Berlin (dpa) - Es ist gerade ein Jahr her, da hat Finanzminister Olaf Scholz (SPD) seine Ministerkollegen gewarnt: »Nun sind die fetten Jahre vorbei.« Schwache Konjunktur, internationale Handelskrisen, und die Höhenflüge bei den Steuern Geschichte.
»Von jetzt an erwarte ich keine unvorhergesehenen Mehreinnahmen mehr«, hatte der Vizekanzler gesagt. Ein Jahr später muss er sich die Frage gefallen lassen, wie viel seiner Warnung nur Alarmismus war. Der Bund hat nach dem vergangenen Jahr so viel Geld übrig wie noch nie in der Nachkriegszeit. Sind die »fetten Jahre« doch nicht vorbei?
»Wir hatten ein bisschen Glück - und natürlich haben wir auch gut gewirtschaftet«, sagte Scholz am Montag. 2019 überstiegen die Einnahmen im Bundeshaushalt die Ausgaben um 13,5 Milliarden Euro.
Zu diesem Überschuss kommen 5,5 Milliarden, die man eigentlich aus der Asylrücklage, einer der Spardosen des Bundes, nehmen wollte - dann aber doch nicht brauchte. Zum dritten Mal seit 2015 weist der Bund damit ein Haushaltsjahr mit zweistelligem Überschuss aus. Der bisherige Rekord lag 2015 bei 12,1 Milliarden.
Grund für den überraschenden Geldsegen ist vor allem das gesunkene Zinsniveau. Zuletzt habe der Bund für seine Altschulden nur noch rund 12 Milliarden Euro Zinsen zahlen müssen - viel weiter könne der Wert nicht mehr sinken, hieß es im Ministerium. Zugleich kamen doch mehr Steuereinnahmen rein als gedacht. Außerdem brauchte der Bund seine Vorsorge für einen Austritt Großbritanniens aus der EU noch nicht.
Und - weniger positiv: Vor allem Länder und Kommunen riefen Milliarden an Investitionsmitteln aus Sonderfonds für Schulen, Kitas und Digitalisierung nicht ab. Oft fehlen Voraussetzungen und Personal, die Gelder zu verbauen.
Der Spielraum der Bundesregierung ist durch den Überschuss plötzlich deutlich größer als erwartet. Die Diskussion, was mit dem Geld passieren soll, ist zwischen den Ministerien eröffnet. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) fordert schon länger niedrigere Unternehmensteuern und eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags.
Zunächst einmal muss das Geld nach Haushaltsgesetz jedoch in Rücklagen fließen, vor allem in die nach der Flüchtlingskrise gebildete Asylrücklage, die damit auf mehr als 48 Milliarden Euro anwächst. Doch Scholz verspricht: Es soll dort nicht versickern. »Das Geld ist sinnvoll einsetzbar für die Zukunft.« Investitionen seien nötig, in die Infrastruktur, in Schulen, Krankenhäuser, in die Bekämpfung des Klimawandels und in gleichwertige Lebensverhältnisse, »damit unser Land zusammenhält«. »Alles das«, sagte Scholz, »wird jetzt etwas einfacher, weil wir dazu die notwendige Kraft haben.«
Scholz schlug eine neue Investitionsoffensive vor: In den kommenden Jahren sollten die Mittel zunächst weiter erhöht werden und dann langfristig und verlässlich auf dem höheren Niveau bleiben. Das sei ein Signal, auf das die Wirtschaft und auch andere warteten, heißt es aus der Führungsetage des Finanzministeriums.
Niemand spricht es aus, aber gemeint ist auch die neue SPD-Führung. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hatten zusätzliche Milliardeninvestitionen verlangt - und sollen diese Forderung mit Unterstützung vom SPD-Parteitag jetzt in Gespräche mit dem Koalitionspartner Union tragen.
Der betonte zunächst einmal genau wie die FDP, der Ruf nach neuen Schulden sei nun ja wohl obsolet. »Angesichts der schwierigen konjunkturellen Lage müssen wir endlich eine Senkung der Unternehmensteuern und den endgültigen Abbau des Solidaritätszuschlags ab 2022 in Angriff nehmen«, forderte Unions-Haushälter Eckhardt Rehberg. »Wir werden das Geld in den nächsten Jahren für die großen Herausforderungen benötigen, die vor uns liegen.«
Auch der stellvertretende CSU-Landesgruppenvorsitzende Hans Michelbach verlangte weitere Steuerentlastungen. Scholz und der SPD warf er eine »ideologisch begründete Blockade« vor.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich will die von Scholz ins Spiel gebrachte Entlastung hoch verschuldeter Kommunen forcieren. »In den kommenden Wochen müssen wir über die Regelung der Altschulden, die etwa 3000 Kommunen in Deutschland betrifft, ernsthaft sprechen«, sagte er der »Rheinischen Post«. Gerade in strukturschwachen Regionen müsse dauerhaft mehr investiert werden. Rehberg lehnte das ab: Für eine Entschuldung der Kommunen sei kein Spielraum da.
Die Grünen sehen den Bund dagegen in der Verantwortung, Kommunen und Ländern bei der Umsetzung der Investitionen zu helfen. »Die Investitionsprogramme müssen so gestaltet werden, dass die Kommunen sie auch wirklich nutzen können«, forderte Haushälter Sven-Christian Kindler.
Die FDP warf Scholz vor allem Zahlen-Trickserei vor: Er rechne trotz der anhaltenden Niedrigzinsphase weiter mit hohen Zinsausgaben und stelle Investitionen in den Haushalt ein, die nicht abfließen könnten, beklagte Haushälter Otto Fricke. Fraktionsvize Christian Dürr forderte, der Überschuss dürfe nun nicht in Rücklagen versteckt werden - sondern solle jedem Bürger anteilig ausgezahlt werden. Etwa 162 Euro müsste jeder dann überwiesen bekommen.