Berlin (dpa) - Zahlreiche SPD-Abgeordnete haben ein Ende der andauernden Spekulationen über einen Bruch der großen Koalition gefordert.
Nach der Begrüßung der neuen Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans in der Bundestagsfraktion plädierten mehrere Abgeordnete am Dienstag dafür, nicht bei jedem Thema die Koalitionsfrage zu stellen, wie Teilnehmer der Deutschen Presse-Agentur sagten. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bekräftigte nach dem Linksruck der SPD, dass es keine Neu- oder Nachverhandlungen am Koalitionsvertrag geben werde.
Die SPD sei mit sich selbst beschäftigt, sagte Kramp-Karrenbauer nach dpa-Informationen von Teilnehmern in der gleichzeitigen Sitzung der Unionsfraktion. Die Union richte dagegen den Blick in die Zukunft und auf das Leben und Arbeiten im Jahr 2030.
Bei den Sozialdemokraten bot Fraktionschef Rolf Mützenich den Neuen nach Teilnehmerangaben die Expertise der Fraktion an. Er machte deutlich, »dass beide Seiten einander brauchen«. Die Abgeordneten spendeten ihrem Fraktionschef starken, den beiden neuen Parteivorsitzenden dagegen nur verhaltenen Applaus, hieß es.
Esken betonte in ihrer Rede laut Teilnehmern, sie wolle der Koalition »eine faire Chance« geben. Allerdings werde man die Ergebnisse anstehender Gespräche mit der Union dann überprüfen. Zunächst gab es für das neue Spitzenduo in der Fraktion zwei Blumensträuße. Walter-Borjans sagte vor den Abgeordneten, die Kompetenz der Fraktion sei auch für die Partei wichtig.
Bei der Unionsfraktion machte deren Vorsitzender Ralph Brinkhaus (CDU) deutlich, dass die Union konstruktiv mit den Sozialdemokraten weiterarbeiten wolle. Es werde aber »keine Begrüßungsgeschenke« für die neuen SPD-Vorsitzenden geben, sagte Brinkhaus.
Teilnehmer beschrieben die Äußerungen von Brinkhaus als regelrechte Aufbruchrede. Die Union wolle Zukunftsthemen anpacken, sagte der Fraktionschef demnach. Er nannte unter anderem eine Datenstrategie sowie die Themen Digitalisierung, Bildung, Forschung, Innovationen, Außenpolitik und Nachhaltigkeit - auch mit Blick auf die Finanzen. Die Unionsfraktion beschäftige sich mit den Zukunftsthemen für Deutschland und nicht mit Interna der SPD. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich in der Sitzung laut Teilnehmern nicht zur SPD.
Wann die anstehenden Gespräche zwischen Union und SPD mit ihrer neuen Spitze über den künftigen Koalitionskurs starten, blieb weiter unklar. Kramp-Karrenbauer sagte in der Fraktionssitzung, die Union versuche derzeit, eine Sitzung des Koalitionsausschusses auf die Beine zu stellen. Die SPD müsse sich aber erst noch sortieren.
Ein Treffen des Koalitionsausschusses in Anwesenheit der neuen SPD-Chefs könnte es kommende Woche geben. Als mögliche Termine sind der 18. oder 19. Dezember im Gespräch. Esken sagte vor den SPD-Abgeordneten lediglich, es werde Gespräche geben. Zu einem Treffen der Neuen mit führenden Unionsvertretern bereits am Dienstag im Reichstagsgebäude kam es dem Vernehmen nach nicht.
Mützenich ging vor der Sitzung indirekt auf eine Äußerung Eskens auf Twitter vom Vortag ein. Angesichts der Unsicherheit in der Union, wer nun ihr Ansprechpartner bei der SPD sei, hatte Esken getwittert: »Tipp: Der Koa-Vertrag wurde zwischen den Parteien geschlossen.« Dies wurde als Affront für die Fraktion aufgefasst. Mützenich sagte nun, es sei kein Widerspruch, dass Partei und Fraktion Akzente setzten. »Das zeigt ja auch, dass es eine gute Zusammenarbeit zwischen Partei- und SPD-Fraktionsführung aus meiner Sicht geben kann - und da bin ich ganz zuversichtlich.«
Hinter verschlossener Tür versuchte Esken, ihrem Spruch im Nachhinein die Schärfe zu nehmen. Vielleicht sei es besser, weniger zu twittern, meinte sie nach Teilnehmerangaben selbstkritisch.
Der Abgeordnete Karl Lauterbach mahnte seine Partei, keine zu großen Forderungen an CDU und CSU zu stellen. »Wir wollen in den Gesprächen mit der Union etwas erreichen«, sagte er. »Würden wir mit roten Linien arbeiten, würde das die Verhandlungen belasten. Wir sollten jetzt Ruhe bewahren.«
Esken und Walter-Borjans wollen mehr staatliche Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, einen stärkeren Klimaschutz und einen Mindestlohn von 12 Euro. Sollte die Union die Anliegen blockieren, wollen sie die Koalition verlassen.