Der Ausstoß von Treibhausgasen ist in Deutschland nach Schätzungen der Denkfabrik Agora Energiewende im ersten Halbjahr um neun Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gesunken. 340 Millionen Tonnen an CO2-Äquivalenten hat die Bundesrepublik demnach zwischen Januar und Juni ausgestoßen, nach 374 Millionen Tonnen im ersten Halbjahr des Vorjahres.
Die Zahlen liegen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor. Agora stützt sich dabei auf Daten des Umweltbundesamts und der AG Energiebilanzen. Zur besseren Vergleichbarkeit werden andere Treibhausgase in CO2-Äquivalente umgerechnet, Maßstab ist ihr jeweiliger Beitrag zur Erderwärmung im Vergleich zu Kohlendioxid. Im zweiten Halbjahr 2022 stieß Deutschland den Angaben zufolge noch 372 Millionen Tonnen klimaschädlicher Gase aus.
»Das ist kein Grund zur Freude«, warnte allerdings der Deutschland-Direktor von Agora Energiewende, Simon Müller, mit Blick auf den sinkenden Ausstoß von Treibhausgasen. »Denn hinter dem Emissionsrückgang steckt nicht der strukturelle Umbau, den wir brauchen. Der Ausbau der Windenergie geht immer noch viel zu langsam voran und das Gebäudeenergiegesetz reicht nicht aus, um die Klimaziele im Gebäudebereich zu erreichen.«
Der Rückgang sei vielmehr einerseits auf die hohen Preise für Erdgas und Strom zurückzuführen, was insbesondere in der energieintensiven Industrie zu Produktionsrückgängen geführt habe, sagte Müller. Zweitens sei durch eine entspanntere Situation auf dem europäischen Strommarkt in Deutschland vor allem die Kohleverstromung zurückgegangen.
Müller plädiert für vergünstigten Industriestrompreis
Müller merkte aber auch an: »Durch den Rückgang der Emissionen rücken unsere Klimaziele für das Jahr 2030 wieder ein Stück näher.« Bis dahin will Deutschland seinen Ausstoß an Treibhausgasen um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. »Diese Chance sollten wir nutzen, indem wir zum Beispiel die Genehmigungsverfahren für Windräder an Land deutlich beschleunigen, bei den Förderbedingungen für Wärmepumpen rasch Klarheit schaffen und die Rahmenbedingungen für klimaneutrale Fernwärme verbessern.« Klimaneutralität bedeutet, dass nicht mehr klimaschädliche Gase ausgestoßen werden als auch wieder gebunden werden können.
Müller plädierte wie auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für einen vergünstigten Industriestrompreis, allerdings nur für die energieintensivsten Unternehmen. »Denn wenn wir nichts tun, ist eine Abwanderung von Teilen der Industrie zu fürchten.« Die Maßnahme solle dem Land Zeit verschaffen für den nötigen Wandel. »Deshalb ist es wichtig, den Industriestrompreis zeitlich zu begrenzen und auf die energieintensivste Industrie zu fokussieren – das bedeutet einen Gesamtverbrauch von 50 Terrawattstunden zu subventionieren.« Dies solle die Zeit überbrücken, bis in Deutschland deutlich mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt werden kann.
»Gleichzeitig gilt es in der Industrie den Verbrauch von Energie und Ressourcen zu senken, etwa durch mehr Effizienz und Recycling«, so Müller. »Wir können uns auch über Kreislaufwirtschaft und innovative Produkte Wettbewerbsfähigkeit sichern.«
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