Mit der fast einstimmigen Absetzung seiner Vizepräsidentin Eva Kaili hat das Europaparlament einen ersten Befreiungsschlag im Korruptionsskandal um mutmaßliche Einflussnahme aus dem Golfemirat Katar versucht.
Die Abgeordneten enthoben die 44 Jahre alte Griechin mit nur einer Gegenstimme in Straßburg ihres Amtes. Nach Tagen immer neuer Vorwürfe gegen Abgeordnete und Mitarbeiter beginnt nun die Aufräumarbeit. Kaili, die derzeit in Untersuchungshaft ist, bestritt unterdessen über ihren Anwalt den Vorwurf, gegen Geld politische Entscheidungen im Sinne des Wüstenstaats Katar beeinflusst zu haben.
Angesicht der Dimension des Skandals wäre alles andere als ein deutliches Zeichen bei der Abstimmung über Kailis Absetzung wohl eine Blamage gewesen. Mit einem so deutlichen Ergebnis haben aber wohl die wenigsten gerechnet. »Die große Einigkeit des Parlaments ist ein sehr gutes Zeichen«, sagte die Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke der Deutschen Presse-Agentur. »Wenn wir uns jetzt noch auf umfassende Aufklärung und weitergehende präventive Maßnahmen einigen können, ist ein erster wichtiger Schritt in der Reaktion auf den Skandal genommen.«
Kaili behält ihr Abgeordnetenmandat vorerst
Dass es eine lückenlose Aufklärung geben soll, hatte Präsidentin Roberta Metsola bereits am Montag versprochen. Sie nannte interne Untersuchungen, einen Reformprozess für mehr Transparenz und einen besseren Schutz von Whistleblowern. Im Gespräch sind etwa ein Untersuchungsausschuss und ein Ethikgremium.
Bereits am Wochenende hatte Metsola der ehemaligen TV-Moderatorin Kaili, die eine von 14 Vize-Präsidentinnen war, alle Befugnisse in diesem Amt entzogen. Zudem wurde sie aus ihrer griechischen Pasok-Partei und der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament ausgeschlossen. Ihr Abgeordnetenmandat behält die Griechin vorerst.
Kaili ist eine von sechs Verdächtigen, die in dem Korruptionsskandal seit Freitag von den belgischen Behörden festgenommen worden sind. Vier von ihnen kamen am Sonntag in Untersuchungshaft, darunter die 44 Jahre alte Kaili selbst, ihr Freund und der ehemalige sozialdemokratische Europaabgeordnete Antonio Panzeri aus Italien. Sie werden der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt.
Wie italienische Medien übereinstimmend berichteten, hat Kailis Freund nach seiner Festnahme lange mit den Ermittlern gesprochen, manch eine Zeitung schrieb gar von einem »Kronzeugen«. Eine Bestätigung dafür gab es zunächst nicht.
Im Raum steht, dass Katar, das derzeit die Fußball-Weltmeisterschaft ausrichtet, mit Geld- und Sachgeschenken versucht hat, Einfluss auf politische Entscheidungen im Europaparlament zu nehmen. Die Ermittler durchsuchten mittlerweile die Häuser und Wohnungen von mindestens zwei Abgeordneten sowie die Büros mehrerer Parlamentsmitarbeiter. Katar weist die Vorwürfe zurück.
»Sie hat nichts mit Geldflüssen aus Katar zu tun«
Kaili selbst ist sich ebenfalls keiner Schuld bewusst, wie ihr Anwalt Michalis Dimitrakopoulos klarstellte. »Ihre Position ist, dass sie unschuldig ist. Sie hat nichts mit Geldflüssen aus Katar zu tun, überhaupt nichts.« Zu Details dürfe er sich nicht äußern und er habe auch kein Bild davon, ob Geld gefunden worden sei und wenn ja, welche Summen, sagte Dimitrakopoulos. Ein Detail wollte er dann aber doch geraderücken: Unter der Kinderwiege der kleinen Tochter von Kaili seien - anders als von griechischen Medien berichtet - keine 160.000 Euro gefunden worden. Eine solche Wiege gebe es gar nicht.
Die belgischen Medien »Le Soir« und »Knack«, die die Ermittlungen gegen Kaili aufgedeckt hatten, berichteten, dass Ermittler bei Kaili und Panzeri mehr als 1,5 Millionen Euro in bar gefunden hätten.
Auch Visentini beteuert seine Unschuld
Wie Kaili beteuerte auch der vorübergehend festgenommene Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB) Luca Visentini seine Unschuld. »Ich bin froh, dass die Befragung abgeschlossen ist und ich alle Fragen vollständig beantworten konnte«, sagte der Italiener einer IGB-Mitteilung zufolge.
Die einzige Stimme gegen Kailis Absetzung im Parlament kam übrigens von einem selbst erklärten Kämpfer gegen Korruption: dem fraktionslosen Abgeordneten Mislav Kolakusic aus Kroatien. Der ehemalige Richter begründete sein Votum auf Nachfrage der dpa mit der Unschuldsvermutung. Neben den 625 Ja-Stimmen und Kolakusic' Nein gab es noch zwei Enthaltungen: vom AfD-Politiker Joachim Kuhs und dem niederländischen Konservativen Dorien Rookmaker. Kuhs sagte der dpa, als rechtstreuer Bürger und Christ wolle er Kaili nicht vorverurteilen.
Wie es für Kaili weitergeht, wird sich schon am Mittwoch zeigen. Dann soll sie vor einer Gerichtskammer aussagen und es wird darüber entschieden, ob sie zunächst auf freien Fuß kommt.
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