Paris (dpa) - Die französische Regierung hat im Konflikt um die Rentenreform deutliche Zugeständnisse gemacht und ein Ende der Massenstreiks gefordert.
Die Mitte-Regierung hält zwar an den Grundprinzipien der Reform fest, allerdings gibt es lange Übergangsfristen. Den Gewerkschaften reicht das nicht aus, sie riefen zu weiteren Streiks auf. »Ich stehe voll und ganz hinter dieser Reform, weil ich sie für gerecht halte«, betonte Premier Édouard Philippe bei der Vorstellung der Pläne.
Der mächtige Chef der Hardliner-Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, kritisierte, dass die Regierung die Menschen mit ihren Ankündigungen zum Narren halte.
Philippe kündigte eine »sehr schrittweise« Einführung der Reform an. So soll grundsätzlich der erste Jahrgang, der von dem neuen System betroffen sein wird, der Geburtsjahrgang 1975 sein. Das sind also Beschäftigte, die heute in großer Mehrheit 44 Jahre alt sind. Bisher war bekannt geworden, dass die Reform für Beschäftigte vom Jahrgang 1963 an gelten soll. Es handelt sich damit um eine bedeutende Verschiebung. Hinzu kommen Ausnahmen für Mitglieder in Spezialkassen wie etwa die Eisenbahner. Für sie gelten die neuen Regelungen teils noch später.
Gegen die Rentenreform wird in Frankreich seit rund einer Woche massiv gestreikt und protestiert. Der öffentliche Verkehr mit Zügen und Metrolinien ist in Paris massiv gestört, viele Menschen kommen nicht oder nur verspätet zur Arbeit. Erst am Dienstag waren wieder Hunderttausende im ganzen Land auf die Straße gegangen.
Mit der Reform wollen Staatspräsident Emmanuel Macron und die Mitte-Regierung die Zersplitterung in 42 Renten-Einzelsysteme, von denen einige zahlreiche Sonderrechte und Privilegien mit sich bringen, beenden und Menschen auch dazu bringen, länger zu arbeiten. Die Reform war ein Versprechen des sozial-liberalen Macron im Wahlkampf 2017.
Philippe bestätigte, dass ein einheitliches System eingeführt werden soll. »Die Zeit für ein universelles System ist gekommen, die Zeit der Sondersysteme endet«, sagte er. Grundsätzlich soll das System 2025 eingeführt werden - allerdings gibt es Ausnahmen für Jüngere. »Wir alle wissen, dass unsere Kinder im Durchschnitt weniger durchgehende Karrieren haben werden als wir, dass die berufliche Mobilität heute stärker ist als in der Vergangenheit. Unser Rentensystem muss das zulassen.« Wer heute in Frankreich in seinem Berufsleben mehrmals den Job wechselt, zahlt oft in verschiedene Kassen ein, was zu einem großen Durcheinander führen kann.
Die Gewerkschaften machen weiter mobil gegen die Reform und forderten eine Verschärfung der Streiks. Gewerkschaftsboss Martinez nannte die Pläne »inakzeptabel«. »Wenn das Projekt gut ist, warum gilt es nicht sofort für alle?«, fragte er. Für Donnerstag wurden neue Streiks bei der Bahn und der Pariser Metro angekündigt. Bereits am Vortag hatten die Gewerkschaften zu einem neuen Massenprotest am kommenden Dienstag aufgerufen. Der Fernverkehr im ganzen Land war am Mittwoch weiter massiv gestört, das Pariser Nahverkehrsnetz wurde ebenfalls weiterhin bestreikt. Die Stationen, an denen zu Stoßzeiten vereinzelt Metros fahren, waren teilweise gefährlich überfüllt.
Künftig soll zwar am Renteneintrittsalter von 62 Jahren festgehalten werden - das war eine Zusage von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Grundsätzlich müssten die Franzosen aber »etwas länger arbeiten«, wie es überall in Europa der Fall sei, kündigte Philippe an. Deshalb empfiehlt die Regierung Beschäftigten grundsätzlich bis 64 zu arbeiten, um sicherzustellen, dass sie die vollen Bezüge erhalten. Dieses sogenannte Gleichgewichtsalter soll ab dem Jahr 2027 gelten und die Franzosen mit finanziellen Anreizen dazu bringen, später in Rente zu gehen. Philippe sprach von einer »Bonus-Malus-Regelung«.
Für den Generalsekretär des eher gemäßigten Gewerkschaftsbunds CFDT, Laurent Berger, ist damit eine »rote Linie überschritten«, da die Franzosen nun länger arbeiten müssten. Der Linksaußenpolitiker Jean-Luc Melenchon montierte: »Macron hat gerade die Rente im Alter von 64 Jahren eingeführt«. Das neue System sei unfair und ungerecht.
Philippe bestätigte außerdem die Einführung eines Punktesystems und einer Mindestrente von 1000 Euro pro Monat für alle mit einer kompletten Berufslaufbahn. "Die Frauen sind die großen Gewinnerinnen des universellen Systems", so der Premier. Ihre Renten seien heute halb so hoch wie die von Männern. Das Punktesystem soll Kinder besser berücksichtigen. "Die Reichsten sollen außerdem einen höheren Beitrag zahlen. Die Rentenreform soll nun im Eiltempo umgesetzt werden. Ende Januar soll sie im Kabinett verabschiedet werden, eine Parlamentsdebatte soll es Ende Februar geben.