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Fall Altayli: Anklage nach über zwei Jahren U-Haft in Türkei

Lange saß der deutsch-türkische Autor und Ex-Geheimdienstmitarbeiter Enver Altayli in türkischer Einzelhaft - ohne dass ganz klar war, was ihm überhaupt vorgeworfen wird. Nun liegt eine Anklageschrift vor. Kommt der Fall beim Merkel-Besuch am Freitag zur Sprache?

Enver Altayli
Enver Altayli soll eine »bewaffnete Terrororganisation« aufgebaut oder geführt haben. Dem 75-jährigen Deutschen wird nun in der Türkei der Prozess gemacht. Foto: -/Familie/dpa
Enver Altayli soll eine »bewaffnete Terrororganisation« aufgebaut oder geführt haben. Dem 75-jährigen Deutschen wird nun in der Türkei der Prozess gemacht. Foto: -/Familie/dpa

Istanbul (dpa) - Rund zweieinhalb Jahre sitzt der 75-jährige Deutsche Enver Altayli bereits in türkischer Untersuchungshaft - jetzt liegt eine Anklageschrift vor. Damit ist der Weg frei für einen Prozess.

Außerdem herrscht in dem prominenten Fall zum ersten Mal mehr Klarheit zu den Terrorvorwürfen gegen Altayli. Der hatte den Terrorvorwurf bereits zuvor zurückgewiesen. Seiner Familie zufolge ist Altayli im Gefängnis, weil er sich unter anderem als Autor mit scharfer Kritik an der Regierung zu Wort gemeldet hat.

Die Akte war bisher geheimgehalten worden. Dem 85-seitigen Gerichtsdokument zufolge, das auch drei weitere Angeklagte betrifft und der dpa vorliegt, soll Altayli eine »bewaffnete Terrororganisation« aufgebaut oder geführt haben. Außerdem wirft die Staatsanwaltschaft ihm Spionage vor. Die Anklageschrift porträtiert ihn als jemanden mit engen Kontakten zur Organisation von Fethullah Gülen. Den macht die türkische Regierung für den Putschversuch von 2016 verantwortlich.

Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei vor rund dreieinhalb Jahren landen immer wieder auch Deutsche in türkischen Gefängnissen. Eine ganze Serie von Festnahmen wegen »politischer Gründe« hatte 2017 zu einer schweren Krise zwischen Berlin und Ankara geführt. Viele Betroffene durften inzwischen ausreisen, ihre Prozesse gehen aber weiter. Altayli ist einer von drei der älteren bekannten Fälle, bei denen die Betroffenen noch in der Türkei sind. Die beiden anderen - eine Sängerin aus Köln und ein Mann aus Gießen - wurden im Herbst 2018 zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt.

Der Familie zufolge war die Anklageschrift kurz vor einer Frist gekommen, zu der Enver Altayli aus der langen U-Haft ohne Anklage eigentlich hätte freigelassen werden müssen. »Wir sind sehr, sehr traurig. Wir hatten eine kleine Hoffnung, dass er freikommt. Aber jetzt haben wir mit der Anklageschrift wenigstens etwas, womit wir arbeiten können - jetzt können wir in einem Prozess konkret gegen die Vorwürfe vorgehen«, sagte eine in Deutschland lebende Tochter von Altayli, Zeynep Potente, der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch.

Das Gericht habe die Anklageschrift schon akzeptiert, sagte Altaylis Anwalt, Bora Toksoy, der dpa. Einen Termin für den Prozessbeginn gebe es aber noch nicht. Welches Strafmaß die Staatsanwaltschaft fordert, ist unklar. Sie zitiert in der Anklageschrift Punkte, die zusammengenommen auf mehrere Jahrzehnte Haft hinauslaufen könnten.

Angezeigt hat Altayli laut Anklageschrift der türkische Geheimdienst MIT, für den Altayli auch eigenen Angaben nach vor Jahrzehnten mal gearbeitet hat. Die Schrift geht für manche Details mehr als 50 Jahre zurück, zitiert zum Beispiel CIA-Kontakte. Vor dem Putschversuch soll Altayli Berichte verfasst haben, die die Atmosphäre für einen Coup schaffen sollten. Auch von einem Brief an Gülen aus dem Jahr 2009 ist die Rede sowie von Fluchthilfe für Mitglieder der Bewegung ins Ausland.

Der Fall Altayli ist einer der prominentesten Fälle von Deutschen in türkischer Haft. Der deutsche Botschafter besucht ihn regelmäßig. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es zu Altayli, dass »Fälle, in denen von einem politischen Hintergrund der Verhaftung auszugehen ist, auf politischer Ebene gegenüber der Türkei angesprochen wurden und werden«. Der Fall könnte also auch am Freitag zur Sprache kommen, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in der Türkei trifft.

Altayli, der auch die türkische Staatsbürgerschaft hat, war 2017 in Antalya festgenommen worden, wo die Familie eine Ferienanlage betreibt. Er sitzt weiter im Hochsicherheitsgefängnis Sincan in Ankara in Einzelhaft. Seine Familie sorgt sich um seine Gesundheit. Er habe Probleme mit dem Bluthochdruck und der Schilddrüse, sagen seine Töchter. Für den Vater werde diese Anklageschrift noch einmal ein schwerer Schlag, sagt Zeynep Potente. Sie selbst reist derzeit nicht in die Türkei. »Ich hoffe, dass ich ihn irgendwann noch lebend sehe, ich hoffe wirklich. Es hat sich schon so lange hingezogen, und es kann sich noch so lange hinziehen.«

Derzeit sind nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt in Berlin 59 Deutsche in Haft. Unter ihnen sind sowohl »politische« Fälle, in denen es um Terrorvorwürfe oder Präsidentenbeleidigung geht, wie auch Fälle mit kriminellem Hintergrund. Gleichzeitig steigt die Zahl der Deutschen unter Ausreisesperre. 74 zählte das Amt in dieser Woche.