoniert, kriegt man schon das Zittern«, bekannte Schröder einmal. »Ich glaube, ich bin streitsüchtiger als er«, mutmaßte sie. Ob ihrer Schlagfertigkeit war die Schnellsprecherin beliebter Gast in Talkshows. An ihrer flotten Zunge verbrannte sich die Trägerin des Karnevalsordens »Wider den tierischen Ernst« öfter - als sie Helmut Kohl den »Dicken« nannte oder Rudolf Scharping in einer Hintergrundrunde einen »Autisten«.

»Eine solch persönlich verletzende Situation noch nie erlebt«

Schlimm war der Schock, als der bis heute unbekannte Abweichler sie 2005 in geheimen Abstimmungen stürzte: »Ich habe eine solch persönlich verletzende Situation noch nie erlebt.« In der SPD-Fraktion sprach die passionierte Hutträgerin vom »hinterhältigen Dolchstoß«. Bevor Simonis 1993 Regierungschefin wurde, war sie Landes-Finanzministerin und Bundestagsabgeordnete. Dass nach ihr mehr Frauen Spitzenposten in der Politik eroberten, freute sie: »Sie treten nicht so nach und hauen nicht so drauf wie Männer.«

In ihrer mit Flohmarkt-Eroberungen übersäten Kieler Altbauwohnung fertigte Simonis gern Quilts - Patchwork-Decken. Seit 1967 war sie mit dem Umwelt-Professor Udo Simonis verheiratet; die Ehe blieb kinderlos. Er nannte sie liebevoll sein »Heidchen«. Manchmal setzte sich die Verehrerin der Opernsängerin Maria Callas ans Klavier; Gesangstunden nahm sie noch als 70-Jährige. Simonis schrieb Bücher, engagierte sich für soziale Projekte, Klinik-Patienten und den Sängerbund.

Vor dem Einstieg in die große Politik war die diplomierte Volkswirtin in die große Welt gezogen: Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre lehrte Simonis Deutsch in Sambia, bevor sie in Japan für einen deutschen Hersteller Büstenhalter verkaufte. Noch als Regierungschefin traf sie die Diagnose Brustkrebs. »Als das fünfte Jahr vorbei war und ich endlich die Medikamente absetzen durfte, habe ich mir gesagt: «Das hast du geschafft»«, sagte Simonis 2008 zu ihrem 65. Geburtstag. »Ich sah mich wieder auf der Siegerstraße.«

Zehn Jahre später konnte sie von der Krankheit gezeichnet ihren 75. Geburtstag bereits nur noch im kleinen Kreis in ihrer Kieler Wohnung begehen. Als Geschenk brachte der damalige SPD-Bundesvize Ralf Stegner die Willy-Brandt-Medaille mit, die höchste Auszeichnung der Partei.

© dpa-infocom, dpa:230712-99-380901/3