Sollte es bis zum Sommer keine Einigung über eine bessere Registrierung und Verteilung von Asylbewerbern in Europa geben, sehen Innenminister die Freizügigkeit im Schengen-Raum in Gefahr.
Das Zeitfenster für eine umfassende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) schließe sich im Sommer, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Berlin nach einem Treffen mit Innenministern und Staatssekretären aus fünf weiteren EU-Staaten. Bis dahin müssten sich die EU-Mitgliedstaaten einigen, damit anschließend noch Zeit für die Verhandlungen mit dem Parlament sei. Sollte eine Einigung nicht gelingen, »dann ist der Schengen-Raum mit offenen Binnengrenzen in großer Gefahr«, warnte sie. Das müssten sich alle im Europäischen Parlament und im Rat bewusst machen.
Auch Schweden sehe dieses Risiko, »aber keiner will, dass es so weit kommt«, sagte der schwedische Staatssekretär im Justiz- und Innenministerium, Anders Hall. Schweden hat aktuell die EU-Ratspräsidentschaft inne und übergibt den Staffelstab am 1. Juli an Spanien.
Binnengrenzkontrollen müssten die Ausnahme bleiben, betonte der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska. Für Spanien sei die Freizügigkeit im Schengen-Raum ein wichtiger Pfeiler der Europäischen Union.
Die Zeit drängt
Zeitdruck entsteht durch die im Frühjahr 2024 anstehende Europawahl. »Wir müssen darauf achten, dass wir auch die irreguläre Migration begrenzen«, sagte Faeser, die zu dem Treffen auch Vertreterinnen und Vertreter aus Italien, Frankreich und Belgien eingeladen hatte. Der italienische Innenminister Matteo Piantedosi nahm per Videokonferenz teil. »Es geht um ein Gesamtsystem aus Verantwortung auf der einen Seite und Solidarität auf der anderen Seite«, betonte Faeser.
Konkret geht es darum, dass Schutzsuchende in den EU-Staaten, in denen sie zuerst ankommen, verlässlich registriert werden. Idealerweise soll dort künftig auch schon geschaut werden, ob jemand überhaupt Aussicht auf eine Anerkennung als Flüchtling hat. Staaten mit EU-Außengrenzen wie Italien oder Malta sind dazu jedoch bislang nicht bereit. Sie pochen darauf, dass erst die Verteilung der Asylbewerber innerhalb Europas besser geregelt werden müsse.
Bislang gibt es lediglich die freiwillige Übernahme weniger Asylbewerber durch einige Staaten - vor allem Deutschland. Faeser sagte, Deutschland habe über den Solidaritätsmechanismus 427 Menschen aus Italien und 93 Asylbewerber aus Zypern übernommen, weitere Übernahmen seien geplant. Italien blockiert seit einigen Wochen unter Verweis auf angebliche technische Probleme die Rücküberstellungen von in Italien registrierten Asylbewerbern.
Schweden: Sehr schwierige Kompromisse erforderlich
Der schwedische Staatssekretär Hall sagte, er sei überzeugt, dass eine Einigung von allen EU-Staaten sehr schwierige Kompromisse erfordern werde. »Es wird wahrscheinlich eine Lösung sein, wo keiner mit allem zufrieden ist, aber wo wenigstens alle gleichermaßen unzufrieden mit der gemeinsamen Lösung sind«, fügte er hinzu.
Im vergangenen Jahr wurden in den Staaten der Europäischen Union eine Million Asylanträge gestellt, so viele wie seit 2016 nicht. Hinzu kamen fast vier Millionen Menschen aus der Ukraine, die in der EU zwar keinen Asylantrag stellen müssen, aber auch weiterhin untergebracht und versorgt werden müssen.
Eine effektive Kontrolle der EU-Außengrenzen sei wichtig, sagte Faeser. Gleichzeitig beteuerte sie: »Es geht nicht darum, dass wir Abschottungspolitik machen.«
Merz wirbt »bei größter Not« für Grenzkontrollen
CDU-Chef Friedrich Merz hingegen spricht sich unter bestimmten Umständen für erneute Grenzkontrollen innerhalb der EU aus. »Wenn wir nicht in der Lage sind, die Außengrenzen der Europäischen Union hinreichend zu schützen, dann müssen wir auch dazu übergehen, wenn die Not am größten ist, die Binnengrenzen in Europa wieder zu kontrollieren«, sagte Merz bei einer Talkrunde des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) »RND vor Ort« in Rostock. Es tue ihm in der Seele weh, das sagen zu müssen. Als Beispiele nannte er die deutsch-österreichische und deutsch-tschechische Grenze. Der Unionsfraktionschef kündigte an, »entsprechende Anträge« in den Bundestag einbringen zu wollen, »um die Bundesregierung zu veranlassen, hier Entscheidungen zu treffen«.
Insgesamt forderte Merz vom Bund eine andere Migrationspolitik. Strikt unterschieden werden müsse zwischen Menschen, die Asyl beantragen wollten, und Migranten, die in Deutschland Arbeit suchten. Es gebe eine große Zahl an Menschen, die nur pro forma Asyl beantragen, ohne einen Anspruch auf den Schutz durch die Genfer Flüchtlingskonvention zu haben, sagte Merz. Diese hätten das Ziel zu arbeiten, Asyl sei gar nicht gewollt.
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