Inmitten eines Amtsenthebungsverfahrens gegen den ecuadorianischen Präsidenten Guillermo Lasso wegen mutmaßlicher Unterschlagung hat der Staatschef das Parlament aufgelöst. Das Wahlamt solle innerhalb von sieben Tagen einen Termin für Wahlen ansetzen, hieß es in einer am Mittwoch veröffentlichten Mitteilung des Präsidialamts. Bis zu sechs Monate kann der konservative Präsident nun per Dekret regieren.
Die Figur der so genannten »muerte cruzada« (etwa: gegenseitige Zerstörung), mit der der Präsident die Nationalversammlung unter bestimmten Voraussetzungen auflösen kann, ist seit 2008 in der Verfassung des südamerikanischen Landes verankert. Bislang kam sie allerdings noch nie zur Anwendung.
»Es ist unmöglich die Herausforderungen mit einem Parlament zu lösen, dessen Ziel die Destabilisierung des Landes ist«, sagte Lasso in einer Fernsehansprache. »Ich muss eine Antwort auf die politische Krise geben. Ecuador braucht einen neuen politischen und sozialen Pakt, der es uns erlaubt, die Krise zu überwinden, die sich leider jeden Tag verschärft.«
Klage gegen die Auflösung des Parlaments
Die Abgeordneten Yeseña Guamaní Vásquez und Esteban Torres legten beim Verfassungsgericht Klage gegen die Auflösung des Parlaments ein. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Auflösung der Nationalversammlung seien nicht gegeben, sagte Torres. Lasso habe das Instrument lediglich genutzt, um sich dem Amtsenthebungsverfahren zu entziehen.
Lasso warf dem Parlament vor, versucht zu haben, sich der Institutionen des Staates zu bemächtigen und die Rückkehr des wegen Korruption verurteilten Ex-Präsidenten Rafael Correa aus dem Exil vorzubereiten. »Mit der Auflösung des Parlaments habe ich den makabren Plan entschärft, die Kontrolle über die staatlichen Institutionen zu übernehmen, um Straffreiheit zu schaffen und die Rückkehr eines Präsidenten zu ermöglichen, der vom Nationalen Gerichtshof wegen Korruption verurteilt wurde und die festgelegte Strafe von acht Jahren nicht verbüßen will«, sagte er in einem Interview des Fernsehsenders CNN Español.
Ecuador leidet unter einer Welle der Gewalt
Ecuador steckt in einer schweren politischen Krise. Nur 17 Prozent der Bürger unterstützen Lassos Regierungsführung, gerade mal 20 Prozent bewerten die Arbeit des Parlaments als gut. Das einst friedliche südamerikanische Land leidet derzeit zudem unter einer Welle der Gewalt. Die Mordrate von 25 Tötungsdelikten je 100.000 Einwohnern im vergangenen Jahr war die höchste in der Geschichte des Landes und überstieg sogar jene von Mexiko und Brasilien. Die Regierung macht vor allem Drogenhändler für die Gewalt verantwortlich.
»Wir sind geeinter denn je«, schrieb Lasso nach seiner Ansprache über einem Foto mit seinen engsten Mitarbeitern auf Twitter. »Wir alle arbeiten weiter daran, dass Ecuador seine Ruhe wiederfindet. Das Land steht nicht still. Die öffentlichen Dienste arbeiten normal. Die Streitkräfte und die Nationalpolizei setzen ihre tägliche Arbeit zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus fort. Der Privatsektor hat alle Garantien, um seine Aktivitäten zu entwickeln und weiterhin zum Wachstum und zur Entwicklung des Landes beizutragen.«
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