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Golf statt Rennauto: Bildungsgipfel diskutiert über Probleme

In Berlin treffen sich Politik, Verbände und Experten und debattieren über die vielen Probleme im Bildungssystem. Konkrete Ergebnisse bringt der sogenannte Bildungsgipfel nicht und er stößt auf ziemlich viel Kritik.

Bildungsgipfel
Bettina Stark-Watzinger (FDP, l), Bundesministerin für Bildung und Forschung, sitzt beim Bildungsgipfel neben Astrid-Sabine Busse (SPD), Senatorin für Bildung, Jugend und Familie in Berlin. Foto: Christophe Gateau
Bettina Stark-Watzinger (FDP, l), Bundesministerin für Bildung und Forschung, sitzt beim Bildungsgipfel neben Astrid-Sabine Busse (SPD), Senatorin für Bildung, Jugend und Familie in Berlin.
Foto: Christophe Gateau

Fehlende Lehrer, Grundschüler, die nicht richtig lesen und rechnen können, Schulabbrecher, Umwälzungen durch die Digitalisierung - das Bildungssystem steht unter großem Druck. In Berlin haben Bildungspolitiker, Gewerkschafts-, Lehrer- und Schülervertreter sowie Wissenschaftler und Vertreter der Zivilgesellschaft über die Probleme diskutiert.

Eingeladen hatte das Bundesbildungsministerium unter der Überschrift »Bildungsgipfel«. Das Treffen war eingebettet in eine regelmäßig stattfindende »Bildungsforschungstagung«. Etwa 600 Teilnehmer waren dabei. Konkrete Beschlüsse gab es nicht, dafür viel Kritik von außen.

Taskforce »Team Bildung« geplant

SPD, Grüne und FDP hatten einen »Bildungsgipfel« in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, mit dem Ziel, »eine neue Kultur in der Bildungszusammenarbeit« und eine engere Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen anzustoßen, da das System wegen der verschiedenen Zuständigkeiten sehr schwerfällig ist.

Das Bildungsministerium plant nun die Einsetzung einer Taskforce »Team Bildung« mit Vertretern von Bund, Ländern, Kommunen und Experten für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ebenen. Diese solle sich zeitnah konstituieren, sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Offen ist noch die genaue Arbeitsweise und wann mögliche Ergebnisse vorgelegt werden.

Die FDP-Politikerin rief in ihrer Rede die Akteure in der Bildungspolitik zur Zusammenarbeit auf. Viele Probleme seien strukturell. Bund und Länder zeigten mit dem Finger aufeinander. Davon sei noch nie ein Kind klug geworden. »Wir sind jetzt an einem entscheidenden Punkt. Es ist wichtig, dass wir jetzt gemeinsam starten. Wir brauchen eine bildungspolitische Trendwende.«

»Bildungshügel« statt »Bildungsgipfel«

Schon vorab hatten Kritiker allerdings die Frage aufgeworfen, was die Konferenz ohne konkrete Beschlüsse bringen soll. Kritik gab es auch am Format der Veranstaltung. Es handele sich bestenfalls um einen »Bildungshügel«, hieß es von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Astrid-Sabine Busse, die Berliner Bildungssenatorin und aktuelle Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), ging nach eigener Aussage »ohne allzu große Erwartungen« in das Treffen. »In der norddeutschen Tiefebene Berlin ist ja auch schon manch Kleineres ein Gipfel«, sagte sie bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Konferenz.

Union winkt ab

Für Bildung zuständige Minister aus unionsregierten Ländern hatten abgewunken und nahmen nicht teil. Schleswig-Holsteins Kultusministerin Karin Prien (CDU) sprach von einer Showveranstaltung. Auch dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht dabei war, wurde kritisiert. Es sei höchste Zeit, dass Scholz und die Regierungschefs der Bundesländer »einen echten Nationalen Bildungsgipfel einberufen«, forderte ein Bündnis aus Stiftungen, Verbänden und Gewerkschaften anlässlich des Treffens.

Überlappende Probleme und Bildungskrise

Einig sind sich alle, dass das Bildungssystem in einer Krise steckt. Der Handlungsdruck ist groß, weil sich die aktuellen Probleme im System gegenseitig verstärken: Tests hatten einen Leistungsabfall bei Grundschülern gezeigt und bestätigen immer wieder einen Zusammenhang zwischen »sozioökonomischem Status« der Familie und Bildungserfolg. Dazu kommen Lernlücken durch eingeschränkten Schulbetrieb in der Corona-Zeit. Mehr Lehrkräfte wären gut, um Defizite abzubauen und zu verhindern, dass daraus später noch mehr Schulabbrecher werden, die dann wiederum als Fachkräfte fehlen. Aber Lehrer bleiben wohl noch auf Jahre knapp, weil mehr Personal in den Ruhestand geht, als Nachwuchs nachkommt, bei gleichzeitig steigender Schülerzahl. Lehrkräfte sind zusätzlich gefordert durch mehr als 200.000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine. Dazu kommt die Digitalisierung, die auch die Bildung nachhaltig verändern wird.

Uneinigkeit bei der Problemlösung

Wie die Probleme angegangen werden sollen, da hört es dann schnell mit der Einigkeit auf. Die Vorschläge prasseln durcheinander. SPD-Chefin Saskia Esken schlägt einen 100-Milliarden-Euro-Sondertopf für die Bildung vor, wie für die Bundeswehr. Geld sei wichtig, müsse aber zielgerichtet eingesetzt werden, sagte Stark-Watzinger. Die Bildungsministerin kann sich mehr Prämienmodelle für Lehrkräfte vorstellen, um den Beruf attraktiver zu machen. KMK-Präsidentin Busse plädiert für mehr Geld und Personal in der frühkindlichen Bildung: »Denn da fängt alles an.« Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, sieht das so. Er fordert verpflichtende Sprachstandstests in Kitas mit entsprechender Förderung von Kindern, die Hilfe brauchen. »Das Problem ist ja, dass wenn die Kinder in Schule sind, es eigentlich schon zu spät ist.«

VW Golf statt Rennwagen

Immer wieder debattiert wird auch eine weitere Föderalismusreform, um die Bildung voranzubringen. Laut Grundgesetz sind die Bundesländer für Bildung und Schulen zuständig. Der Bund darf ihnen nicht reinreden. Deutschland hat 16 Bildungssysteme, was ein gemeinsames Vorgehen extrem erschwert. Doch eine Grundgesetzänderung, für die im Bundestag und Bundesrat Zweidrittel-Mehrheiten notwendig wären, ist wegen der unterschiedlichen Interessen fast illusorisch. Von Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) kam deshalb auf dem Gipfel dieser Appell: »Ok, wir sitzen vielleicht nicht in einem Rennwagen, wenn's um unser politisches System geht, sondern in einem VW Golf, aber er würde auch fahren, wenn jeder seine Arbeit macht.«

© dpa-infocom, dpa:230314-99-942960/10