Die Grünen unterstützen mehr Geld für die Bundeswehr und die Lieferung auch schwerer Waffen an die Ukraine - lehnen das Zwei-Prozent-Ziel der Nato für Rüstungsausgaben aber ab.
Einen entsprechenden Antrag beschlossen die Delegierten am Samstag bei einem kleinen Parteitag in Düsseldorf. Zuvor hatte Parteichef Omid Nouripour versprochen: »Wir werden immer Friedenspartei bleiben.«
Die Grünen ringen sichtlich mit sich und ihrer Rolle als verantwortliche Regierungspartei im Bündnis mit SPD und FDP, Kulturstaatsministerin Claudia Roth sprach von »Situationen der Zerrissenheit«. Zugleich ließen Redner und Delegierte aber wenig Zweifel an ihrer Unterstützung für die Ukraine. »Wenn du in Situationen von Ungerechtigkeit neutral bist, dann hast du die Seite des Unterdrückers gewählt«, gab der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir unter Bezug auf den südafrikanischen Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu zu bedenken.
Pazifisten wie Mahatma Gandhi hätten das eigene Leben für den Frieden aufs Spiel gesetzt, betonte der digital zugeschaltete Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck. »Pazifismus bedeutet nicht, dass wir andere sterben lassen, weil wir nicht bereit sind, unangenehme Entscheidungen zu treffen.«
Mit Diplomatie und Sanktionen
Die Grünen wollen die Ukraine laut beschlossenem Antrag mit der Aufnahme Schutzbedürftiger helfen, mit Diplomatie, schnellen und konsequenten Sanktionen, der »Unterstützung mit wirksamen, auch schweren und komplexen Waffen« und mit dem Annehmen einer aktiven, verantwortlichen Rolle innerhalb der EU, der Nato und der Weltgemeinschaft.
Das Ziel der Nato, dass die Bündnisstaaten jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben, lehnte der Parteitag hingegen ab. »Fixe Quoten abseits des Bedarfs der Bundeswehr, bei fehlenden effizienten Beschaffungsstrukturen und einem Zu-wenig an europäischer Zusammenarbeit bedeuten eben genau nicht mehr Sicherheit«, heißt es in dem Antrag.
Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr billigten die 99 Delegierten hingegen mehrheitlich. Die Grünen fordern auch eine zügige Reform des Beschaffungswesens der Truppe.
Ein Änderungsantrag der Grünen Jugend, der forderte, vor einer Zustimmung zu den 100 Milliarden Euro zunächst das Beschaffungswesen zu reformieren, fand keine Mehrheit. Nur ungefähr 25 von 99 Delegierten stimmten dafür. »Es ist richtig, dass wir die Ukraine unterstützen, auch militärisch, auch mit Waffen«, sagte der Co-Chef der Jugendorganisation, Timon Dzienus. Er sagte aber auch, dass der Etat der Bundeswehr über Jahre gestiegen sei. »Das Motto «Viel hilft viel» hilft uns bei der Bundeswehr aktuell nicht weiter.«
Nicht wegducken
In einer Videobotschaft an die Delegierten sagte Außenministerin Annalena Baerbock, dass sie dankbar sei, »dass unsere Partei in diesem Momenten Verantwortung übernimmt«. Dass sie bereit sei, sich nicht wegzuducken, »über Dinge zu entscheiden, die bisher nicht in unserem Parteiprogramm drin gestanden haben«. Es sei eine Stärke und keine Schwäche, Dinge neu und anders zu denken. Man handele und hadere zugleich. »Wir hadern, ob wir ausreichend handeln. Denn selbst mit diesen Waffenlieferungen wissen wir nicht, wann dieser Krieg zu Ende sein wird.«
Baerbock sprach sich erneut gegen die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine aus. Es gibt Befürchtungen, dass die Nato zur Durchsetzung einer Flugverbotszone russische Flugzeuge notfalls abschießen müsste und so in den Krieg hinein gezogen werden könnte.
Nouripour sagte, dass die Grünen als Regierungspartei der Realität ins Gesicht schauten. Das bedeute keinen Abschied vom Bemühen um friedliche Konfliktlösungen. Der Einsatz von Militär dürfe nur »ein aller-, allerletztes Mittel« sein. Die Lage in der Ukraine zwinge die Grünen nun, Dinge zu tun, die sie vor einigen Wochen nicht getan hätten, darunter die Lieferung schwerer Waffen. »Es ist unser Job als Grüne, die historisch gewachsene berechtigte Kultur der militärischen Zurückhaltung nicht aufzugeben. Das ist und bleibt richtig«, sagte Nouripour.
Nouripour, der im Iran geboren wurde und im Alter von 13 Jahren mit seiner Familie nach Deutschland kam, berichtete von eigenen Kriegserfahrungen. »Ich weiß noch ziemlich genau, wie es sich angefühlt hat, als Kind im Keller zu sitzen und nicht zu wissen, wann und wo die nächste Bombe oder Rakete einschlägt.« Die Grünen wollten alles tun für Frieden, nicht nur in der Ukraine.
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