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Familienministerin Spiegel tritt zurück - Nachfolge offen

Wegen ihres Urlaubs nach der Flutkatastrophe geriet Familienministerin Anne Spiegel immer stärker unter Druck. Trotz einer emotionalen Rede mit Entschuldigung gibt sie ihr Amt nun auf. Die Nachfolge ist ungeklärt.

Anne Spiegel
Familienministerin Anne Spiegel ist nach der Entschuldigung für ihren vierwöchigen Familienurlaub nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer von ihrem Amt zurückgetreten. Foto: Annette Riedl
Familienministerin Anne Spiegel ist nach der Entschuldigung für ihren vierwöchigen Familienurlaub nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer von ihrem Amt zurückgetreten.
Foto: Annette Riedl

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) tritt nach Kritik an ihrem Umgang mit der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz im Sommer 2021 zurück.

Aufgrund des politischen Drucks habe sie sich entschieden, ihr Amt zur Verfügung zu stellen, sagte die 41-Jährige am Montag laut einer Mitteilung des Familienministeriums. »Ich tue dies, um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht.« Wer ihr nachfolgt, blieb zunächst offen. Die Grünen, die für das Ressort zuständig sind, kündigten »zeitnah« eine Entscheidung an.

Am Wochenende war bekanntgeworden, dass Spiegel als damalige rheinland-pfälzische Umweltministerin zehn Tage nach der Flut zu einem vierwöchigen Familienurlaub nach Frankreich aufgebrochen war und diesen nur einmal für einen Ortstermin im Ahrtal unterbrochen hatte. Bei einem emotionalen Auftritt hatte Spiegel den Urlaub am Sonntagabend als Fehler bezeichnet und sich dafür entschuldigt. Sie begründete ihre damalige Entscheidung unter anderem mit dem Gesundheitszustand ihres Mannes, der 2019 einen Schlaganfall erlitten habe. Ihre Familie habe den Urlaub gebraucht.

Dabei räumte sie auch ein, dass sie sich anders als ursprünglich mitgeteilt nicht aus den Ferien zu den Kabinettssitzungen zugeschaltet hatte.

Erster Ministerrücktritt für Scholz

Für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ampel-Regierung ist es der erste Ministerrücktritt. Scholz äußerte »höchsten Respekt« für den Rücktritt. »Ich habe mit Bundesministerin Anne Spiegel gut und gerne zusammengearbeitet«, sagte Scholz am Montag in Berlin. Es habe ihn »sehr berührt«, was die 41-Jährige über ihre Lebenssituation gesagt habe. »Deshalb hat ihre Entscheidung höchsten Respekt verdient, meinen hat sie jedenfalls.« Der Schritt sei Spiegel sicher nicht leicht gefallen, das wisse er aus einem Gespräch mit ihr.

SPD-Chefin Saskia Esken erklärte, Spiegel beweise mit diesem Schritt »trotz ihrer schwierigen familiären Situation persönliche Integrität und Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern«. Der gleiche Maßstab sollte nach den Worten von Esken auch für jene NRW-Kabinettsmitglieder gelten, die nach Bekanntwerden des Ausmaßes der Jahrhundertflut ihren Urlaub noch tagelang fortsetzten.

Auch der Koalitionspartner FDP sprach von »Respekt«. »Wir wünschen Frau Spiegel und ihrer Familie alles Gute«, sagte Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner, der »Rheinischen Post«. Auf die Frage, ob Spiegel eine Frau im Kabinett nachfolgen müsse, sagte er, das sei alles Sache der Grünen. »Da gibt es keine Einmischung in deren Fragen.«

Spiegel erst vor Kurzem nach Berlin gezogen

Zum Amtsantritt als Familienministerin hatte sie im vergangenen Dezember den Kampf gegen Kinderarmut und die Einführung der sogenannten Kindergrundsicherung als vorrangige politische Ziele genannt. Erst vor kurzem war Spiegel mit ihrem Mann und den vier Kindern nach Berlin umgezogen.

Den Rücktritt oder ihre Entlassung hatten Unionspolitiker und AfD-Vertreter gefordert. Urlaub und das eigene Image seien ihr wichtiger gewesen als das Schicksal der Menschen an der Ahr, hatte CDU-Chef Friedrich Merz am Sonntag der »Bild«-Zeitung gesagt. »Der Bundeskanzler muss sie entlassen«. Die stellvertretende CSU-Vorsitzende Dorothee Bär sagte der »Augsburger Allgemeinen« (Dienstagausgabe), »der Rücktritt ist aufgrund der vielen Fehler und Lügen überfällig und richtig.« Auch AfD-Fraktionschefin Alice Weidel nannte den Schritt »überfällig«.

Bei der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 waren in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, davon 134 im Ahrtal. Rund 750 Menschen wurden in Rheinland-Pfalz verletzt und große Teile der Infrastruktur sowie Tausende Häuser zerstört. Viele Menschen leben noch immer in Not- oder Ausweichquartieren.

Der Fall Heinen-Esser

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte auf den Fall von NRW-Umweltministerin Heinen-Esser (CDU) hingewiesen, die ihr Amt niedergelegt hatte, nachdem bekanntgeworden war, dass sie wenige Tage nach der Flut mit weiteren Regierungsmitgliedern auf Mallorca den Geburtstag ihres Ehemannes gefeiert hatte. »SPD und Grüne haben sich hier in Nordrhein-Westfalen in der letzten Woche moralisch sehr hoch aufgeschwungen und über Ursula Heinen-Esser gerichtet«, sagte Wüst am Montag in Wuppertal.

Im rheinland-pfälzischen Landtag hatte die Opposition - CDU, Freie Wähler und AfD - Spiegels Rücktritt bereits seit ihrer Aussage im Landtags-Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe am 11. März in Mainz verlangt. Damals ging es noch nicht um den Frankreich-Urlaub. Spiegel war in die Kritik geraten, weil sie sich in einem Kurznachrichten-Wechsel mit ihren Mitarbeitern direkt nach der Hochwassernacht um ihr politisches Image gesorgt hatte.

Dazu hatte die Grünen-Politikerin im Untersuchungsausschuss des Landtags in Mainz gesagt, die Hilfe für die Betroffenen im Ahrtal sei für sie von höchster Bedeutung gewesen. »Es ist absolut falsch und ich weise entschieden zurück, dass ich irgendwann eine andere Priorität hatte.«

© dpa-infocom, dpa:220411-99-875042/13