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Erneut schwere Kämpfe im Norden Gazas

Die USA sehen die Gefahr einer Hungersnot und wünschen sich von Israel noch mehr Hilfe für die Bewohner Gazas - zugleich bekommt der Verbündete weitere Milliarden. Die News im Überblick:

Nahostkonflikt
Ein gepanzerter Mannschaftstransportwagen der israelischen Armee. Israels Streitkräfte haben sich im Norden des Gazastreifens mit der islamistischen Hamas erneut schwere Kämpfe geliefert (Archivbild). Foto: Ilia Yefimovich/DPA
Ein gepanzerter Mannschaftstransportwagen der israelischen Armee. Israels Streitkräfte haben sich im Norden des Gazastreifens mit der islamistischen Hamas erneut schwere Kämpfe geliefert (Archivbild).
Foto: Ilia Yefimovich/DPA

Israels Streitkräfte haben sich im Norden des Gazastreifens, wo sie die Kampfeinheiten der islamistischen Hamas weitgehend aufgelöst hatten, erneut schwere Kämpfe geliefert. Die Armee habe ihre Einsätze im Norden sowie im zentralen Abschnitt des abgeriegelten Küstenstreifens intensiviert, berichtete die »Times of Israel«.

Auch 200 Tage nach Kriegsbeginn wurden erneut Raketen aus Gaza auf Israels Grenzorte abgefeuert. Im Norden des abgeriegelten Küstengebiets droht laut Experten weiterhin eine Hungersnot. »Das Risiko einer Hungersnot im gesamten Gazastreifen ist sehr hoch, insbesondere im Norden«, sagte David Satterfield, Sonderbeauftragter von US-Präsident Joe Biden für humanitäre Fragen im Nahen Osten.

Der von den USA angekündigte Bau eines temporären Hafens zur Lieferung von Hilfsgütern in das Küstengebiet wird nach Angaben des Pentagons bald beginnen. Derweil billigte der US-Kongress mit Zustimmung des Senats gut 26 Milliarden Dollar an Unterstützung für Israel, unter anderem für die Raketenabwehr. Rund neun Milliarden Dollar sind für humanitäre Hilfe gedacht, darunter für den Gazastreifen.

Israels Armee kämpft weiter um Kontrolle über Norden Gazas

Das Wiederaufflammen der Gewalt in zuvor eingenommenen und weitgehend geräumten Gebieten im Norden Gazas zeige, wie schwer sich Israels Armee damit tue, die Lage unter Kontrolle zu bringen, schrieb das »Wall Street Journal«. Einem israelischen Verteidigungsbeamten zufolge halten sich im nördlichen Gazastreifen immer noch mehrere tausend Kämpfer der Hamas auf, hieß es.

Die andauernden Kämpfe seien mit Blick auf die von Israel geplante Bodenoffensive gegen die letzten Bataillone der Hamas in Rafah im Süden Gazas ein »ernüchterndes Beispiel für die Schwierigkeit, Erfolge zu konsolidieren«. Die Kontrolle über den Norden Gazas zu halten und zu festigen, brauche Zeit, zitierte die Zeitung einen ehemaligen Vize-Kommandeur des israelischen Militärs.

Hamas veröffentlicht weiteres Geisel-Video

Die islamistische Hamas hat erneut ein Video einer aus Israel entführten Geisel veröffentlicht. Darin ist ein 24 Jahre alter Mann zu sehen, der der israelischen Regierung schwere Vorwürfe macht. Sie habe die israelischen Bürger nicht beschützt und im Stich gelassen - die Geiseln bereits seit fast 200 Tagen. 

Unter welchen Umständen das Video entstanden ist und ob der Mann aus freien Stücken oder unter Drohungen sprach, war zunächst unklar. Die Aufnahme war zudem nicht datiert, das Hamas-Massaker war am Mittwoch allerdings 201 Tage her. Der Mann, der vom Nova-Musikfestival verschleppt wurde, sagte in dem Video weiterhin, durch die Luftangriffe der israelischen Armee seien 70 Geiseln im Gazastreifen getötet worden. Allerdings weiß Israel nach eigenen Angaben derzeit nicht, wie viele der in den Gazastreifen verschleppten Menschen tot sind und unter welchen Bedingungen sie ums Leben kamen. 

Israel war bis vor wenigen Wochen davon ausgegangen, dass knapp 100 der rund 130 verbliebenen Geiseln noch am Leben sind. Inzwischen wird aber befürchtet, dass deutlich mehr von ihnen bereits tot sein könnten. Die Nachrichtenseite ynet schrieb kürzlich. »Die Geiseln sterben weg, laut Schätzungen sind schon heute weniger als die Hälfte von ihnen noch am Leben.«

Israel mobilisiert weitere Reservisten

Vor einem möglichen Einsatz in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen mobilisierte die israelische Armee zwei weitere Reservebrigaden. Diese sollten »defensive und taktische Einsätze im Gazastreifen« übernehmen, teilte das Militär mit. Die Brigaden seien zuvor an Israels Grenze zum Libanon eingesetzt worden. In den letzten Wochen hätten sie aber für Operationen im Gazastreifen trainiert.

»Die Soldaten haben Kampftechniken geübt und die wichtigsten Einsichten und Lehren aus den bisherigen Kämpfen und dem Bodenmanöver im Gazastreifen gelernt«, hieß es weiter in der Mitteilung. Berichten zufolge rückt eine Bodenoffensive in Rafah näher. Die dort vor den Kämpfen Schutz suchenden Hunderttausenden Zivilisten sollen zuvor evakuiert werden.

Zu Beginn des Gaza-Kriegs vor mehr als sechseinhalb Monaten hatte Israel rund 300.000 Reservisten mobilisiert. Die meisten davon wurden jedoch inzwischen wieder entlassen. Zuletzt waren vor allem aktive Truppen im Gazastreifen eingesetzt worden. Israel veröffentlicht seine Truppenstärke nicht, eine Brigade besteht jedoch üblicherweise aus mehreren Tausend Soldaten.

UN: Anzeichen für bevorstehende Hungersnot

Im Gazastreifen droht in nächster Zukunft eine Hungersnot, wenn nicht massiv mehr Nahrungsmittel verteilt werden - davor warnt der Direktor des Genfer Büros des Welternährungsprogramms (WFP), Gian Carlo Cirri. »Die Situation ist extrem besorgniserregend«, sagte er bei der Vorstellung eines Berichts über die Hungerkrisen der Welt in Genf. »Wir kommen einer Hungersnot jeden Tag näher.« Er erinnerte an bereits veröffentlichte Einschätzungen, dass ein Drittel der Kinder im Gazastreifen unter zwei Jahren akut unterernährt sind.

»Es gibt hinreichende Anzeichen dafür, dass alle drei Schwellenwerte für eine Hungersnot - Ernährungsunsicherheit, Unterernährung und Sterblichkeit - in den nächsten sechs Wochen überschritten werden«, sagte Cirri. Menschen äßen teils Tierfutter, um zu überleben. Eine Hungersnot könne nur abgewendet werden, wenn es sofort deutlich aufgestockte und anhaltende Nahrungsmittellieferungen gebe.

EU-Kommissar fordert Unterstützung für UNRWA

Der für humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic rief angesichts der katastrophalen Lage der Menschen in Gaza dazu auf, das umstrittene Palästinenserhilfswerk UNRWA zu unterstützen. »Ich rufe die Geberländer auf, das UNRWA zu unterstützen - die Lebensader für die palästinensischen Geflüchtete«, schrieb er auf der Plattform X (vormals Twitter). Er begrüßte den am Vortag veröffentlichten Untersuchungsbericht über das UNRWA, da dieser »die zahlreichen Systeme des Hilfswerks zur Einhaltung der Vorschriften sowie die Empfehlungen für deren weitere Verbesserung« hervorhebe.

UNRWA war im Januar in die Schlagzeilen geraten, weil Israel behauptete, zwölf Mitarbeiter seien in das Massaker der Hamas vom 7. Oktober verwickelt gewesen und die Organisation als Ganzes von der Hamas unterwandert. Einige der wichtigsten Geldgeber, darunter Deutschland, setzten Zahlungen daraufhin vorübergehend aus. Die USA nehmen die Zahlungen noch nicht wieder auf.

Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung, John Kirby, sagte, die Finanzierung des UNRWA bleibe »natürlich noch immer ausgesetzt. Wir müssen hier echte Fortschritte sehen, bevor sich das ändert.« Die USA würden weiter mit anderen Hilfsorganisationen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Menschen nötige Unterstützung erhielten.

Pentagon: Bau temporären Gaza-Hafens beginnt bald

Die US-Regierung hatte im März angekündigt, angesichts der humanitären Notlage im Gazastreifen einen temporären Hafen vor der Küste einrichten zu wollen, um Lebensmittel, Wasser und Medikamente in das Kriegsgebiet zu bringen. »Wir sind in der Lage, sehr bald mit dem Bau zu beginnen«, sagte Pentagon-Sprecher Ryder. »Alle erforderlichen Schiffe befinden sich im Mittelmeerraum«.

Die USA hatten angesichts der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen kürzlich ihren Verbündeten Israel zur raschen Ausweitung der Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung aufgefordert. Inzwischen habe Israel »bedeutende Schritte« unternommen, um den Fluss von Hilfen zu verbessern, sagte der US-Sonderbeauftragte für humanitäre Fragen, Satterfield. Es müsse aber noch mehr getan werden. Es bestehe immer noch die Gefahr einer Hungersnot im Norden Gazas, hieß es.

Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als 1200 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres in Israel verübt hatten. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive, beginnend im Norden des Gazastreifens. Später verlagerten sich die Kämpfe Richtung Süden. Inzwischen hätten sich Hamas-Kämpfer im Norden jedoch in kleineren Einheiten neu gruppiert und seien zu Guerilla-Taktiken übergegangen, berichtete das »Wall Street Journal«.

Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer und der katastrophalen humanitären Lage in Gaza geriet Israel international in die Kritik. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind seit Beginn des Gaza-Kriegs bisher 34.183 Menschen in dem Küstenstreifen getötet und mehr als 77.000 weitere verletzt worden. Die Zahlen, die nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheiden, lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

© dpa-infocom, dpa:240424-99-784966/9