Berlin (dpa) - Für die SPD ist es ein Erfolg. Allerdings nur ein Sieg auf einer der vielen Etappen eines langen Kampfes. Seit mehr als zehn Jahren versucht die Partei, ihr umstrittenes und ungeliebtes Mitglied Thilo Sarrazin loszuwerden.
Derzeit läuft der dritte Anlauf. Am Donnerstag wurde die Entscheidung der Berliner SPD-Landesschiedskommission bekannt: Sarrazin darf wegen parteischädigenden Verhaltens durch seine anhaltende und massive Kritik an muslimischen Einwanderern und sein letztes Buch »Feindliche Übernahme« aus der Partei geworfen werden.
Ein Ende der Auseinandersetzung ist damit aber noch lange nicht in Sicht. Tatsächlich bleibt der 74-jährige Sarrazin erstmal Mitglied der SPD, der er seit den 70er Jahren angehört und in deren Auftrag er Staatssekretär in Rheinland-Pfalz und Finanzsenator in Berlin war. Rechtsgültig ist das Verfahren nämlich noch nicht abgeschlossen.
Sarrazins Anwälte erklärten, ihr Mandant werde vor die nächste Parteiinstanz ziehen: das Bundesschiedsgericht. Sarrazin selber hatte bereits angekündigt, notfalls bemühe er auch noch alle Instanzen der normalen Gerichte, um seinen Rauswurf zu verhindern - bis hin zum Bundesverfassungsgericht.
Im Juli 2019 hatte die Schiedskommission des Berliner SPD-Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf, in dem Sarrazin Mitglied ist, dessen Parteiausschluss bestätigt. Sarrazin legte Berufung ein. Nun ging es am 10. Januar zur Landesschiedskommission. Sarrazin unterlag erneut.
Die SPD hielt sich am Donnerstag bedeckt, genau darauf bedacht, keine Verfahrensfehler zu machen. Die Entscheidung wollen die SPD und ihr SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erst am Freitagvormittag öffentlich kommentieren. Dass Klingbeil Sarrazin für die SPD für einen hoffnungslosen Fall hält, hatte er schon vergangenes Jahr deutlich gemacht: »Er vertritt Positionen, die nicht unsere sind«, meinte er damals. »Für rassistische Gedanken ist in der SPD keinen Platz.«
Sarrazin verschickte dagegen umgehend eine frische Erklärung. Er warf der Schiedskommission vor, sie habe eine inhaltliche Diskussion blockiert. Klingbeil als Vertreter des Parteivorstandes habe sich geweigert, konkrete Zitate aus dem Buch »Feindliche Übernahme« zu benennen, um den Vorwurf des Rassismus zu belegen. Sarrazin monierte weiter, ein von ihm vorgelegtes Gutachten eines Arabistik-Experten sei nicht diskutiert worden. »Es ging ganz offenbar nicht darum, Wahrheit zu ermitteln, sondern Gesinnung zu bestrafen.« Dem ARD-Hauptstadtstudio sagte Sarrazin: »Offenbar stand das Urteil schon vorher fest«.
Die SPD-Spitze hatte schon 2009/10 und 2011 versucht, Sarrazin loszuwerden. Damals saß er im Vorstand der Bundesbank und sorgte mit Interviews zur Einwanderung für Empörung. Mit Blick auf muslimische Zuwanderer sprach Sarrazin von Menschen, »die ständig neue Kopftuchmädchen produzieren«. Dann erreichte er mit seinem ersten Buch »Deutschland schafft sich ab« eine Millionenauflage und musste die Bundesbank verlassen. Die SPD-Führung empfand seine Thesen zur Einwanderung und zum Islam als parteischädigend - setzte sich damit aber nicht durch.
2018 veröffentlichte Sarrazin das Buch von der vermeintlichen »Feindlichen Übernahme« durch den Islam. Er schrieb, die »religiös gefärbte kulturelle Andersartigkeit der Mehrheit der Muslime« und deren steigende Geburtenzahlen gefährdeten die offene Gesellschaft, Demokratie und den Wohlstand in Deutschland. Integration sei kaum möglich.
Die SPD-Kreiskommission wertete das im Sommer 2019 als »klar rassistisch«. Der Partei werde damit schwerer Schaden zugefügt, weil die Verbreitung »antimuslimischer und kulturrassistischer Äußerungen« ihre Glaubwürdigkeit und ihren Einsatz für ihre Werte und Grundauffassungen infrage stelle.
Sarrazin wies das zurück und argumentierte Anfang Januar, er habe »wissenschaftliche Sachbücher geschrieben«. Niemand aus der SPD-Führung habe belegen können, was daran sachlich falsch sei. »Ich lasse mir meinen Ruf als Sachbuchautor nicht kaputtmachen.«
Nun hat die Bundesschiedskommission das nächste Wort. Vorsitzender ist ein Richter. Aufgabe der Kommission ist unter anderem die »Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten der SPD (...) mit einzelnen Mitgliedern«, heißt es im Internet. Außerdem geht es um die »Sicherung der Ordnung der Partei«. In diesem Fall dürften das zwei anspruchsvolle Herausforderungen sein.