Wer durch die Folgen des Klimawandels seine Heimat verliert, sollte nach den Vorstellungen eines Beratergremiums der Bundesregierung einen »Klima-Pass« für einen Daueraufenthalt in Deutschland erhalten. Dieses Angebot sollte allerdings nach Auffassung des interdisziplinär besetzten Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) auf Menschen aus Ländern beschränkt werden, »die durch den Klimawandel ihr gesamtes Territorium verlieren«. Das seien in erster Linie Inselstaaten, die durch den Anstieg des Meeresspiegels in Folge der Erderwärmung in ihrer Existenz bedroht sind, heißt es in dem am Dienstag in Berlin veröffentlichten Jahresgutachten des unabhängigen Gremiums.
Für Menschen aus Staaten, die von den Auswirkungen des Klimawandels erheblich betroffen sind, schlägt der Expertenrat dagegen eine sogenannte Klima-Card vor. Dahinter verbirgt sich ein Konzept für ein humanitäres Aufnahmeprogramm, das einen befristeten Aufenthalt in Deutschland ermöglichen würde. Hierfür müsste man aus Sicht der Sachverständigen Kontingente festlegen. Ziel wäre dabei eine Rückkehr der Klima-Card-Inhaber in die Heimat, nachdem dort die gravierendsten Folgen beseitigt und Anpassungsmaßnahmen umgesetzt wurden.
Daneben sollte es ein »Klima-Arbeitsvisum« geben, um die Abwanderung aufgrund schleichender klimawandelbedingter Umweltveränderungen zu steuern. Ein solches Visum würden dann Menschen aus besonders betroffenen Staaten erhalten, die zwar keine besondere Qualifikation, aber einen Arbeitsvertrag vorweisen können. Auch bei diesem Instrument, das sich an dem von Deutschland bereits praktizierten Modell der sogenannten Westbalkan-Regelung orientiert, müssten aus Sicht des SVR länderspezifische Kontingente festgelegt werden.
Migration durch Klimawandel gilt als unstrittig
Nach Auffassung des SVR sind zuverlässige Prognosen zum Umfang der durch Klimawandel bedingten Migration kaum möglich. Unstrittig sei aber, dass durch den Klimawandel ausgelöste Umweltveränderungen und Extremwetterereignisse vorhandene Probleme verschärfen und darüber Migration auslösen könnten. »Wenn es nicht gelingt, den Klimawandel einzudämmen, wird Klimamigration einerseits weiter zunehmen«, sagte die stellvertretende SVR-Vorsitzende, Birgit Leyendecker. »Andererseits können die Folgen des Klimawandels Migration auch hemmen oder diese sogar verhindern - etwa wenn Menschen die Ressourcen verloren gehen, die sie brauchen, um überhaupt abwandern zu können«, gab Leyendecker zu bedenken, die an der Ruhr-Universität Bochum das Interdisziplinäre Zentrum für Familienforschung leitet. Ohnehin finde durch den Klimawandel bedingte Migration vorwiegend innerstaatlich statt oder die Menschen machten sich in ein Nachbarland auf, sagte der SVR-Vorsitzende Hans Vorländer.
Der Begriff des »Klimaflüchtlings« sei zwar weit verbreitet, »doch die Logik des internationalen Flüchtlingsrechts ist mit klimawandelbedingten Wanderungen schwer vereinbar«, heißt es in dem Gutachten. Die vom SVR empfohlenen Maßnahmen aus dem Spektrum der Migrationspolitik seien zudem nur als Baustein einer größeren Gesamtstrategie zu verstehen, neben einer »Klimaaußenpolitik«, die migrationspolitische Aspekte umfasse, sowie einer Entwicklungspolitik, die Anpassungsmaßnahmen einschließe, Länder im Umgang mit Binnenwanderung und bei der Katastrophenhilfe unterstütze. Leyendecker sagte, Staaten mit einem hohen CO2-Ausstoß, die viele natürliche Ressourcen verbrauchten, trügen eine besondere Verantwortung, die eigenen Emissionen schnell zu verringern und andere überproportional betroffene Länder in Bezug auf Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen.
© dpa-infocom, dpa:230509-99-618833/3