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Finnlands Führung für »unverzüglichen« Nato-Beitritt

Die direkte Grenze zwischen Russland und Nato-Territorium wird vermutlich bereits in einigen Monaten um 1340 Kilometer länger werden. In Moskau kommt diese Aussicht gar nicht gut an.

Sauli Niinistö
Finnlands Präsident Sauli Niinistö bei einer Pressekonferenz in Helsinki. Foto: Bernd von Jutrczenka
Finnlands Präsident Sauli Niinistö bei einer Pressekonferenz in Helsinki.
Foto: Bernd von Jutrczenka

Angesichts der Kriegspolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin hat sich die politische Führung Finnlands für einen unverzüglichen Beitritt des Landes zur Nato ausgesprochen.

Spätestens Anfang der kommenden Woche dürfte nun der offizielle Aufnahmeantrag in der Brüsseler Zentrale der Militärallianz eingehen. Mit Spannung wird erwartet, wie Russland reagiert - schon in der Vergangenheit behauptete das Land, von der Nato umzingelt zu werden. Fragen und Antworten zu den jüngsten Entwicklungen:

Warum will Finnland so schnell in die Nato?

Finnland hat gesehen, wozu Russland in der Lage und bereit ist: zu einem offenen Angriffskrieg auf einen Nachbarn. Angesichts einer 1340 Kilometer langen Grenze zu Russland und einer wechselhaften gemeinsamen Geschichte sorgt sich das Land um seine Sicherheit. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine sprechen sich in Umfragen durchweg klare Mehrheiten für eine finnische Nato-Mitgliedschaft aus - vorher hatte es eine solche Stimmung nie gegeben. Diese Meinung der Menschen spiegelte sich nun auch in der Bekanntgabe der politischen Führung wider. Letztlich geht es den Finnen nur um eines: die eigene Sicherheit angesichts eines unberechenbaren, mächtigen Nachbarn.

Wie sieht die Nato die Entwicklungen?

Die Nato stellte Finnland eine schnelle Aufnahme in Aussicht. »Der Beitrittsprozess würde reibungslos und zügig ablaufen«, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg. Finnland sei einer der engsten Partner der Nato, eine gereifte Demokratie, ein EU-Mitglied und ein maßgeblicher Faktor, wenn es um die euroatlantische Sicherheit gehe. In den vergangenen Wochen hatte Stoltenberg immer wieder deutlich gemacht, dass Finnland im Bündnis herzlich willkommen ist. »Die Nato-Erweiterung der letzten Jahrzehnte war ein großer Erfolg in ganz Europa und hat zur Verbreitung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit in ganz Europa beigetragen«, sagte er jüngst bei einer Diskussionsveranstaltung. Zum Ende des Kalten Krieges Anfang der 1990er Jahre habe die Nato nur 16 Mitglieder aus Westeuropa und Nordamerika gehabt. Jetzt seien es 30 Mitglieder.

Wie sieht Moskau das Streben Finnlands in die Nato?

Kremlchef Wladimir Putin hat immer wieder deutlich gemacht, dass er mit der Nato-Erweiterung in Richtung Russland ein großes Problem hat. Entsprechend kühl reagierte Moskau am Donnerstag auf die finnische Bekanntgabe: Das russische Außenministerium beklagte einen »radikalen Wechsel des außenpolitischen Kurses« in Helsinki. Ein finnischer Nato-Beitritt werde den russisch-finnischen Beziehungen schweren Schaden zufügen. »Russland wird gezwungen sein, entsprechend zu antworten - in militärisch-technischer und in anderer Hinsicht -, um den Gefahren mit Blick auf seine nationale Sicherheit Rechnung zu tragen«, hieß es in einer Mitteilung des Ministeriums.

Könnte Russland versuchen, den Beitritt militärisch zu verhindern?

In der Nato wird ein solcher Schritt für extrem unwahrscheinlich gehalten. Zum einen sind die russischen Streitkräfte durch den Krieg gegen die Ukraine gebunden und zum Teil stark geschwächt. Zum anderen müsste Putin damit rechnen, dass Finnland im Fall eines russischen Angriffs sofort direkte militärische Unterstützung von EU- und Nato-Staaten erhalten würde. Als EU-Mitglied könnte Helsinki nach Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags Beistand einfordern. Am Mittwoch hatte zudem auch der britische Premier Boris Johnson die Unterstützung seines Landes für den Fall eines Angriffs zugesichert.

Russland würde bei einem Beitrittsantrag Finnlands tatenlos zusehen?

Nein, nur eine große militärische Intervention wird für unwahrscheinlich gehalten. Für durchaus denkbar wird es in der Nato gehalten, dass Russland zum Beispiel Cyberangriffe gegen Ziele in Finnland startet oder versucht, mit verstärkten Aktivitäten der Luftstreitkräfte für Beunruhigung in der finnischen Bevölkerung zu sorgen. Auch in einer im April vorgelegten Sicherheitsanalyse der finnischen Regierung wird gewarnt, dass sich das Land im Falle eines Nato-Antrags auf umfassende Versuche der Einflussnahme sowie Risiken vorbereiten müsse, die schwer vorherzusehen seien.

Würde ein Beitritt die Gefahr eines Konflikts zwischen Russland und der Nato langfristig erhöhen?

Aller Voraussicht nach nicht. Durch den Beitritt Finnlands würde sich die direkte Grenze zwischen der Nato und Russland zwar mehr als verdoppeln. Zugleich würde das Bündnis aber noch größer und schlagkräftiger werden. Die Nato betont stets, dass es für Russland keinerlei Grund gebe, sich von ihr bedroht zu fühlen. Sie widerspricht auch Darstellungen, das Bündnis wolle Russland einkreisen. Nach Nato-Angaben sind von der mehr als 20 000 Kilometer langen russischen Landgrenze derzeit nur 1215 Kilometer Grenze zu Nato-Staaten.

Wie schnell könnte es mit dem finnischen Beitritt gehen?

Wenn alles nach Plan läuft, könnte Finnland noch in diesem Jahr offizielles Mitglied werden. Nach Angaben aus der Bündniszentrale dürfte das Zustimmungsverfahren in den Nato-Gremien innerhalb weniger Wochen abgeschlossen sein. Für die Beitrittsverhandlungen an sich braucht es demnach pro Land vermutlich nur etwa einen Tag. »Wir werden nicht auf den Gipfel von Madrid warten, um Entscheidungen zu treffen«, sagte ein Nato-Mitarbeiter am Montag mit Blick auf Spekulationen, dass die Aufnahmeentscheidung Ende Juni bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs in der spanischen Hauptstadt verkündet werden könnte.

Nach dem Abschluss des Aufnahmeverfahrens innerhalb der Nato müssen die Beitrittsprotokolle dann nur noch in den 30 Bündnisstaaten selbst ratifiziert werden. Dieser Prozess wird Schätzungen von Diplomaten zufolge innerhalb von sechs bis acht Monaten abgeschlossen werden.

Und was macht nun Schweden?

Das Land steht nach Niinistös und Marins Erklärung gehörig unter Zugzwang. Finnland ist Schwedens wichtigster Sicherheitspartner, die weiteren nordischen Staaten Dänemark, Norwegen und Island sind schon seit der Nato-Gründung 1949 Mitglieder des Bündnisses. Bei einem Nein zur Nato wäre Schweden somit in Nordeuropa isoliert, ein ebenfalls positiver Bescheid für einen Nato-Antrag gilt damit als wahrscheinlich. Dazu wird an diesem Freitag eine Sicherheitsanalyse erwartet, auf der ein schwedischer Beschluss letztlich fußen wird. Am Sonntag verkünden die Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Magdalena Andersson ihre Nato-Position. Schon Anfang nächster Woche könnte die Nato somit zweimal Post bekommen - einmal aus Helsinki und einmal aus Stockholm.

Was sagt Deutschland dazu?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Finnland »die volle Unterstützung der Bundesregierung« auf dem Weg zu einem Nato-Beitritt zugesichert. In einem Telefonat mit dem finnischen
Staatspräsidenten Sauli Niinistö habe Scholz die Erklärung des Staatsoberhaupts und der Ministerpräsidentin Sanna Marin für einen unverzüglichen Beitritt ihres Landes zu dem westlichen Verteidigungsbündnis begrüßt, teilte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, am Donnerstag mit. In dem Gespräch sei es auch um die Sicherheitslage in Europa infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gegangen.

© dpa-infocom, dpa:220512-99-252215/11