WASHINGTON. Christine Blasey Ford kämpft. Mit den Tränen, mit ihrer Stimme, mit der Aufregung. Die 51-Jährige sitzt vor dem Justizausschuss des US-Senats, schaut auf Notizen vor sich und liest ein Statement ab. Wort für Wort.
»Ich bin heute nicht hier, weil ich das will. Ich habe Angst«, sagt sie, als ihre Stimme zum ersten Mal bricht. 15 Minuten lang kämpft sich die Psychologie-Professorin durch ihre Text-Seiten. Zwischendurch gerät ihre Stimme immer wieder ins Stocken, ihre Lippen beben, sie unterdrückt ein Weinen.
Später folgt ein aufgewühlter Auftritt des Supreme-Court-Anwärters, Brett Kavanaugh, dem Ford eine versuchte Vergewaltigung vor 36 Jahren vorwirft. Es ist ein wütender und tränenreicher Ausbruch des sonst so kontrollierten Richters. Einer von beiden muss die Unwahrheit sagen.
Es ist ein denkwürdiger Tag im Saal 226, in einem Nebengebäude des US-Senats. Mit ihren Vorwürfen könnte Ford Kavanaughs Berufung auf einen der einflussreichsten Richterposten der USA stoppen. Der Senat hat dabei das letzte Wort.
Seit Tagen dominiert Fords Name die Schlagzeilen in den USA. Doch an diesem Tag tritt sie zum ersten Mal öffentlich auf, seitdem ihre Anschuldigungen publik wurden. Der Druck auf Ford ist enorm. Eine Kamera ist durchgehend auf sie gerichtet. Fernsehsender übertragen die Anhörung live. Die ganze Nation kann zuschauen, wie sie über jenen Moment spricht, der ihr Leben nach eigenen Angaben aus den Fugen gebracht hat: Jener Sommerabend Anfang der 80er Jahre, als Kavanaugh versucht haben soll, sie am Rande einer Schülerparty zu vergewaltigen. Ford war damals 15 Jahre alt.
Vor den Senatoren erzählt Ford erzählt ihre Version des Abends: Kavanaugh und dessen Freund Mark Judge hätten sie in einen Nebenraum gelotst, Kavanaugh habe sich auf sie geworfen, versucht, sie auszuziehen, und ihr den Mund zugehalten, um sie am Schreien zu hindern. Sie habe sich befreien und flüchten können.
Und sie beschreibt, was in den vergangenen Tagen passierte, seitdem ihre Vorwürfe öffentlich wurden. Sie sei bedroht und angefeindet worden, sie und ihre Familie hätten aus Sicherheitsgründen ihr Zuhause verlassen müssen. Sie habe lange mit sich gerungen, ihre Geschichte öffentlich zu machen, sagt Ford. Und was dann passiert sei, sei weit schlimmer als sie es je befürchtet habe.
Nach ihrem Eingangsstatement wirkt Ford deutlich gefasster. Auf die Nachfragen antwortet sie sortiert, souverän, lächelt zwischendurch. Kritiker hatten zuvor ihre Glaubwürdigkeit in Frage gestellt und gestreut, womöglich habe Ford Kavanaugh mit einem anderen jungen Mann verwechselt. Ford weist das vor dem Ausschuss mehrfach zurück. Sie sei »100 Prozent sicher«, dass der Angreifer Kavanaugh gewesen sei.
Die republikanischen Senatoren in dem Ausschuss - ausschließlich mittelalte bis ältere Herren - verzichten darauf, Ford selbst zu befragen. Sie haben dafür eine Staatsanwältin aus Arizona engagiert, die auf Sexualstraftaten spezialisiert ist. Nichts soll danach aussehen, als halte hier eine Jury alter weißer Männer Gericht über ein weibliches Missbrauchsopfer, noch dazu politisch gefärbt. Die Demokraten, die mit mehreren Frauen in dem Ausschuss sitzen, fragen selbst - und sie preisen überausführlich Fords Mut in dem Fall.
Die Personalie Kavanaugh ist Gegenstand einer erbitterten parteipolitischen Auseinandersetzung zwischen Republikanern und Demokraten. Der Fall erzählt aber auch viel über die Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft: Es geht um Konservative gegen Liberale, um Frauenrechte und den großen Kampf um die Wahrheit, der Amerika unter einem Präsidenten Donald Trump so umtreibt.
Und bei dieser historischen Anhörung geht es auch um eine Wegweisung für die amerikanische Gesellschaft. Der Supreme Court trifft wesentliche Grundsatzentscheidungen, mit Kavanaugh bekäme das höchste US-Gericht ein konservatives Übergewicht. Kavanaugh ist der Wunschkandidat von Trump. Auch für den Präsidenten geht es um viel. Trump verfolgt die Anhörung aufmerksam, schaut den Beginn sogar an Bord der Air Force One - auf der Rückreise aus New York.
Trump verteidigte Kavanaugh bisher zwar einigermaßen standhaft. Er hat aber auch wissen lassen, dass er seinen Kandidaten im Zweifel fallen lassen würde: falls er Kavanaugh für schuldig halte.
Für den Richter geht es also um alles - und er gibt alles, als er am Donnerstag (Ortszeit) nach Ford vor den Ausschuss tritt. Der 53-Jährige wirkt angespannt, als er in den Saal kommt. Es folgt eine wütende Ansprache, bei der sich Kavanaugh immer weiter in Rage redet. Plötzlich ist da nicht mehr der zahme, brave und blasse Richter der vergangenen Tage. Stattdessen teilt Kavanaugh heftig aus.
»Dieser Berufungsprozess zu einer nationalen Schande verkommen«, schimpft er. Die Medien hätten ungeheuerliche Anschuldigungen verbreitet, Mitglieder des US-Senats hätten ihn als »böse« verunglimpft. »Das ist ein Zirkus.« An die demokratischen Senatoren gerichtet ruft er: »Sie mögen mich in der Endabstimmung besiegen, aber Sie werden mich nie dazu bringen, aufzugeben.«
Kavanaugh weist alle Vorwürfe vehement zurück - die von Ford, aber auch die der weiteren Frauen, die nach Ford mit Anschuldigungen an die Öffentlichkeit gingen. Diese Frauen berichten von ausschweifenden Partys und einem Brett Kavanaugh, der sich damals exzessiv betrunken und immer wieder Frauen sexuell belästigt habe. Da ist auch die Rede von Hauspartys, bei denen junge Männer angeblich Frauen mit Alkohol abfüllten, um sie willenlos zu machen und danach im Nebenzimmer zu vergewaltigen. Bei solchen Partys soll Kavanaugh gewesen sein.
All das will so gar nicht zu dem passen, wie sich Kavanaugh selbst gibt: als arbeitsamer, aufrichtiger und anständiger Mann. Als einer, der seine Zeit in der Highschool und an der Uni damit verbrachte, zu lernen, Sport zu machen - und sonntags in die Kirche zu gehen.
»Ich bin unschuldig«, beteuert Kavanaugh immer wieder. Als er erzählt, seine Tochter habe ihm am Vorabend gesagt, man müsse für Ford beten, kämpft er zum ersten Mal mit den Tränen. Danach ist kein Halten mehr: Immer wieder überwältigen ihn die Tränen, als er über seine Vergangenheit redet, als er seine Vorzeige-Karriere und seinen makellosen Werdegang preist und betont, die Vorwürfe seien einfach absurd und abwegig. All das habe seine Familie und seinen Namen »vollständig und dauerhaft« zerstört. Die Anschuldigungen seien nichts als Verleumdung, um seine Ernennung zu verhindern.
Es steht also weiter Aussage gegen Aussage. Die Senatoren müssen nun entscheiden, wen sie für glaubwürdiger halten: Ford oder Kavanaugh. Die meisten sind längst festgelegt in ihrem Votum, doch einzelne Republikaner wackeln - und das könnte Kavanaugh den Job kosten.
Informationen zum Justizausschuss des US-Senats
Abhandlung des Congressional Research Service zum Verfahren bei Supreme-Court-Nominierungen