In der von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angestoßenen Debatte über einen sozialen Pflichtdienst haben Kritiker der Idee stattdessen eine Stärkung der Freiwilligendienste angemahnt.
Nach Mitgliedern der Ampel-Koalition äußerten sich auch Vertreter von Gewerkschaften und Sozialverbänden ablehnend zum sozialen Pflichtdienst - während er in der CDU und beim Pflegerat auf Zustimmung stieß.
Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Linke) mahnte an, gelassener auf das Thema zu blicken, und zog eine Parallele zur Schulpflicht. »Statt reflexartig einfach nur auf dem Bundespräsidenten rumzuhacken und wieder von neuem Zwang zu reden und dabei die Schulpflicht einfach auszublenden, werbe ich dafür, mit ein bisschen mehr Gelassenheit das Thema anzugucken«, sagte Ramelow der Deutschen Presse-Agentur. Die Schulpflicht sei auch ein Zwang und der Staat greife in das Leben von jungen Menschen ein. Er frage sich, weswegen man nicht noch ein Jahr mehr »dazu definieren« könne. Ramelow hatte sich bereits in der Vergangenheit immer wieder für eine Pflichtzeit für junge Erwachsene ausgesprochen. Dagegen positionierte sich der Chef der Linken-Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, gegen eine soziale Pflichtzeit.
»Raus aus der eigenen Blase«
Steinmeier hatte am Wochenende eine Debatte über einen sozialen Pflichtdienst angeregt und dies damit begründet, dass eine Dienstpflicht die Gemeinschaft stärken könnte. »Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein«, sagte Steinmeier der »Bild am Sonntag«. »Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere Menschen, hilft Bürgern in Notlagen. Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn.«
Ähnlich argumentiert nun die CDU: Die Gesellschaft werde immer pluralistischer, »gleichzeitig begegnen sich viele soziale und ethnische Milieus nicht mehr«, sagte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende, Carsten Linnemann, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Mit einem »verpflichtenden Gesellschaftsjahr« könnte man dem entgegentreten.
Obwohl Steinmeier allgemein von einer Pflichtzeit sprach, also nicht explizit junge Leute adressierte, wurde sein Vorstoß von vielen so ausgelegt. Aus Sicht des Pflegerats könnte eine soziale Pflichtzeit dazu beitragen, junge Menschen »mit Pflege und Gesundheitsversorgung und damit mit einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe in Berührung zu bringen«, sagte Präsidentin Christine Vogler den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Verhindert werden müsse aber, dass junge Menschen auf diesem Weg als preiswerte Pflegeersatzkräfte eingesetzt werden. »Das würde weder den jungen Leuten noch den zu Pflegenden gerecht werden«, sagte Vogler.
Parteinachwuchs gegen soziale Dienstpflicht
Jugendorganisationen verschiedener Parteien, darunter die Jusos, die Jungen Liberalen und die Grüne Jugend, hatten Steinmeiers Vorschlag am Montag zurückgewiesen. Die Junge Union kann einer allgemeinen Dienstpflicht etwas abgewinnen. Ihr Chef Tilman Kuban sprach sich aber dafür aus, per Online-Umfrage zu klären, wie es um die Bereitschaft junger Leute stehe. »Ich schlage daher eine digitale Jugendbefragung der 14- bis 21-Jährigen vor. So geben wir denjenigen eine Stimme, über die hier gesprochen wird und hören, was sie eigentlich wollen«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Die Lebenshilfe und der Paritätische Gesamtverband sprachen sich in der »Rheinischen Post« und im RND für die Stärkung der Angebote für Freiwilligendienste aus. In sozialer und gemeinnütziger Arbeit müssten »engagierte Freiwillige mit Motivation und Profis mit der richtigen Ausbildung ran«, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider. Zum Teil gebe es zu wenig finanzierte Plätze für Freiwillige, beklagte die Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, Ulla Schmidt, in der »Rheinischen Post«. Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) forderte den Ausbau des Freiwilligendienstes. »Ziel des sozialen Engagements sollte allerdings nicht das Stopfen von Personallöchern in Einrichtungen und Diensten sein«, mahnte Präsident Adolf Bauer in den Funke-Zeitungen.
Aus Sicht von Verdi-Chef Frank Werneke greift ein Pflichtdienst in unzulässiger Weise in die Lebensplanung von jungen Menschen ein. Zudem müssten »alle anstehenden staatlichen Aufgaben grundsätzlich im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge erledigt werden, die entsprechend ausreichend finanziert werden muss«, sagte er dem RND. Der Chef der Jugendorganisation des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Kristof Becker, kritisierte in den Funke-Zeitungen: »Wer junge Menschen davon überzeugen möchte, in bestimmten Bereichen zu arbeiten, der sollte für gute Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen sorgen und nicht nach Pflichtdiensten schreien.«
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