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Gaza-Krieg wird für Biden zur innenpolitischen Krise

Der Krieg in Gaza hat Joe Biden kalt erwischt. Der Konflikt birgt für den US-Präsidenten, der in einem Jahr eine Wahl zu bestehen hat, auch besondere innenpolitische Gefahren. Wird er ihm zum Verhängnis?

Joe Biden
Wie auch immer sich US-Präsident Joe Biden im Nahost-Konflikt entscheidet, er kann es kaum jemandem Recht machen. Foto: Matt Rourke/DPA
Wie auch immer sich US-Präsident Joe Biden im Nahost-Konflikt entscheidet, er kann es kaum jemandem Recht machen.
Foto: Matt Rourke/DPA

Die Botschaft an Joe Biden ist unmissverständlich: Keine Waffenruhe in Gaza, keine Stimmen bei der Wahl. Der offene Brief, den der Nationale Rat muslimischer Demokraten vor wenigen Tagen an den US-Präsidenten schickte, war überschrieben mit dem Wort »Ultimatum«. Wenn Biden nicht bis zum nächsten Tag eine Waffenruhe im Gaza-Krieg erreiche, dann werde er Wählerstimmen von Muslimen im ganzen Land verlieren - dafür werde das Bündnis sorgen. Die Frist verstrich, ohne dass die unverblümte Drohung Erfolg hatte.

Ein Waffenstillstand im Krieg zwischen Israel und der Hamas ist nicht ansatzweise in Sicht. Und der Konflikt wird für Biden neben einer außenpolitischen zunehmend auch zu einer innenpolitischen Krise.

Den Ultimatum-Brief mag mancher als Provokation einer eher kleinen Parteiorganisation abtun. Doch er steht beispielhaft für ein größeres Problem: Im Nahostkonflikt steht Biden unter wachsendem Druck von diversen Seiten und steckt in einer politischen Zwickmühle, die ihm mit Blick auf die Wahl in einem Jahr gefährlich werden könnte.

Bidens Kurs

Seit der verheerenden Attacke der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober steht Biden fest an der Seite der israelischen Regierung. Bei dem schlimmsten Massaker in der Geschichte des Landes wurden auf israelischer Seite mehr als 1400 Menschen getötet und mehr als 200 gewaltsam verschleppt. Seitdem bombardiert das israelische Militär den Gazastreifen, in dem die Hamas das Sagen hat. Auch israelische Bodentruppen rücken in dem dicht besiedelten Küstengebiet vor - mit dem Ziel, die Hamas zu zerschlagen. Leidtragende sind die Bewohner in Gaza. Nach Angaben des Hamas-kontrollierten Gesundheitsministeriums kamen bereits mehr als 10.000 Palästinenser ums Leben.

Die Zahl lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Doch die Welt sieht jeden Tag erschütternde Bilder aus Gaza. Von Straßenzügen, die in Schutt und Asche liegen; von Leichen, die aus Trümmern gezogen werden; von blutüberströmten Kindern mit zerfetzten Körpern; von verzweifelten Menschen in Notunterkünften. Mit jedem Bild und jedem Tag wächst der Druck auf Biden, sich für eine Waffenruhe einzusetzen und nicht bedingungslos an der Seite von Israels Regierung zu stehen.

Biden und seine Regierung bemühen sich zwar um einen zunehmend nuancierten Ton, rufen zum Schutz von Zivilisten auf, beschreiben immer wieder das Leid der Menschen in Gaza und setzen sich für zeitlich begrenzte Feuerpausen ein. Doch bislang ist die US-Regierung vehement gegen eine generelle Waffenruhe und argumentiert, die würde nur der Hamas in die Hände spielen. Biden verzichtet bisher auch, Israels Vorgehen öffentlich zu kritisieren oder rote Linien für den Partner aufzuzeigen. Nach einem beispiellosen Angriff wie jenem der Hamas müssten die USA uneingeschränkt für Israel da sein, heißt es.

Proteste auf der Straße

Kritiker beklagen, mit sanften Appellen an Israels Premier Benjamin Netanjahu erreiche die US-Regierung nichts - Biden müsse seinen Einfluss geltend machen und dürfe nicht tatenlos dem Leid der Palästinenser zusehen. Es brodelt überall: unter Demokraten in der Partei, im Kongress, in der Regierung, in gesellschaftlichen Gruppen, bei politischen Spendern und vor allem bei Wählern.

Am Wochenende gingen in Washington Zehntausende propalästinensische Demonstranten auf die Straße und verlangten einen Waffenstillstand. Ein paar Tage zuvor unterbrachen Demonstranten mehrfach eine Anhörung mit US-Außenminister Antony Blinken im Senat. Sie forderten ebenfalls eine Waffenruhe und skandierten, die amerikanische Bevölkerung sei nicht bereit, den brutalen Krieg Israels zu finanzieren.

Widerstand in Regierung und Partei

In Bidens Regierungsapparat organisieren sich inzwischen Beamte, die in internen Schreiben Widerstand gegen die Linie des Präsidenten kundtun. Regierungsmitarbeiter sagen hinter vorgehaltener Hand, dass sie mit Bidens Kurs hadern. Ein ranghoher Mitarbeiter des Außenministeriums schmiss öffentlichkeitswirksam hin und erklärte, er könne die »blinde Unterstützung für eine Seite« nicht länger mittragen. Eine jüngere Mitarbeiterin des Außenministeriums machte Schlagzeilen, als sie Biden auf der Plattform X öffentlich vorwarf, er mache sich mitschuldig an einem »Genozid« an den Palästinensern.

Linke Demokraten im Repräsentantenhaus fordern seit Wochen eine Waffenruhe, zuletzt schloss sich als erster Senator der Demokrat Dick Durbin an. Auch Dutzende Mitarbeiter im Parteiapparat der Demokraten forderten Biden in einem Brief auf, eine Waffenruhe durchzusetzen.

Unverständnis bei Muslimen

Druck machen auch muslimische und arabischstämmige Gruppen. Der Rat für amerikanische-islamische Beziehungen etwa rief Biden auf, den »Wahnsinn« in Gaza zu stoppen. Es sei »inakzeptabel«, dass die Regierung keine Waffenruhe fordere. Vertreter der Organisation drohten Biden damit, ihm die Unterstützung bei der Wahl zu entziehen.

Auch der Nationale Rat muslimischer Demokraten kündigte bei seinem Ultimatum konkret an, muslimische und arabische Wähler anzuhalten, »jedem Kandidaten, der sich nicht für einen Waffenstillstand einsetzt«, die Stimme zu verweigern. Und: »Wir betonen die Bedeutung von Michigan, Ohio, Iowa, Florida, Arizona, Nevada, Georgia, New Jersey, Pennsylvania und Tennessee, wo viele unserer Wähler wohnen.«

Schätzungen zufolge leben etwa 3,5 Millionen Muslime in den USA - das ist nur etwa ein Prozent der Bevölkerung. Doch durch das amerikanische Wahlsystem könnte die Präsidentenwahl Anfang November 2024 einmal mehr durch vergleichsweise wenige Stimmen in wenigen Bundesstaaten entschieden werden. In solchen »Swing States«, die zwischen Demokraten und Republikanern sehr umkämpft sind, kann sich Biden nicht leisten, einzelne Wählergruppen zu vergrätzen. Umfragen zufolge hat Biden in den vergangenen Wochen bei arabischstämmigen und muslimischen Wählern tatsächlich einiges an Unterstützung eingebüßt. Und das Thema wühlt längst auch andere Gruppen auf, gerade Jüngere.

Manche jüdischen Wähler wiederum, die sich uneingeschränkten Beistand der Amerikaner wünschen, könnten sich abgestoßen fühlen durch die interne Zerrissenheit der Demokraten mit Blick auf den Gaza-Krieg. Kurzum: Innenpolitisch kann Biden es kaum jemandem Recht machen.

Außenpolitische Gefahren

Außenpolitisch wiederum zerrinnen alle bisherigen Fortschritte seiner Regierung im Nahen Osten. Noch dazu droht der Gaza-Krieg auszuarten zu einem größeren Konflikt. Angriffe proiranischer Milizen gegen US-Kräfte im Irak und Syrien nahmen in den vergangenen Wochen deutlich zu. Das US-Militär bemüht sich um Abschreckung, durch die Verlegung von Ausrüstung und Hunderten Soldaten in die Region, um zu verhindern, dass die USA kurz vor der Wahl in einen neuen Krieg hineinschlittern. Die Wahl ist noch zwölf Monate entfernt - in politischer Zeitrechnung eine Ewigkeit. Doch je nach Entwicklung könnte der Nahostkonflikt bei der Wahl eine gewichtige Rolle spielen.

Bidens politische Lage war vor dem Gaza-Krieg schon nicht einfach. Der älteste US-Präsident aller Zeiten, der bald 81 wird, hat seit längerem mit miesen Beliebtheitswerten zu kämpfen und mit Vorbehalten wegen seines hohen Alters. Selbst unter Parteikollegen mangelt es deshalb an Enthusiasmus für seine Wiederwahlkampagne - und auch in der Demokratischen Partei scheint sich keiner wirklich sicher, ob Biden die Wahl im November 2024 gewinnen kann. Durch die Eskalation im Nahen Osten ist seine Lage deutlich schwieriger geworden.

© dpa-infocom, dpa:231108-99-865716/3