Logo
Aktuell Ausland

Erdogan: Grenze zur EU ist jetzt für Flüchtlinge offen

Die griechisch-türkische Grenze wird erneut zum Brennpunkt. Die Türkei lässt Präsident Erdogan zufolge Tausende Migranten in Richtung EU passieren. Griechenland will illegale Übertritte verhindern - und hat eine Erklärung, warum Erdogan die Flüchtlingskarte zieht.

Migranten in der Türkei
Flüchtlinge in der Türkei auf dem Weg zur griechischen Grenze. Foto: ---/XinHua/dpa
Flüchtlinge in der Türkei auf dem Weg zur griechischen Grenze. Foto: ---/XinHua/dpa

ISTANBUL. Griechenland hat nach eigenen Angaben eine organisierte, massenhafte und illegale Grenzverletzung durch Migranten aus der Türkei abgewehrt.

»Es wurden mehr als 4000 illegale Grenzüberschreitungen abgewendet«, berichtete Regierungssprecher Stelios Petsas am Samstag im griechischen Staatsfernsehen ERT nach einer Krisensitzung unter Vorsitz von Regierungschef Kyriakos Mitsotakis. Der griechische Außenminister Nikos Dendias beantragte eine Sondersitzung der EU- Außenminister.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte am Samstag in Istanbul: »Wir haben die (Grenz-)Tore gestern geöffnet.« Seit Freitag seien 18.000 Flüchtlinge über die türkische Grenze in die EU gekommen. Mit Samstag könnten es bis zu 30.000 werden. Die EU habe ihre Versprechen nicht gehalten, kritisierte Erdogan. Die Türkei könne so viele Flüchtlinge nicht versorgen.

Die Türkei hat bereits mehr als 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Ein Flüchtlingspakt mit der EU von 2016 sieht eigentlich vor, dass die Türkei Migranten vom Weg in die EU abhält. Im Gegenzug erhält Ankara unter anderem finanzielle Unterstützung.

Anders als in Griechenland sieht die Lage in Bulgarien aus, das ebenfalls eine EU-Außengrenze zur Türkei hat. »An unserer Grenze (zur Türkei) gibt es null Migration«, sagte Regierungschef Boiko Borissow am Samstag nach einem Bericht des Staatsfernsehens. Grenzpolizei-Chef Swetlan Kitschikow bekräftigte am größten bulgarisch-türkischen Grenzübergang bei Kapitan Andreewo, die Lage unterscheide sich nicht von der der vergangenen Tage. Migranten bewegten sich zwar von Istanbul nach Westen, allerdings nicht in Richtung Bulgariens Grenze.

Borissow stellte ein Treffen mit Erdogan und anderen europäischen Führern in Aussicht. »Am Montag werde ich hingehen, um mit (dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip) Erdogan seine Bedingungen zu verhandeln, damit wir diese Entwicklung dauerhaft lösen«, sagte er.

In Athen sagte Regierungssprecher Petsas weiter: »Wir haben gehalten, und unsere Grenzen, die auch EU-Grenzen sind, beschützt.« Griechenland sei fest entschlossen, alles zu tun, um seine und damit die EU-Grenze zu schützen. Es seien 66 Migranten festgenommen worden, die es geschafft hätten, auf griechisches Territorium zu kommen. Griechenland verstärke seine Kontrollen auch vor den Inseln im Osten der Ägäis mit mehr als 50 Schiffen der Küstenwache und der Kriegsmarine, sagte der Sprecher.

Aus Regierungskreisen in Athen hieß es, der türkische Präsident instrumentalisiere die Millionen Migranten in seinem Land, um die EU zu zwingen, ihm mehr Geld zu zahlen, damit er seine Politik und Militäraktion in Syrien fortsetzen könne. Griechenland habe mit dem Krieg in Syrien nichts zu tun und werde nicht den Preis dafür bezahlen, hatte Regierungschef Mitsotakis am Vortag erklärt.

Die Türkei hat nach Erdogans Worten in Syriens umfassende Angriffe gestartet. Dabei seien Anlagen zum Bau von Chemiewaffen sowie Luftabwehrsysteme und Landebahnen zerstört worden, sagte er am Samstag. Der Konflikt zwischen Syrien und dem Nato-Mitglied Türkei war am Donnerstag eskaliert, als bei einem Luftangriff in Idlib nach neuesten Angaben 36 türkische Soldaten getötet wurden. Idlib ist das letzte große Rebellengebiet in dem Bürgerkriegsland. Die Türkei unterstützt dort islamistische Rebellen.

Die Situation an der griechisch-türkischen Grenze blieb am Samstag angespannt. Die griechische Bereitschaftspolizei setzte Tränengas und Blendgranaten ein, um große Gruppen von Migranten daran zu hindern, über den bereits geschlossenen Grenzübergang bei Kastanies/Pazarkule zu kommen. Die Migranten schleuderten Steine und einige Brandflaschen auf die Polizei, wie das griechische Fernsehen zeigte.

Ministerpräsident Mitsotakis hatte am Freitag Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonisch über das Vorgehen an der Grenze informiert und erklärt, Griechenland werde keinen illegalen Grenzübertritt dulden. Wie es aus Kreisen des Verteidigungsministeriums in Athen am Samstag hieß, werden Armeeeinheiten aus Mittel- und Nordwestgriechenland zur türkischen Grenze gebracht. Auch das Militär auf den Inseln der Ostägäis sei verstärkt worden.

Österreich will angesichts der neuen Entwicklungen in der Migrationskrise im Bedarfsfall den Grenzschutz verstärken. »Wenn der Schutz der EU-Außengrenze nicht gelingen sollte, dann wird Österreich seine Grenzen schützen. Eine Situation wie 2015 darf sich keinesfalls wiederholen«, sagte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Samstag. Österreich sei bereit, die Länder an der EU-Außengrenze mit zusätzlichen Polizisten zu unterstützen. Ziel müsse es sein, die Migranten bereits an der EU-Außengrenze zu stoppen.

Mit Blick auf die wieder zunehmenden Migrationsversuche von der Türkei warnte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen, vor nationalen Lösungen. »In Abschottung zurückzufallen, wäre rückwärtsgewandt«, schrieb er am Samstag im Kurznachrichtendienst Twitter. »Die Lösung kann nur europäisch, nicht national sein. Wollen wir Sicherheit und Stabilität innerhalb unserer Grenzen haben, muss Europa zu einem Akteur jenseits der europäischen Grenzen werden - dort, wo die Ursachen für die Probleme liegen.«

Der Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, forderte die Bundesregierung auf, Griechenland bei der Verhinderung von Grenzübertritten zu helfen. »Wir befinden uns in einer Eskalationsspirale an der griechisch-türkischen Grenze und erleben dramatische Zustände«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Momentan sei Griechenland auf sich allein gestellt. »Die EU und insbesondere Deutschland sollten sich mit Griechenland solidarisch zeigen und dabei helfen, die massiven illegalen Grenzübertritte einzudämmen.« (dpa)