Istanbul (dpa) - Der seit mehr als zwei Jahren in der Türkei inhaftierte Intellektuelle Osman Kavala muss weiter in Untersuchungshaft bleiben. Es bestehe dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr, erklärten die Richter am Hochsicherheitsgefängnis Silivrizur Begründung.
Sie stellten sich damit erneut gegen eine Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der im Dezember die Freilassung Kavalas angeordnet hatte.
Das Urteil aus Straßburg sei noch nicht rechtskräftig, argumentierten die Richter. Sie hatten bereits kurz nach der EGMR-Forderung im Dezember eine Freilassung des Angeklagten abgelehnt. Die Türkei-Direktorin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Emma Sinclair-Webb, bezeichnete die Entscheidung als »schockierend«. Die Türkei sei verpflichtet, sich an das Straßburger Urteil zu halten. Nächster Prozesstag ist der 18. Februar.
Kavala, der mit seiner Stiftung Anadolu Kültür unter anderem mit dem Goethe-Institut zusammenarbeitet, sitzt seit November 2017 in Untersuchungshaft. Ihm und 15 weiteren Aktivisten und Menschenrechtlern wird unter anderem ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 vorgeworfen. Kavala wird zudem beschuldigt, die Proteste mit ausländischer Hilfe finanziert zu haben.
Während der international aufmerksam verfolgten Verhandlung am Dienstag gab es zwischenzeitlich einen Tumult: Alle Anwälte verließen aus Protest und unter Applaus der Zuschauer den Saal, weil ihrer Forderung, das Richterteam auszutauschen, nicht stattgegeben wurde. Sie warfen dem Gericht vor, parteilich zu sein und unter anderem ohne Beteiligung der Verteidiger einen Zeugen vernommen zu haben.
Die Richter warfen am Ende auch die Zuschauer aus dem Saal - und den Abgeordneten der größten Oppositionspartei CHP, Sezgin Tanrikulu, der die Zuweisung eines Verteidigers für Kavala forderte. Kavala kritisierte ohne das Beisein seiner Anwälte, Freiheitsberaubung sei ein »schwerer Verstoß«. Das türkische Gericht müsse sich an das EGMR-Urteil halten.
Die Gezi-Proteste hatten sich im Sommer 2013 an der Bebauung des Gezi-Parks im Istanbuler Zentrum entzündet. Sie weiteten sich aus zu landesweiten Demonstrationen gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die Regierung ließ die Proteste brutal niederschlagen.