Als der iranische Außenminister zu einer Pressekonferenz im Libanon einlädt, wirkt Hussein Amirabdollahian sichtlich angespannt. Der Termin am Samstag findet genau eine Woche nach Beginn der Massaker der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Palästinenserorganisation Hamas in Israel statt, der eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt hat. Seitdem blickt die ganze Welt auf die Region in Nahost, wo die Sorge vor einer noch größeren Eskalation mit unabsehbaren Folgen steigt.
In Beirut warnt Irans Chefdiplomat vor einem »Erdbeben«, das die pro-iranische Schiitenorganisation Hisbollah im Falle eines Kriegseintritts vom Süden des Libanons auslösen könnte. »Jeder hat Szenarien entworfen, und jeder hat die Hand am Abzug«, sagt der Minister. Die Bombardierungen im Gazastreifen durch das israelische Militär müssten aufhören. Auch hier ist zwischen den Zeilen zu lesen: Der Iran will als Regionalmacht für die Interessen der islamischen Welt sprechen. Amirabdollahian sagt: »Noch gibt es die Möglichkeit für diplomatische Maßnahmen, aber morgen ist es zu spät.«
»Mission Impossible« für die USA?
Einen Flächenbrand in der Region fürchten auch die USA. Und so ist der Iraner Amirabdollahian nicht der einzige, der durch die Region reist. Die USA sind Israels wichtigster Verbündeter und unterstützen das Land mit Milliardensummen. Mit Friedensverträgen zwischen Israel und arabischen Staaten wie Ägypten oder Jordanien hat die US-Regierung versucht, das Konfliktpotenzial im Nahen Osten zu entschärfen. Und sich dabei verkalkuliert - zumindest vorerst.
»Die Region des Nahen Ostens ist heute so ruhig wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr«, hatte der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, noch gut eine Woche vor dem Massaker gesagt. Hier gehen nun Wunsch und Wirklichkeit auseinander.
Biden schickte Außenminister Antony Blinken nach den Angriffen auf Nahost-Mission - erst Israel, dann Jordanien, Katar, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten. Seine Aufgabe: Israel im Kampf gegen die Hamas unterstützen und gleichzeitig die Verbündeten im Nahen Osten in Schach zu halten, um einen größeren Konflikt zu verhindern. In US-Medien war von einer Art »Mission Impossible« die Rede - einer unmöglichen Aufgabe. Zur Abschreckung verlegten die USA Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer.
Von Teheran bis Beirut: Irans »Achse des Widerstands«
So wie die USA im Nahen Osten nun versuchen, ihre Partner auf Linie zu bringen, versucht auch der Iran, seinen Einfluss auszuüben. Der Besuch von Außenminister Amirabdollahian im Mittelmeerland Libanon, das im Süden an Israel grenzt, ist ein klares Zeichen.
Die Islamische Republik präsentiert damit ihren Einfluss, den sie seit Jahrzehnten aufgebaut hat. Seit der Islamischen Revolution von 1979 gilt der jüdische Staat als Erzfeind in Teheran. Um das heutige Eskalationspotenzial zu verstehen, lohnt ein Blick auf die komplizierten Bündnisse, die der Iran in den vergangenen Jahren geschmiedet hat.
Einer der loyalsten Verbündeten Irans ist die Hisbollah. Die »Partei Gottes« entstand 1982 mit iranischer Unterstützung als Antwort auf die israelische Invasion im Libanon. Seitdem kämpft sie politisch, aber auch mit Gewalt gegen Israel, finanziert wird sie hauptsächlich aus Teheran. Seit dem letzten Krieg mit Israel 2006 hat sie ihre Fähigkeiten massiv ausgebaut. Nach neuesten Schätzungen der israelischen Armee verfügt die Organisation über ein Arsenal von mehr als 100.000 Raketen. Auch im Irak und Syrien setzt Teheran auf Verbündete in der Politik und die Unterstützung schiitischer Milizen.
Schutzmacht der Palästinenser - ein Kampf um Deutungshoheit?
Die iranische Staatsspitze droht Israel immer wieder mit Zerstörung. Eine direkte Verstrickung in den Angriff der Hamas auf Israel wies Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei zwar zurück, lobte aber die Attacke. »Wir küssen die Stirn und die Arme der einfallsreichen und intelligenten Designer und der mutigen palästinensischen Jugend, wir sind stolz auf sie«, sagte Chamenei. »Natürlich ist die gesamte islamische Welt verpflichtet, die Palästinenser zu unterstützen.«
Die islamische Welt vereint gegen Israel? Das Gegenteil war noch die Sorge iranischer Funktionäre in den vergangenen Monaten. Berichte über eine Normalisierung der Beziehungen des jüdischen Staates mit dem sunnitischen Saudi-Arabien sorgten in Teheran für Nervosität. Schließlich hatten die verfeindeten Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien im März verkündet, nach Jahren diplomatischer Eiszeit wieder Botschaften in den jeweils anderen Ländern zu eröffnen.
Saudi-Arabien, die Wiege des Islams, gilt seit Jahren als wichtige Schutzmacht der Palästinenser. Deswegen richtete sich der Blick nach dem Hamas-Angriff und der Reaktion Israels auf den Golfstaat. Wie reagiert Saudi-Arabien? Inzwischen legte das Königreich die Gespräche unter US-Vermittlung über eine Normalisierung mit Israel auf Eis, wie informierte Kreise berichten. Der Iran erklärte die für möglich gehaltene, historische Annäherung damit schon für gescheitert. »Das ist völlig vom Tisch«, meinte Amirabdollahian in Beirut.
Biden in der Klemme
Für die USA ist diese Nachricht ein Schlag - denn Annäherung ist genau die Politik, auf die Washington in der Region gesetzt haben. Und für Biden ist der Konflikt auch ein schmaler Grat, denn ein falscher Schritt könnte schwere Konsequenzen haben. Für die USA gehört es zum Selbstverständnis, dass sich Israel nach einem so beispiellosen Angriff verteidigen muss. Das hat auch der US-Präsident immer wieder deutlich gemacht - es sei geradezu eine Pflicht.
Dennoch schauen die USA mit Sorge auf die möglicherweise bevorstehende Bodenoffensive. Biden hat immer wieder anklingen lassen, dass Israel sich nun an das Völkerrecht halten und die Zahl der zivilen Opfer so gering wie möglich halten müsse. Gleichzeitig hat er die Gräueltaten der Hamas mit drastischen Worten beschrieben. Biden hat daher seinen Außenminister Blinken auch mit dem Auftrag nach Israel geschickt, das Land zur Vorsicht zu mahnen.
Denn auf die entsetzlichen, schier unfassbaren Bilder, die nach den Hamas-Angriffen aus Israel kommen, folgen nun die Bilder getöteter Zivilisten aus Gaza. Die Sorge der US-Regierung: Die Unterstützung für Israel könnte bröckeln - Feinde Israels wie die Hisbollah könnten noch stärker ermutigt werden, Teil des Konflikts zu werden.
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