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Gegenwind von der Straße: AfD verliert Landratswahl

Haben die Proteste gegen die AfD zur Niederlage der Partei in einem ländlichen Thüringer Kreis beigetragen? Experten sehen zumindest Anzeichen dafür. Grund zum Jubeln sei das für die Anderen aber nicht.

Stichwahl
Thomas Fühmann (l-r, CDU), scheidender Landrat, Christian Herrgott (CDU), Wahlsieger, und Mario Voigt, CDU-Vorsitzender in Thüringen zeigen sich erleichtert nach der Bekanntgabe der Ergebnisse. Foto: Bodo Schackow/DPA
Thomas Fühmann (l-r, CDU), scheidender Landrat, Christian Herrgott (CDU), Wahlsieger, und Mario Voigt, CDU-Vorsitzender in Thüringen zeigen sich erleichtert nach der Bekanntgabe der Ergebnisse.
Foto: Bodo Schackow/DPA

Die AfD-Niederlage bei einer Landratswahl in Thüringen lässt sich aus Sicht von Experten auch auf die bundesweiten Demonstrationen der vergangenen Tage zurückführen. Dass wie bei den Demos gefordert gemeinsam die rechtsextreme Bedrohung der Demokratie verhindert werden sollte, habe viele Wähler von SPD oder Linken sicher stark motiviert, in der Stichwahl CDU zu wählen, sagte der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz der dpa.

Im Saale-Orla-Kreis in Ostthüringen verlor AfD-Kandidat Uwe Thrum am Sonntag die Stichwahl trotz zuvor deutlichen Vorsprungs gegen CDU-Mann Christian Herrgott.

Der Politikwissenschaftler Torsten Oppelland von der Universität Jena sagte, die etwas höhere Wahlbeteiligung in der Stichwahl deute auf einen Mobilisierungseffekt hin. »Da kann die Demonstrationswelle durchaus einen Ausschlag gegeben haben.« Generell sei der Einfluss ohne vorliegende Daten aber schwer zu beziffern.

CDU-Niederlage wäre »verheerendes Signal« gewesen

Die CDU sieht sich durch den Erfolg gestärkt für die kommende Landtagswahl in Thüringen. Doch bei einer Landtagswahl gebe es keine Stichwahl in einem Wahlkreis, sagte Oppelland. »Da hätte Thrum locker gewonnen. Insofern kann man da nicht grenzenlos optimistisch sein.« Andererseits wäre es ein »verheerendes Signal« gewesen, hätte die CDU die Stichwahl verloren. Schon alleine deshalb, weil Herrgott als Generalsekretär der Landespartei in der Union profiliert sei.

Brodocz sieht in der Stichwahl wenige Hinweise auf die Landtagswahl. Er verwies darauf, dass dann mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht und der Werteunion wahrscheinlich zwei neue Parteien antreten. »Hier werden die Karten also nochmal gänzlich neu gemischt.«

Wahlbeteiligung gestiegen

Herrgott erreichte am Sonntag 52,4 Prozent der Stimmen, Thrum kam auf 47,6 Prozent. Den ersten Wahlgang vor zwei Wochen hatte Thrum mit 45,7 Prozent der Stimmen dominiert. Herrgott war auf 33,3 Prozent gekommen. Die Kandidaten von SPD und Linke waren deutlich dahinter gelandet. Die Wahlbeteiligung stieg von 66 auf 69 Prozent. Herrgott gewann in der zweiten Runde über 9000 Stimmen hinzu, Thrum rund 1700.

Herrgotts erster Arbeitstag als Landrat ist am 9. Februar vorgesehen. Er sagte nach dem Wahlerfolg: »Ich möchte ein Landrat sein, der für alle Menschen in diesem Landkreis da ist. Auch für die, die heute nicht zur Wahl gegangen sind und auch diejenigen, die mir heute nicht ihre Stimme gegeben haben.«

Die AfD hatte auf den deutschlandweit zweiten Landratsposten nach Robert Sesselmann in Sonneberg, ebenfalls in Thüringen, gehofft. Die Thüringer AfD wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet. In den vergangenen Wochen waren deutschlandweit Hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. In Thüringen und im Saale-Orla-Kreis mobilisierten Initiativen gegen die Wahl Thrums.

AfD sieht »gegnerische Kräfte des ganzen Landes«

Die AfD in Thüringen sah bundesweite Vorgänge als einen Grund für das Ergebnis. Aus Sicht von Parteichef Björn Höcke brauchte es »die gegnerischen Kräfte des ganzen Landes«, um das Blatt nochmal zu wenden. Ähnlich äußerten sich weitere AfD-Vertreter.

Die Linke-Landeschefin Ulrike Grosse-Röthig sagte: »Das hatte einen Einfluss, auf jeden Fall.« Die Proteste hätten den Effekt, dass sich Menschen mit dem Thema auseinandersetzten, die sonst die schweigende Mehrheit seien. Außerdem zeige das Ergebnis, »dass es nicht unumkehrbar ist, dass die AfD hier überall durchmarschiert.«

Skeptischer zeigte sich ein Vertreter der Zivilgesellschaft vor Ort. »Es hätte klarer ausgehen müssen«, sagte ein Sprecher des Bündnisses »Dorfliebe für alle«, das im Kreis gegen die AfD mobilisierte. Das Ergebnis zeige, wie groß die Spaltung sei und wie viel Arbeit noch vor dem Bündnis liege. »Denn die 48 Prozent AfD-Wähler sind ja da.«

Stimmungstest für kommende Urnengänge

Die Wahl galt als Stimmungstest für die anstehenden Urnengänge in Thüringen. Im Mai werden viele Landrats- und Oberbürgermeistersessel neu besetzt. Am 1. September steht die Landtagswahl an. Die AfD liegt in Umfragen weit vorn, zuletzt erreichte sie stets Werte über 30 Prozent. Ähnlich sieht es in Sachsen und Brandenburg aus, wo im Herbst ebenfalls Landtagswahlen anstehen.

Der ländlich geprägte Saale-Orla-Kreis liegt im Südosten Thüringens und grenzt an Bayern und Sachsen. Nach Daten der Statistischen Landesämter gehörte er 2021 mit 29.048 Euro brutto deutschlandweit zu den zehn Landkreisen mit den niedrigsten Gehältern pro Arbeitnehmer. Etwa 40 Prozent der Beschäftigten seien im Mindestlohnsektor, hieß es vom Deutschen Gewerkschaftsbund Hessen-Thüringen.

© dpa-infocom, dpa:240129-99-789922/7