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Generalsekretär Stoltenberg bleibt bei der Nato

Die Suche nach einem Nachfolger für den Nato-Generalsekretär ist vorerst gescheitert. Gut für das Bündnis ist, dass Stoltenberg bereit ist zu bleiben. Die Vertragsverlängerung birgt aber auch ein Risiko.

Jens Stoltenberg
Vertrag verlängert: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Foto: Virginia Mayo/DPA
Vertrag verlängert: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Foto: Virginia Mayo/DPA

Jens Stoltenberg soll ein weiteres Jahr Generalsekretär der Nato bleiben. Die 31 Mitgliedstaaten vereinbarten, das Mandat des Norwegers bis zum 1. Oktober 2024 zu verlängern. Zuvor waren Versuche der Mitgliedstaaten gescheitert, sich auf einen anderen Kandidaten zu einigen.

Stoltenberg selbst hatte in den vergangenen Monaten mehrfach erklärt, dass er eigentlich keine weitere Amtszeit anstrebe. Nach Angaben aus seinem Umfeld macht er nun aber aus »Pflichtbewusstsein« und angesichts der vielen Aufgaben wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine weiter.

Die Nato teilte zu der Entscheidung mit, die Alliierten dankten dem Generalsekretär für seine Führungsstärke und sein Engagement. Diese seien angesichts »beispielloser sicherheitspolitischer Herausforderungen für die Wahrung der transatlantischen Einheit von entscheidender Bedeutung«. Stoltenberg sagte, er fühle sich geehrt von der Entscheidung der Bündnispartner, seine Amtszeit zu verlängern. Sie wäre sonst eigentlich Ende September ausgelaufen.

Potentielle Nachfolger umstritten

Als mögliche Anwärter für die Nachfolge des 64-Jährigen hatten in den vergangenen Monaten unter anderen die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und der britische Verteidigungsminister Ben Wallace gegolten. Beide waren allerdings nicht unumstritten.

Als Argument gegen Wallace wurde in EU-Staaten genannt, dass er nie Staats- und Regierungschef war und nicht aus einem EU-Land komme. Gegner Frederiksens verwiesen unter anderem darauf, dass der wichtige Nato-Posten nicht erneut mit jemandem aus dem Norden besetzt werden sollte. Als Alternative wurde zuletzt auch der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez genannt, der nach der vorgezogenen Parlamentswahl in knapp drei Wochen einen neuen Job benötigen könnte.

Angesichts der schwierigen Suche nach einem neuen Nato-Generalsekretär hatten sich dann zuletzt immer mehr Nato-Staaten offen für eine weitere Verlängerung des Vertrags von Stoltenberg gezeigt. Wenn man sich nicht auf die Nachfolge verständigen könne, könne die westliche Verteidigungsallianz nicht ohne Generalsekretär dastehen, sagte etwa der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vor wenigen Wochen. Deswegen wäre er für eine Verlängerung, zumal er die Zusammenarbeit mit Stoltenberg schätze.

Immer wieder Lob für Führungsstärke

Noch deutlich klarere Unterstützung kam von der US-Regierung, die Stoltenberg zuletzt immer wieder öffentlich für seine Führungsstärke seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine lobte. Und so auch nach der Verlängerung: Mit seiner Erfahrung und seinem Urteilsvermögen habe der Norweger das Bündnis durch die bedeutendsten Herausforderungen für die europäische Sicherheit seit dem Zweiten Weltkrieg geführt, erklärte Präsident Joe Biden.

Bundeskanzler Olaf Scholz begrüßte die Verlängerung und freut sich auf »weiterhin gute Zusammenarbeit«, wie der SPD-Politiker auf Twitter schrieb. »Die Nato ist unser starkes Bündnis und bleibt der zentrale Garant unserer kollektiven Sicherheit.«

Der britische Premierminister Rishi Sunak schrieb auf Twitter: »Unter Jens Stoltenbergs Führung hat sich die Nato weiterentwickelt, um neuen Bedrohungen zu begegnen, weiterhin unsere Menschen beschützt und war beständig in der Unterstützung der Ukraine.« Er freue sich, diese Arbeit mit Stoltenberg gemeinsam fortzuführen.

Stoltenberg seit neun Jahren im Amt

Stoltenberg ist mittlerweile seit fast neun Jahren Generalsekretär der Nato. Seine Amtszeit war zuletzt im März 2022 kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine um ein weiteres Jahr bis zum 30. September 2023 verlängert worden. Eigentlich hatte der frühere norwegische Regierungschef bereits im vergangenen Jahr seinen Abschied angekündigt. Plan war es, in die Heimat zurückzugehen. Dort hätte Stoltenberg Chef der norwegischen Zentralbank werden können.

In der Geschichte des Bündnisses ist Stoltenberg bereits jetzt der am zweitlängsten amtierende Generalsekretär. Am längsten war bislang der Niederländer Joseph Luns der höchste internationale Beamte der Allianz. Er amtierte von 1971 bis 1984.

Anerkennung hat sich Stoltenberg vor allem als geschickter Vermittler zwischen den teils sehr unterschiedlichen Interessen der mittlerweile 31 Nato-Staaten erworben. Als sein Verdienst gilt insbesondere die Moderation in dem während der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump eskalierten Streit um die Verteidigungsausgaben der europäischen Alliierten. Trump drohte zeitweise sogar mit einem Austritt der USA aus dem Bündnis. Zuletzt koordinierte Stoltenberg vor allem die Reaktion des Bündnisses auf den russischen Krieg gegen die Ukraine und warb für weitgehende Waffenlieferungen an das angegriffene Land.

Neuer Nato-Generalsekretär im kommenden Jahr?

Wermutstropfen für ihn ist, dass die erneute Verlängerung seines Vertrags den Anschein erwecken könnte, dass sich die Nato auf niemanden Neues einigen könne. Aus Bündniskreisen hatte es Anfang des Jahres eigentlich geheißen, dass neben Frankreich auch Deutschland und Großbritannien einen Führungswechsel bereits in diesem Herbst bevorzugten - trotz der ausgewiesenen Qualitäten Stoltenbergs.

Um keinen Zweifel an der Rückendeckung für Stoltenberg zu lassen, soll die Entscheidung für die Vertragsverlängerung nun in der kommenden Woche beim Nato-Gipfel in Litauen noch einmal von den Staats- und Regierungschefs bestätigt werden. Ein Nachfolger für den Norweger könnte dann im Sommer des kommenden Jahres beim großen Jubiläumsgipfel zum 75-jährigen Bestehen der Nato in Washington angekündigt werden - wenn sich denn die Mitgliedstaaten bis dahin einigen können.

© dpa-infocom, dpa:230704-99-279537/7