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Expertenkommission: Vergesellschaftung in Berlin möglich

Die Expertenkommission zum Thema Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen in Berlin legt ihren Abschlussbericht vor. Ihr Fazit: Es geht. Aber was heißt das?

Bericht zu Vergesellschaftung
Während einer Kundgebung vor dem Roten Rathaus in Berlinnach der Vorstellung des Abschlussberichts der Expertenkommission »Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen«. Foto: Wolfgang Kumm/DPA
Während einer Kundgebung vor dem Roten Rathaus in Berlinnach der Vorstellung des Abschlussberichts der Expertenkommission »Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen«.
Foto: Wolfgang Kumm/DPA

Die vom Senat zur Klärung des Themas eingesetzte Expertenkommission hält die Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen in Berlin juristisch für möglich. Zu diesem Fazit kommt sie in ihrem Abschlussbericht, den die Kommissionsvorsitzende Herta Däubler-Gmelin am Mittwoch an den Berliner Senat übergeben hat.

Was war die Aufgabe der Kommission?

Bei einem Volksentscheid im September 2021 hatten gut 59 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die Vergesellschaftung von Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin gestimmt. Innerhalb des damaligen rot-grün-roten Senats gingen die Ansichten zu dem Thema auseinander. SPD, Grüne und Linke einigten sich auf die Einsetzung der Kommission. Sie sollte prüfen, ob und wenn ja wie das Anliegen umgesetzt werden kann.

Wie ist die Kommission zusammengesetzt?

Sie hat 13 Mitglieder, fast nur Universitäts-Professorinnen und Professoren, darunter viele Juristen. Vorsitzende ist die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD).

Zu welchen Einschätzungen ist die Kommission gekommen?

Der Kommission zufolge ermöglicht das Grundgesetz dem Land Berlin, die Vergesellschaftung von Grund und Boden in einem Gesetz zu regeln. Die Kommission ist außerdem der Ansicht, dass die Landesverfassung für die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen nicht geändert werden müsste. Sie sieht keinen Widerspruch zum Gleichbehandlungsgebot darin, dass Unternehmen ab einer Grenze von 3000 Wohnungen oder einer vergleichbaren Größenordnung vergesellschaftet werden sollen und kleinere Unternehmen nicht.

Waren sich die Kommissionsmitglieder einig?

Nein, sie haben zum Teil unterschiedliche Ansichten vertreten, etwa bei der Entschädigungsfrage oder der Diskussion über die Verhältnismäßigkeit eines Vergesellschaftungsgesetzes.

Welche Folgen hätte ein Vergesellschaftungsgesetz für den Wohnungsmarkt?

Die Mieten in Berlin sind über mehrere Jahre hinweg deutlich gestiegen. Weil Wohnungen knapp sind und die Stadt wächst, drohen weitere Mietsteigerungen. Die Befürworter der Vergesellschaftung argumentieren, das lasse sich zumindest bremsen, wenn der Anteil der Wohnungen in öffentlicher Hand zunimmt. Kritiker weisen darauf hin, dass durch Vergesellschaftung keine neuen Wohnungen entstünden und es besser sei, durch mehr Neubau für ein größeres Wohnungsangebot zu sorgen und Mietsteigerungen so zu bremsen.

Müssen die Unternehmen eine Entschädigung erhalten?

Ja, daran besteht kein Zweifel. Die meisten Kommissionsmitglieder sind aber der Auffassung, dass die Höhe der Entschädigung für die Vergesellschaftung unter dem Verkehrswert liegen dürfe, also unter dem realistischen Preis einer Immobilie auf dem freien Markt.

Was kostet die Vergesellschaftung?

Das ist schwer zu beantworten. In den offiziellen Abstimmungsunterlagen zum Volksentscheid 2021 war von 28,8 bis 36 Milliarden Euro die Rede. Nach Einschätzung der Berliner Finanzverwaltung ist das aber nicht mehr aktuell. Eine neue Summe hat der Senat bisher nicht veröffentlicht. Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« geht von deutlich geringeren Kosten aus.

Geht es um Enteignen oder Vergesellschaften?

Bei der Enteignung geht es um sogenannte konkrete Rechtspositionen, zum Beispiel um ein Grundstück für den Bau einer Autobahn. Die Vergesellschaftung hat dagegen zum Ziel, Unternehmen und ganze Wirtschaftszweige in die Gemeinwirtschaft zu überführen. Im Fall der Wohnungsunternehmen in Berlin geht es also um Vergesellschaftung.

Wurden in Deutschland schon Wohnungen vergesellschaftet?

Nein, Berlin wäre Vorreiter. Bisher wurde der Artikel 15 im Grundgesetz, der Vergesellschaftung ermöglicht, noch nie angewendet.

Muss der Senat sich dann an den Abschlussbericht halten?

Nein. Die Kommission betonte mehrfach, sie habe nur die juristische Machbarkeit geprüft. Es ist eine politische Entscheidung, wie damit umzugehen ist. Aber der Druck ist groß, die Ergebnisse nicht zu ignorieren, zumal die Expertenkommission eine Idee des Senats war.

Werden Wohnungsunternehmen in Berlin bald vergesellschaftet?

Wahrscheinlich nicht. Der schwarz-rote Senat, der erst seit Ende April regiert, will zwar auf der Grundlage des Abschlussberichts über sein weiteres Vorgehen entscheiden. Aber er hat angekündigt, nicht gleich an die Umsetzung der Vergesellschaftung zu gehen, selbst wenn die Kommission grundsätzlich grünes Licht geben würde.

Wie lange könnte es dauern bis zu einer Vergesellschaftung?

Der Senat will zunächst nur ein Vergesellschaftungsrahmengesetz erarbeiten. Und schon das dürfte mindestens mehrere Monate in Anspruch nehmen. Es soll außerdem erst zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten.

Ist das eine Verzögerungstaktik des Senats?

Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« erhebt diesen Vorwurf. Der Senat argumentiert, das Rahmengesetz solle vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden. So will Schwarz-Rot die Panne vermeiden, die Rot-Grün-Rot beim Mietendeckel-Gesetz erlebt hat. Das war schon in Kraft, als die Richter in Karlsruhe es im April 2021 gekippt haben.

Und haben die Gerichte auch noch ein Wort mitzureden?

Die Kommission rechnet fest damit, dass ein Vergesellschaftungsgesetz die Gerichte beschäftigen und letztlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird.

© dpa-infocom, dpa:230628-99-218015/3