Nicht nur die Bundeswehr muss sich angesichts der veränderten Bedrohungslage in Europa umorientieren - Deutschland muss sich nach Ansicht von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auch bei der zivilen Verteidigung ganz neu aufstellen.
»Wir werden weitere erhebliche Investitionen in gute Warnsysteme, in moderne Hubschrauber und weitere Ausstattung vornehmen müssen«, sagte die Ministerin der Deutschen Presse-Agentur. Das Gleiche gelte für den effektiven Schutz kritischer Infrastruktur und die Versorgung für Krisenfälle. Konkrete Zahlen nennt sie nicht. Doch Fachleute sagen: »Es geht hier um Milliarden.«
Ein Satz, der in Zeiten mit schwieriger Haushaltslage nicht gut ankommt, wobei ein Teil der Ausgaben in der Verantwortung der Länder liegt, da etwa die Trinkwassernotversorgung nicht nur für den Zivilschutz benötigt wird, sondern auch bei Krisen und Katastrophen, die keine militärische Ursache haben.
Die russische Aggression in der Ukraine habe zu einer völlig veränderten Sicherheitslage geführt, betont Faeser, »zuallererst bei unseren östlichen EU- und Nato-Partnern wie im Baltikum, aber auch durch hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe, Spionage und Desinformation bei uns«. Das bedeute: »Wir müssen neben der militärischen Abschreckung und Verteidigung daher zwingend auch den Zivilschutz stärken.« Ihr Ministerium und die ihm unterstellten Behörden arbeiteten deshalb gemeinsam mit dem Bundesverteidigungsministerium intensiv an einem Operationsplan zur militärischen und zivilen Verteidigung.
Neuer Operationsplan bleibt geheim
Eingebunden in die Arbeit an dem sogenannten OPLAN, der als geheim eingestuft ist und in einer ersten Fassung seit einigen Wochen im Verteidigungsministerium vorliegt, sind unter anderem auch das Gesundheitsministerium sowie das Verkehrsressort. Denn auch Fragen wie die Bevorratung mit Medikamenten und Sanitätsmaterial oder die Auswirkungen von Truppentransporten auf den zivilen Verkehr sollen vorab geklärt werden, damit im Spannungs- und Verteidigungsfall alles möglichst reibungslos funktioniert. Damit die Vorräte der Gesundheitsreserve nicht nach Ablauf der Haltbarkeit weggeworfen werden müssen, sind die Apotheken großer Krankenhäuser in das System eingebunden.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das Technische Hilfswerk (THW) und die Hilfsorganisationen prüften aktuell die jeweiligen Leistungsanforderungen, die sich aus dem OPLAN ergäben, teilte BBK-Präsident, Ralph Tiesler, auf Anfrage mit. Beispiele für solche Anforderungen seien etwa die Versorgung von Verbündeten mit Treibstoff und Verpflegung sowie die Unterbringung von verbündeten Militärangehörigen auf dem Transport durch Deutschland.
Soldaten und Polizei würden Infrastruktur schützen
Die Bundeswehr will bis 2027 sechs Heimatschutzregimenter auf, denen schätzungsweise 6000 Männer und Frauen angehören werden. Im Frieden können sie bei der Amts- und Katastrophenhilfe - schweren Unglücksfällen über Terrorlagen bis hin zu Pandemien - eingesetzt werden. Im Spannungs- und Verteidigungsfall oder auch bereits bei einer krisenhaften Entwicklung sichern und schützen Heimatschutzkräfte auch Häfen und Bahnanlagen, Güterumschlagplätze, Pipelines, Straßen für den Truppenaufmarsch, Brücken, Verkehrsknotenpunkte und digitale Infrastruktur gemeinsam mit der Polizei.
Die Bundeswehr hilft bei Naturkatastrophen, großen Waldbränden oder auch in Notlagen wie der Corona-Pandemie oft, Schlimmeres zu verhindern. Im Verteidigungsfall steht sie für solche Unterstützung aber nicht zur Verfügung, weil sie ihren eigentlichen Auftrag, die Landes- und Bündnisverteidigung, erfüllen muss. Hier müssten dann vielmehr zivile Kräfte die Streitkräfte entlasten, etwa beim Transport oder der medizinischen Versorgung von Verletzten.
Auf die zivile Seite kommen im Verteidigungsfall vier Hauptaufgaben zu: die Aufrechterhaltung von Staats- und Regierungsfunktionen, der Schutz der Zivilbevölkerung vor kriegsbedingten Schäden und deren Folgen, die Versorgung der Bevölkerung und die Unterstützung der Streitkräfte.
Doch ist die deutsche Bevölkerung nach Jahrzehnten des Friedens auf einen solchen Fall, der nach Schätzung von Experten womöglich gegen Ende dieses Jahrzehnt eintreten könnte, vorbereitet? BBK-Präsident Tiesler meint: »Das Bewusstsein der Bevölkerung für mögliche Risiken ist in den letzten Jahren durch die Vielzahl von Ereignissen wie die Pandemie oder Hochwasser in Deutschland sowie den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestiegen.« Das lasse sich beispielsweise an der gestiegenen Zahl von Anfragen beim Bundesamt ablesen. Um eine belastbare Faktenlage zur Frage der Risikowahrnehmung in Sachen Zivilschutz zu erhalten, plane das BBK aktuell eine mehrstufige Erhebung.
Warum ist das wichtig? Tiesler ist überzeugt: »Eine weit verbreitete Selbstschutz- und Selbsthilfefähigkeit in der Bevölkerung trägt essenziell zur Resilienz der gesamten Gesellschaft bei.« Faeser findet, Bevölkerungsschutz sollte auch bundesweit Thema an Schulen sein. Sie sagt: »Es gilt, Wissen zu vermitteln, ohne Angst zu machen.«
Und was ist mit den notwendigen Einrichtungen und Geräten? Das BBK hat Allrad-Fahrzeuge angeschafft. Neue Hubschrauber, mit denen mehrere Verletzte transportiert werden können, sollen hinzukommen. Auf Grundlage des Wassersicherstellungsgesetzes hat das Bundesinnenministerium im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben drei Millionen Euro ausgegeben für Notbrunnen, Pumpen und andere Maßnahmen zur Sicherstellung der Wasserversorgung. Seit 2021 gibt es Unterstützung vom Bund für den Ausbau der kommunalen Sirenen-Netze.
Über die unterschiedlichen Warnkanäle könnten inzwischen bis zu 97 Prozent der Bevölkerung schnell mit einer Warnmeldung erreicht werden, teilt das BBK am Montag in einer Mitteilung zum 20-jährigen Bestehen des in Bonn beheimateten Bundesamtes mit. Es war am 1. Mai 2004 durch den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gegründet worden. Alle Vorkehrungen des BBK verfolgten einen »Doppelnutzen«, betont das Bundesinnenministerium, da gleichzeitig Vorsorge für militärische als auch für nichtmilitärische Krisen getroffen werde. Das gelte für den Schutz von Kulturgütern genauso wie für die Trinkwasserversorgung nach möglichen Hackerangriffen.
Keine Bunker vorhanden
Ein Schwachpunkt sind die Schutzräume. Anders als etwa in Finnland gibt es in Deutschland nicht für jeden einen Platz in einem Bunker. Selbst da, wo es Schächte oder Keller gibt, die als Schutzraum dienen könnten, wissen die Anwohner in der Regel nicht, wohin sie sich wenden müssten. »Aktuell arbeiten Bundesinnenministerium und BBK zusammen mit anderen Institutionen an einem neuen Schutzbau-Konzept«, sagt BBK-Chef Tiesler. Dort, wo künftig öffentliche Schutzräume gegebenenfalls wieder zur Verfügung stehen könnten, würden dann auch entsprechende Hinweise für die Bevölkerung erfolgen, auch über Notfall-Apps.
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